«Landgericht»: Feindliches Inland

Nr. 42 –

Es ist ein grossartiger Roman – und ein deprimierendes Buch. Ursula Krechel hat auf fast 500 Seiten das Schicksal eines deutsch-jüdischen Richters ausgebreitet, der in Berlin von den Nazis als junger Referendar aus dem Amt gejagt wird und nach dem Exil in Kuba 1947 nach Deutschland zurückkehrt, um am demokratischen Aufbau mitzuwirken. Er wird ans Landgericht in Mainz berufen, bleibt dort aber ein Aussenseiter.

Dr. Richard Kornitzer hat in der Tat kaum eine Chance in seiner früheren Heimat. Seine arische Frau hat zwar auf ihn gewartet und hält zu ihm, doch sonst bewegt sich der Heimkehrer auf vermintem Grund. Seine Kollegen am Landgericht waren schon im «Dritten Reich» tätig, betrachten aber ihr politisches Vorleben als Privatsache. Über die Vergangenheit wird nicht gesprochen, man fragt auch Kornitzer nie nach seinem Schicksal. 

Vor vier Jahren überraschte die Lyrikerin Ursula Krechel mit ihrem ersten Roman, «Shanghai fern von wo», in dem sie das Schicksal jüdischer EmigrantInnen in China schildert. Der Roman «Landgericht», für den Krechel soeben mit dem Deutschen Literaturpreis ausgezeichnet wurde, beruht wie «Shanghai fern von wo» auf umfangreicher Archivarbeit. Die historischen Fakten sind bedrückend, zuweilen erdrückend, aber sie fliessen in die gelungene Schilderung der äusserst differenzierten Hauptfigur ein. Richard Kornitzer war ein normaler junger Mann, glücklicher Familienvater und zielstrebiger Patentrichter, der sich nicht für Politik interessierte. Umso mehr wurde er von den politischen Umwälzungen überrumpelt.

Das Naziregime nahm ihm alles: Beruf, Geld, Familie. So entwickelt sich der Richter zu einem einsamen sturen Ankläger, der Antrag um Antrag zur «Wiedergutmachung» stellt und daran zerbricht. «Es fehlte ihm jemand, der sagte: Lass gut sein, Richard. Auch anderen Menschen ist Unrecht widerfahren.»

Ursula Krechel: Landgericht. Verlag Jung und Jung. 
Salzburg 2012. 494 Seiten. Fr. 40.90