Kost und Logis: Eine gute Geschichte

Nr. 41 –

Karin Hoffsten über die pralle Fülle des Alltags.

Bei einem gemütlichen Essen erzählt A. eine Geschichte voll überraschender Wendungen, Eskalationsstufen und Pointen, zudem gewürzt mit einer Prise Behördenwillkür und köstlichen Emotionen wie Staunen und Empörung. Als sie endet, sage ich: «Oh bitte, kannst du mir das bei Gelegenheit noch mal erzählen? Das kann ich supergut brauchen!»

Am nächsten Tag fällt mir ein, dass ich A. ja nochmals um ihre Geschichte bitten will. Was mir aber nicht einfällt, ist deren Thema. Himmel, was hat sie erzählt? Ich habe den Abend zwar als gelöst und nicht abstinent in Erinnerung, bin aber sicher, dass kein Komasaufen stattfand. Ich assoziiere hin, grüble her. Nichts. Alles weg. Keine Spur von der Geschichte.

Drei Tage später bin ich mit A. verabredet. Als ich nach der Geschichte frage, schaut sie bekümmert. «Ui, das weiss ich auch nicht mehr», sagt sie, «bloss, dass du es noch mal hören wolltest.» Sie versinkt in Nachdenken, aus dem sie mit den Worten «Wars vielleicht die Geschichte vom Herddesaster?» wieder auftaucht.

Die passierte in den Sommerferien. Eine Freundin hütete für A. Wohnung, Kater, Pflanzen und Gasherd. Beim Aufbacken einer Pizza konnte sie plötzlich den Backofen nicht mehr abstellen, der Schalter war blockiert. Panisch klingelte sie eine Nachbarin raus, die ebenfalls am Schalter scheiterte. Schliesslich kam der Notfallmechaniker und drehte den Hauptgashahn zu. Über den Zustand der Pizza ist nichts überliefert. An den verbleibenden Tagen in A.s Wohnung ass die Freundin kalt. Nett – aber die richtige Geschichte ist das nicht.

Ich schicke eine SMS an E., ob sie sich erinnern könne, was A. beim Essen erzählt hat. «War das nicht die Story mit H., der mit seinem Brieföffner als Terrorist verhaftet wurde?», simst E. zurück. Besagter H. hatte gerade seine Ferienpost sichten wollen, als er jemanden am Flughafen abholen musste. Er nahm den Briefstapel mit. Weil sich der erwartete Flug verspätete, beschloss er, sich die Wartezeit auf der Aussichtsterrasse zu vertreiben.

Um dorthin zu kommen, muss man neu durch eine Sicherheitskontrolle. H. legte also gut gelaunt den Rucksack aufs Band. Dann war Schluss. Der Bildschirm zeigte die Umrisse eines Schmetterlingsmessers, das üblicherweise Ninja-Kämpfer zum Aufschlitzen des Gegners nutzen. Der friedfertige H. öffnet damit Briefe. In der Eile hatte er das scharfe Ding versehentlich mitgegriffen und eingesteckt.

Ausgerechnet H., die fleischgewordene Antithese zum Macho, hat nun eine Anzeige wegen unerlaubten Waffenbesitzes an der Backe. Mir kam Otto Waalkes in den Sinn, der einst die Bowlingkugel den natürlichen Feind des Eis nannte.

Aber die gesuchte Geschichte ist das immer noch nicht.

Fortsetzung folgt vielleicht.

Karin Hoffsten lebt in Zürich und
macht ab und zu Theater.