Bienensterben: «Die Insekten sterben massenhaft aus»

Nr. 43 –

Seit das Bienensterben grassiert, beschäftigt sich der Bienenneurobiologe Randolf Menzel intensiv mit den Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln. Er erzählt, weshalb diese für die Insekten gefährlich sind und wie die Agrochemie die Forschung beeinflusst.

WOZ: Randolf Menzel, was macht die Biene so interessant als Forschungsobjekt?
Randolf Menzel: Die Biene ist wie eine Umweltwächterin für alle Insekten. Dadurch, dass sie als Bestäuberin und Honiglieferantin von den Menschen gehegt und gepflegt wird, sagt sie uns viel über die Umwelt. Zudem sind Bienen faszinierende soziale Insekten.

Und es geht ihnen schlecht: Das Bienensterben war kein einmaliges Phänomen – die Bienen könnten bei uns wegen der eingeschleppten Varroa-Milbe ohne die besondere Pflege und medikamentöse Behandlung durch die Imker gar nicht mehr überleben. Ist das Bienensterben mit ein Grund, weshalb Sie immer noch forschen, obwohl Sie im Ruhestand sein könnten?
Ja, denn es ist noch nicht geklärt, was Pestizide zum Bienensterben beitragen. Man kann zwar mit grosser Sicherheit sagen, dass die Varroa-Milbe zusammen mit Viren die grösste Belastung ist, aber man weiss nicht, was passiert, wenn Pestizide dazukommen. Es gibt Dosen, die weit unter den erlaubten Mengen liegen, die Bienen aber trotzdem massiv in ihrem Navigationsverhalten beeinträchtigen. Die Kombination von Faktoren kann einen sich gegenseitig verstärkenden Effekt haben und möglicherweise tödlich oder massiv beeinträchtigend wirken. Das wissen wir noch nicht. Alle bisher angewandten Testverfahren erwiesen sich als ungeeignet, und zwar überall. Keiner weiss derzeit, wie diese multiplen Faktoren zusammenwirken.

Ist die Forschung zur Wirkung von systemischen Pflanzenschutzmitteln, die also in die Pflanzen eindringen und dort wirken, ein Schwerpunkt von Ihnen?
Nein, das hat sich einfach so ergeben. Diese sogenannten Neonicotinoide wirken ganz spezifisch auf das Gehirn von Insekten und schaden dem menschlichen Gehirn – nach heutigem Kenntnisstand – nicht. Die pharmazeutische Industrie sucht nach solchen Substanzen, und diese Neonicotinoide sind da erstaunlich spezifisch für die Insektengehirne. Neonicotinoide sind sehr beliebt als pharmazeutische Keule in Monokulturen und werden auch in immer grösseren Mengen eingesetzt. Die Bienen will man dabei natürlich nicht schädigen. Aber die Gehirne von schädlichem Insekt und Biene sind zu ähnlich, deshalb kann man die Biene nur über sekundäre Massnahmen schützen, indem man etwa das Pestizid nur zu einer Zeit sprüht, wenn die Bienen nicht aktiv sind, es nicht aufnehmen können.

Es gibt also noch kein Pestizid, das gewisse «Schädlinge» trifft, nicht aber die Bienen und andere Insekten?
Das ist so. Insbesondere die Neonicotinoide wirken auf alle Insekten. Über den Zustand der Bienen wissen wir Bescheid, weil sich viele Imker um sie kümmern. Von der Biene wissen wir ja auch, welche wichtige ökonomische und biologische Rolle sie beim Bestäuben spielt. Aber eigentlich sind sie Stellvertreter. Mindestens so wichtig sind auch die Insekten, die wir nicht so wahrnehmen und die einfach massenhaft aussterben.

