«Solidarity. Entwürfe zu einer neuen Gesellschaft»: Diese Utopie braucht ein verändertes Denken

Nr. 42 –

Die aktuelle Krise ist durch die Skrupellosigkeit der Banker ausgelöst worden. Doch die Finanzwelt macht weiter wie bisher. Eine Demokratisierung des Finanzwesens ist deshalb überfällig.

Die Suche nach einem alternativen Gesellschafts- und Wirtschaftssystem ist so dringend wie nie zuvor. Täglich melden die Medien neue Fakten über das Ausmass jahrelanger Misswirtschaft und unverhohlener Habgier der Finanzbranche, die der Welt eine Krise enormen Ausmasses beschert hat: Weltweit steigt die Arbeitslosigkeit, rutschen breite Bevölkerungsschichten ins Prekariat ab, werden sicher geglaubte demokratische Strukturen ausgehöhlt und mühsam erkämpfte soziale Sicherheiten preisgegeben.

Ausnahmen gibt es wenige, und nicht nur in vielen europäischen Ländern ist die Zukunft ungewiss. Unverfroren fordern Banken, Versicherungen und transnationale Konzerne stets neue Rettungsschirme auf Kosten der Allgemeinheit und beharren auf dem Märchen, dass es zum Neoliberalismus keine Alternative gebe. Der Kapitalismus in seiner neoliberalen Ausprägung, wie er seit rund dreissig Jahren beinahe ungehemmt wüten kann, hat unhaltbare Zustände geschaffen und seine Untauglichkeit für die Gesellschaft unter Beweis gestellt.

Doch wenn es darum geht, Alternativen zum Kapitalismus zu finden, macht sich oft Ratlosigkeit breit: So ist es keiner der sich sozialistisch nennenden Revolutionen im 20. Jahrhundert gelungen, eine partizipative Demokratie zu errichten – das einzige System, in dem tatsächlich die ganze Bevölkerung von der Wertschöpfung ihrer Arbeit profitieren könnte.

Radikale Steuerreform

Der Journalist und Buchautor Romeo Rey hat sich dieser Ratlosigkeit angenommen. Mit «Solidarity. Entwürfe zu einer neuen Gesellschaft» legt er eine Studie vor, die einen «Blick in die Zukunft» wirft. Er beschreibt darin den theoretischen Unterbau und die Utopie einer neuen Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik, deren Ziel nicht allein Reichtum, sondern Gerechtigkeit und Partizipation aller ist. Es ist ein Buch, wie es aktueller nicht sein könnte: Die Geschwindigkeit und das Ausmass, mit denen heute soziale Umwälzungen, Ressourcenraubbau und Umweltzerstörung stattfinden, zeugen von der Dringlichkeit, schnell Alternativen zu finden und umzusetzen. Dabei sind wir gemäss Rey «alle gefordert, Auswege zu finden, um wenigstens erste Schritte in Richtung einer gerechteren und damit friedlicheren Welt zu gehen».

Rey ist überzeugt, dass weitreichende Reformen im bestehenden Steuerwesen ein erster Schritt in diese Richtung wären. Leicht verständlich beschreibt er die komplexen Mechanismen der bestehenden Steuerpraxis, die einen üblen Teufelskreis aus Steuerwettbewerb und Steuerhinterziehung erst ermöglicht und die fatale Folgen für den Sozialstaat hat. Diese Praxis müsse abgeschafft werden. Nur mit einer solidarischen Steuerpolitik sei «der endlosen Akkumulation von Reichtum in den Händen einer kleinen Minderheit und der gleichzeitigen Verarmung enormer Bevölkerungsteile beizukommen».

Ein zweiter Schritt seien radikale strukturelle Umwälzungen im produktiven System, die die Besitzverhältnisse betreffen und auf solidarischen Werten basieren, die wiederum von allen Beteiligten gemeinsam definiert werden müssten. Dafür brauche es Bildung sowie eine neue Definition von Eigentum, Reichtum und Glück. Nur wenn den Menschen bewusst werde, dass der immer exzessivere Konsum von Luxusgütern ihnen keine anhaltende Zufriedenheit bringt, würden sie sich neu orientieren und sich der gezielten Manipulation durch Medien, Werbung und Politik entziehen. Eine so emanzipierte Gesellschaft hätte ganz andere Möglichkeiten, politischen Druck auszuüben und Forderungen zu stellen.

Inspirierende Studie

Dass solche Forderungen angesichts der Realität utopisch wirken, ist Rey klar. Die dafür notwendigen tief greifenden Veränderungen im Denken würden viel Zeit brauchen, schreibt er. Hinzu kommt, dass die wenigen Privilegierten jeden Versuch, ihnen auch nur einen Bruchteil ihrer Macht und ihres Reichtums abzunehmen, mit allen Mitteln bekämpfen würden. Keine leere Drohung: Diese unvorstellbar reichen Eliten kontrollieren zunehmend die Medien und vor allem die Politik. Schon heute scheinen deshalb Gewaltexzesse programmiert, wie die harten Reaktion auf die zunehmend heftigen Proteste der Bevölkerung etwa in Griechenland, Spanien oder Portugal zeigen.

Diesen düsteren Aussichten hält Rey eine optimistische, einleuchtende Vision entgegen. Die von ihm beschriebenen Reformen würden unweigerlich zu einer friedlicheren Gesellschaft führen, da sie nur mit einem durch und durch demokratischen Prozess und ohne Gewalt umgesetzt werden können. Rey lässt aber weitgehend offen, wie eine solche Utopie real umsetzbar wäre.

Dennoch ist «Solidarity. Entwürfe zu einer neuen Gesellschaft» ein überaus inspirierendes, gut geschriebenes Buch, das eine Fülle wirtschaftshistorischer und gesellschaftlicher Ereignisse und Entwicklungen in einen Kontext setzt und dadurch viele Denkanstösse bietet.

Buchpräsentation und Diskussion mit Romeo Rey:
Dienstag, 23. Oktober, 19.00 Uhr 
im Kellertheater Buchegg, Zürich.
Mittwoch, 7. November, 19.00 Uhr 
im Gewerkschaftshaus, Rebgasse 1, Basel.
Montag, 12. November, 19.00 Uhr 
im Volkshaus, Helvetiaplatz, Zürich.

Romeo Rey: Solidarity. Entwürfe zu einer neuen Gesellschaft. VSA Verlag. Hamburg 2012. 325 Seiten. 
Fr. 34.10