«Opération Libertad»: Stell dir vor, es ist Revolution, und keiner guckt hin

Nr. 43 –

Der Genfer Regisseur Nicolas Wadimoff rekonstruiert in seinem Mockumentary «Opération Libertad» die letzten Tage des bewaffneten Linksterrorismus als tragikomische Farce – und verschont uns dabei nicht mit Querbezügen zum heutigen Desaster.

Die Revolution in die Banken tragen: Der Geldkurier eines lateinamerikanischen Ausbeuterregimes gerät scharf ins Visier einer linken Aktivistentruppe.

Wie war das damals, als die heutigen AltachtundsechzigerInnen noch jung waren und glaubten, ihre Revolution werde die Welt verändern? Und wie war das, als die Wohngemeinschaften noch Kommunen hiessen und ihre BewohnerInnen versuchten, die Eifersucht mit freier Liebe zu bekämpfen? Ja, und wie war das eigentlich, als Drogenkonsum noch Freiheit bedeutete und der bewaffnete Kampf gegen den Kapitalismus als mögliche Option beim Abendessen diskutiert wurde – oder sogar geplant?

Nach- und überzeichnet

Es war ein bisschen so, wie Nicolas Wadimoff es in «Opération Libertad» nach- und manchmal auch schamlos überzeichnet: Da wird ein Zwanzigjähriger, der stolz mit einer der ersten Videokameras herumdilettiert, zum Chronisten einer Gruppe JungrevolutionärInnen, die der Öffentlichkeit bewusst machen will, dass in der Schweiz Diktatorengelder gewaschen werden. Was heute bei der Mehrzahl der SchweizerInnen höchstens noch Schulterzucken, aber keine Empörung hervorruft, hätte Ende der siebziger Jahre durchaus noch Newswert gehabt. Denn die zu Beginn nur Theorien wälzenden RevoluzzerInnen bewaffnen sich und überfallen eine Bank, die regelmässig Geld eines südamerikanischen Diktators entgegennimmt. Die Beute wollen sie mit der Widerstandsbewegung gegen General Alfredo Strössner in Paraguay teilen, und zur Aufklärung der heimischen Massen soll der Bankenkurier vor laufender Kamera seine Machenschaften gestehen. Doch der Überfall läuft völlig aus dem Ruder, und schliesslich hocken die frustrierten MöchtegernterroristInnen in einem abgelegenen Versteck mit einer verletzten Geisel am Hals, einem Millionenvermögen in der Tasche und keiner Ahnung, wie es weitergehen soll.

Doch mehr noch als die Ratlosigkeit drückt ihnen aufs Gemüt, dass ihre Aktion nicht beachtet wird. Von den Medien wird sie mit keinem Wort erwähnt. Selbst die Videoaufnahmen ihrer revolutionären Grosstat, die sie der «Tagesschau» zuspielen, werden nicht gesendet. Der Mord an Aldo Moro, am 9. Mai 1978 in Rom, lässt ihren Bankraub bedeutungslos werden.

Auch wenn man ob der Naivität der ProtagonistInnen herzhaft lachen mag, ist es dem Regisseur durchaus ernst mit seiner Thematik: «Der bewaffnete Kampf der RAF und der Brigate Rosse zerstörte letztlich einen Traum», meint Nicolas Wadimoff im Gespräch. Auf die Zerschlagung des Linksterrorismus folgte der Überwachungsstaat und mit ihm der Punk und die No-Future-Generation.

Die Musik rockt noch

Ein Grund, weshalb er diese irgendwie nur halb erfundene Geschichte habe erzählen wollen, seien auch seine Erfahrungen als Hausbesetzer, erzählt Wadimoff, der zu den Gründern des Kulturzentrums Usine in Genf gehört – eines Pendants zur Roten Fabrik in Zürich. Erst kürzlich habe man etwa 1500 BesucherInnen der ehemaligen Gasfabrik in einem Umzug bis vor ein grosses leer stehendes Haus geführt – doch heute komme niemand mehr auf die Idee, den Stacheldraht durchzuschneiden und das Gebäude für kulturelle Bedürfnisse in Beschlag zu nehmen. «Die Jungen scheinen verinnerlicht zu haben, dass sich nichts grundlegend verändern lässt, und schauen tatenlos zu, wie ihr Freiraum mehr und mehr beschnitten wird.»

Mit wackeligen, künstlich vergilbten Bildern lässt Wadimoff eine Zeit wiederauferstehen, in der Widerstand noch möglich schien und in der noch nicht alles global durchorganisiert und desillusioniert war. Dabei können alle Absurdität und Ironie nicht darüber hinwegtäuschen, dass seine nostalgisch verklärte Mär von den erfolglosen Westschweizer MöchtegernterroristInnen auch missionarische Züge trägt.

Nicht «Macht aus dem Staat Gurkensalat», ein Motto der nachfolgenden achtziger Jahre, kann die Losung für kommende Generationen sein, sondern «Erobert euch Freiräume zurück und baut selbst etwas auf». Diese Botschaft vermittelt Wadimoff nicht zuletzt über die Musik, die heute genauso rockt wie damals und vielleicht tatsächlich nicht nur nostalgisch veranlagte AltachtundsechzigerInnen ins Kino lockt, sondern auch die heute Zwanzigjährigen. Sie könnten über die «Opération Libertad» einen Einblick in die etwas wirre Jugendzeit ihrer Eltern gewinnen.

«Opération Libertad» von Nicolas Wadimoff in:

Zürich Riffraff, Do, 25. Oktober 2012, 20.45 Uhr, Film, 22.15 Uhr, Diskussion mit Wadimoff, Samir (Produzent), Mark Herkenrath (Alliance Sud), Daniel de Roulet (Schriftsteller). Moderation: Stefan Howald (WOZ). www.riffraff.ch

Basel Kult.Kino Camera, Fr, 26. Oktober 2012, 
20.45 Uhr, Gespräch mit Wadimoff und Samir. www.kultkino.ch

Bern Kellerkino, Sa, 27. Oktober 2012, 20.30 Uhr, Film und Diskussion mit Wadimoff, Samir, de Roulet.

Luzern Kino Bourbaki, So, 28. Oktober 2012, 
18.15 Uhr, Film und Diskussion mit Wadimoff, Samir, de Roulet. www.kinoluzern.ch

Opération Libertad. Regie: Nicolas Wadimoff. Frankreich, Portugal, Schweiz, 2012