Die Biene ist also eine Art Meldesystem der biologischen Vielfalt?
Ja, wenn man sie entsprechend beobachtet, kann sie die Funktion einer Umweltwächterin einnehmen. Wir wollen herausfinden, wie die Substanzen wirken, was passiert, wenn die Tiere nicht sterben, aber eine nicht tödliche Dosis abbekommen. Wir fragen: Was geht da kaputt in ihren Gehirnfunktionen? Das wird immer mehr zu einem Schwerpunkt der Forschung. Auch weil man von der Industrie ja nicht einfach verlangen kann, dass sie aufhört mit dem Zeug.

Warum kann man das nicht verlangen?
Nun, das Gegenteil wird der Fall sein: Die Neonicotinoide haben enormen Erfolg, sie werden immer häufiger eingesetzt. Und die Bauern, die sie einsetzen, gehen vielleicht nicht immer so vorsichtig mit den Mitteln um, wie sie müssten. Die Bienen, die betroffen sind, sterben vielleicht nicht gerade, sie bekommen «nur» eine kleine Dosis ab. Aber was bewirkt welche Dosis von diesem oder jenem Neonicotinoid oder von mehreren verschiedenen? Was geschieht, wenn sie sich über längere Zeit anreichern, was ja tatsächlich passiert. Da weiss man bisher erst, dass sich die Mittel massiv auf das Navigationsverhalten der Tiere auswirken.

Können Bienen trotz akkumulierter Schädigungen weiterleben?
Ja, das ist grundsätzlich möglich. Denn die Substanzen können nach einer Weile auch wieder ausgeschieden oder abgebaut werden. Wir haben gemessen, dass die Tiere ab einer gewissen Dosis zuerst so massiv geschädigt sind, dass sie nicht fliegen können. Nach zwei, drei Stunden können sie wieder fliegen, sind aber desorientiert. Weil Bienen nicht überleben können, wenn sie nicht in den Stock zurückkommen, sterben sie dann vermutlich. Andere Substanzen und Dosen können wieder voll abgebaut werden. Ob es bei diesen trotzdem einen Langzeiteffekt gibt, verstehen wir noch nicht.

Es gibt verschiedene Neonicotinoide. Wie unterscheiden sie sich?
Neben solchen, die negativ auf die Orientierung wirken, gibt es auch solche, die die Bienen sozusagen high machen. Sie fliegen dann rasend schnell und sind sogar schneller zu Hause als andere Kontrollbienen. Die systemischen Pestizide wirken wie psychedelische Drogen auf Insekten. Sie büssen ihre Orientierungs- und Wahrnehmungsfähigkeit ein.

Systemische Pestizide sind erst seit wenigen Jahren auf dem Markt. Wussten die Erfinder dieser Mittel nicht, dass sie auf alle Insekten wirken?
Es gab sogar schon Pestizide, die Nebeneffekte beim Menschen hatten – plötzlich meldeten Bauern, dass sie sich nach deren Einsatz so toll fühlten … Ich bin immer wieder sehr verwundert, wie diese Substanzen, die so eine massive Wirkung auf das Nervensystem haben, in grossem Stil auf den Markt geschmissen werden. Und dann muss man sie nach einer Weile wieder vom Markt nehmen wegen der Nebeneffekte …

Ist denn sicher, dass die Neonicotinoide keine negativen Nebeneffekte auf den Menschen haben?
Ich kann mich nur auf die Literatur beziehen, in der meines Wissens keine bekannt gewordenen Effekte auf das Säugetiergehirn dokumentiert sind.

Ist dies der Grund, weshalb Neonicotinoide trotz ihrer Wirkung auf Insekten erlaubt sind?
Ja, weil sie für uns Menschen und andere Säugetiere nach heutiger Kenntnis weniger gefährlich sind als andere Pflanzenschutzmittel. Und sie haben gegenüber den zuvor eingesetzten klassischen Pestiziden eine Reihe weiterer Vorteile, weshalb sie jetzt favorisiert werden.

Sie selbst haben auch schon im Auftrag der Industrie geforscht.
Das war vor rund zehn Jahren. Ich sollte herausfinden, ob ein bestimmtes Pestizid auf Insekten wirkt. Das Mittel hatte eine massive Wirkung. Ich vermute, dass es ein Neonicotinoid war.

