Fumoir : Blut und Kapselschoppen

Nr. 46 –

Esther Banz über Clooney-Drinks für Babys.

Während ich mit dem praktischen Zahnstick aus Plastik die letzte reinigende Tat des Tages vollbringe und spüre, wie das Blut zwischen den Zähnen träge und süsslich herunterfliesst, überlege ich, ob heute ein Tag des ignorierenden Runterschluckens ist oder ein Tag des Ausspuckens und genaueren Betrachtens dessen, was sich da so ungebeten präsentieren will. Es ist ja nur Blut, meine Güte, geschehe nichts Schlimmeres. Aber es ist eben Blut.

Zahnfleischblut weckt bei mir keine Emotionen (ich hoffe, bei Ihnen auch nicht). Anderes Blut aber schon. Das Blut am Knie eines wie am Spiess schreienden Kindes oder jenes eines verdutzt dreinschauenden Hundes, der soeben angefahren wurde, oder sogar mein eigenes, wenn es an Orten austritt, die normalerweise dicht sind. Noch viel schlimmer als Blut, das nicht austreten sollte, sind aber andersartige Flüssigkeiten, die unkontrollierbar geworden sind. Und mindestens so unangenehm und eigentlich zu keinem Zeitpunkt erwünscht sind Worte, die plötzlich rausflutschen, ohne dass man das will, sowie unfreundliche Handbewegungen und andere Gewalttätigkeiten, auch verbale.

Das Leben ist ein einziges potenzielles unerwünschtes Austreten und Ausrutschen, stets muss man auf der Hut sein. Aber der Zahnarzt sagt ja, man könne dem Zahnfleischbluten vorbeugen, indem man das mit dem Plastikstick ein bisschen regelmässiger machen würde. Der Hausarzt seinerseits sagt, man könne Bluthochdruck, Fettleibigkeit, Herz- und vielen weiteren körperlichen Problemen vorbeugen, indem man regelmässig joggt. Der Psychiater wiederum ist zuversichtlich, dass Achtsamkeit üben, den Atem trainieren und Yoga praktizieren wirksame Prävention gegen Burn-out sei. Und die PaartherapeutInnen dieser Welt behaupten vermutlich, dass mehr miteinander reden und weniger Alkohol trinken viele blaue Flecken bei Frauen und viel Herzschmerz verhindern helfen würde.

Eigentlich werden wir permanent angehalten, unser Leben als Präventionsparcours zu absolvieren: als Baby und Kind brav alles aufessen, damit wir ja keine schwächelnden Erwachsenen werden, als Kind, Teenager und bald auch als Scheintote fleissig lernen in der Schule, um ja nicht aufs Rav-Büro zu müssen (egal wie viele Jobs noch gestrichen werden), und noch mehr Weiterbildung, wenn die Jobs einmal weg sind, damit wir sie als frisch diplomierte Entrepreneurs gleich selber schaffen können. Und dann eben die Gesundheit.

Kürzlich habe ich im Schaufenster einer Apotheke an der Zürcher Bahnhofstrasse das neuste Produkt von Nestlé gesehen – quasi Nescafé fürs Bébé: das Kapselsystem für den Babydrink. Endlich müssen Babys nicht mehr sterben, weil der Schoppen verunreinigt ist, das sind doch gute Nachrichten, das ist ernst genommene Prävention! In den Slums wird die junge Mutter künftig total entspannt ihren Nespresso forte trinken können, während sie eine gelbe Kapsel in die Plastikmaschine schiebt, auf den Knopf drückt, ihr Jüngstes anstrahlt und sagt: «Hmmm, jam, jam.»

Dazu, ob Babymilch aus der Kapsel auch späterem Zahnfleischbluten vorbeugt oder dieses andersrum sogar befördert, ist noch nichts bekannt. Nestlé hat sich aber schon gegen andere Vorwürfe gewappnet und verweist deshalb auf den Rat der Weltgesundheitsorganisation, die Babys während der ersten sechs Monate ausschliesslich zu stillen. Gut, dann muss das Baby eben ein bisschen warten, bis es seinen ersten weissen Clooney-Drink kriegt, das geht ja noch. Wir anderen freuen uns darauf, in der Geriatrie dereinst den Aperol Spritz aus der Plastikmaschine serviert zu bekommen, weil es gegen zittrige Hände auch bis dann keine präventiven Massnahmen gibt.

Esther Banz ist freie Journalistin 
und lebt in Zürich.