Nordirland: Furcht und Randale

Nr. 50 –

Es geht auch um die Flagge, aber nicht nur darum. Seit Tagen protestieren probritische LoyalistInnen in Nordirland gegen eine Entscheidung des Gemeinderats von Belfast. Am 3. Dezember hatte der vornehmlich irisch-katholische Rat beschlossen, die britische Fahne nicht mehr das ganze Jahr über dem Rathaus wehen zu lassen, sondern nur noch an fünfzehn wichtigen Tagen. Damit folgte die Stadt dem Beispiel der nordirischen Versammlung, die über dem Regierungsgebäude Stormont ebenfalls nur an besonderen Tagen den Union Jack hisst.

An den Aktionen beteiligen sich fast ausschliesslich LoyalistInnen aus den protestantischen Armenvierteln – und sie erinnern an die grossen Proteste in den achtziger Jahren, als die unionistische Bevölkerungsmehrheit noch jede Annäherung an die Gegenseite – die nordirisch-katholischen NationalistInnen – vehement ablehnte. Das hat sich seit dem Karfreitagsabkommen 1998 zwar geändert (es gibt eine gemeinsame Regionalregierung), aber die Angst vor einem Vereinigten Irland ist geblieben. Mit der Realität hat diese tief sitzende Furcht nichts zu tun: Die Republik Irland ist ökonomisch dermassen angeschlagen, dass sie sich einen Anschluss des Nordens auch dann nicht leisten könnte, wenn sie ihn wollte.

Dass die protestantischen Armen dennoch wegen Nichtigkeiten wie des Einholens einer Fahne so empört durch die Strassen ziehen, zeigt, wie gespalten die nordirische Gesellschaft immer noch ist. Die protestantischen Arbeitslosen sehen sich als VerliererInnen des Friedensprozesses, von dem vor allem die katholische Mittelschicht profitierte. In ihren Quartieren liegt die Arbeitslosigkeit so hoch wie in den katholischen Elendsvierteln: bei über fünfzig Prozent. Und gerade dort demontiert die britische Regierung den Sozialstaat inzwischen genauso erbarmungslos wie in den ehemaligen Industriestädten in Britannien.