Sie vermuten es bloss?
Ja, ich durfte nicht wissen, um welches Mittel es sich handelte. Das Resultat war sehr negativ. Ich musste schriftlich zusichern, die Resultate nicht zu verwenden. In der Zwischenzeit sind wir mit unserer Forschung natürlich längst viel weiter als damals mit diesem Test.

Was passierte mit dem Mittel?
Ich fürchte, dass die Firma es in Kenntnis meiner Resultate trotzdem weiter produzierte und verkaufte. Es wusste ja niemand anders davon. Ich habe seither nie wieder etwas für die Industrie gemacht und werde es auch in Zukunft nicht mehr tun.

Andere Forscher arbeiten sehr wohl mit der Industrie zusammen …
Ja, in Deutschland auch die Bienenforschungsinstitute der Länder. Sie haben viele Daten zum Bienensterben, die sind nach allen Regeln der Wissenschaft aufgearbeitet, aber in gewisser Weise selektiv in der Blickrichtung und auf die Varroa-Milbe zentriert. Es bleibt ein fader Nachgeschmack, wenn ein Teil der Forschung von der Industrie bezahlt ist.

Der Zoologe und Neurobiologe Randolf Menzel (72) ist seit 1976 an der Freien Universität Berlin tätig. Ein Forschungsschwerpunkt von ihm sind Bienen.

«More than Honey»

Randolf Menzel ist einer der Protagonisten im neuen Dokumentarfilm des Schweizer Regisseurs Markus Imhoof, «More than Honey». Imhoof erforscht darin in eindringlichen Bildern das Bienensterben. Es ist eine persönlich gefärbte Reise, die bei einem Imker in der Innerschweiz startet und zeigt, wovon man vielleicht schon einmal gehört hat: die gigantischen Mandelbaummonokulturen in den USA etwa, die 2007 zum Verschwinden ganzer Bienenvölker führten.

Imhoof, dessen Tochter und Schwiegersohn selbst BienenforscherInnen sind, behandelt das komplexe Thema in einprägsamen Bildern und verblüffenden Nahaufnahmen.

«More than Honey». Schweiz/Deutschland/Österreich 2012. Regie: Markus Imhoof. 
Ab 25. Oktober im Kino.

Systemische Pestizide : Im Garten gebraucht

Im Frühling 2008 kam es im deutschen Rheintal unweit von Basel zu einem Massenbienensterben: Ganze Bienenvölker verendeten. Die ImkerInnen hatten bald einen Verdacht, der mittlerweile offiziell bestätigt ist: Der Wirkstoff Clothianidin tötete die Bienen. Clothianidin gehört zur Wirkstoffgruppe der Neonicotinoide, hochwirksamen sogenannten «systemischen Pflanzenschutzmitteln», die erst seit gut fünf Jahren auf dem Markt sind. Das synthetisch hergestellte Insektizid dringt in die Pflanze ein und greift von dort aus das Zentralnervensystem von Insekten an, die an der Pflanze saugen oder beissen.

Das Neonicotinoid, das 2008 die Bienen im Rheintal tötete, heisst Poncho Pro. Hersteller ist der deutsche Chemiekonzern Bayer. Verschiedene Poncho-Pflanzenschutzmittel sind auch in der Schweiz zugelassen – richtig angewendet, seien sie für Bienen ungefährlich, heisst es. Aber die richtige Anwendung ist aufwendig und wird kaum kontrolliert.

In der Schweiz ist eine ganze Reihe von systemischen Pflanzenschutzmitteln auf dem Markt, darunter etwa Cruiser von Syngenta, das unter anderem Mais vor dem Maiswurzelbohrer schützen soll und in der EU gerade geprüft wird. Aber auch in Produkten, die von HobbygärtnerInnen benutzt werden, gibt es Neonicotinoide. Etwa in einigen der bekannten Gesal-Produkte der Compo Jardin AG.

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