Wiler Biogaskontroverse: Der Vertrag, von dem niemand wusste

Nr. 50 –

Die Geschäftsprüfungskommission der St. Galler Kleinstadt Wil erhebt schwere Vorwürfe gegen den FDP-Stadtrat Andreas Widmer, der für überteuerte Biogaslieferungen verantwortlich ist. Wil dürfte viel Geld verlieren. Wird die benachbarte Tiermehlfabrik helfen?

Es ist die letzte Gemeinderatssitzung für den Wiler Stadtrat Andreas Widmer. Und vermutlich die unangenehmste: Aus allen Fraktionen – mit Ausnahme seiner eigenen – hagelt es Kritik am abgewählten FDP-Mann. Den ganzen Abend sitzt er mit einem eingefrorenen Lächeln da.

An diesem 6. Dezember stellt die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Wiler Parlaments ihren Bericht «betreffend Zahlungen an die Biorender» vor. Die Thurgauer Firma Biorender stellt Biogas aus tierischen Abfällen her und hat grosse finanzielle und technische Probleme (siehe WOZ Nr. 49/2012 ). Sie gehört zu drei Vierteln den Städten Winterthur, Wil und St. Gallen. Die Stadt Wil hat allein letztes Jahr 1,7 Millionen Franken an Biorender bezahlt, und sie zahlt weiterhin unüblich hohe Biogaspreise. Die Zahlungen liefen bisher über die sogenannte Arbeitspreisreserve der Technischen Betriebe Wil (TBW). Verantwortlich dafür ist FDP-Stadtrat Widmer, Vorsteher der TBW. Die Fraktion Grüne Prowil, die die Sache aufgedeckt hat, spricht von Veruntreuung.

Dieses Wort nimmt GPK-Sprecher Klaus Rüdiger (SVP) nicht in den Mund. Doch seine Ausführungen lassen staunen: Es gibt zwei Verträge, die sich widersprechen. Der Aktionärsbindungsvertrag zwischen Biorender und der Stadt verpflichtet Wil dazu, Biorender-Gas zu beziehen – aber nur, wenn der Zuschlag für «ökologischen Mehrwert», den Biorender festlegt, acht Rappen pro Kilowattstunde nicht übersteigt. Doch der Zuschlag betrug immer 25 bis 50 Rappen – Wil war nie verpflichtet, Gas zu diesen Preisen zu beziehen.

Im zweiten Vertrag, dem sogenannten Gas-Swap-Vertrag zwischen den TBW und der Erdgas Ostschweiz AG, gibt es dagegen keine Limite: Wil ist verpflichtet, Gas zu beziehen, Punkt. Von diesem zweiten Vertrag erzählte Andreas Widmer seinen StadtratskollegInnen nichts. Fazit der GPK: Die Zahlungen seien eine «klare Kompetenzüberschreitung». Die TBW hätten sich nicht wie ein städtisches, sondern wie ein Privatunternehmen verhalten.

«Nebelgranaten gezündet»

Auf Anfrage der WOZ erklärt GPK-Sprecher Klaus Rüdiger: «In der Buchhaltung tauchen die Gaslieferungen mit einem Zuschlag von acht Rappen pro Kilowattstunde auf. Der Rest des Zuschlags wurde separat verrechnet. Auf diesen Rechnungen stand: ‹Bitte nicht bezahlen, wird über Arbeitspreisreserve verrechnet.›» Wer die Buchhaltung anschaute, merkte also nichts von den hohen Zuschlägen.

Der Beschuldigte geht in seiner Verteidigungsrede nicht auf den Inhalt der Vorwürfe ein. Stattdessen wirft er der GPK vor, sie habe das Amtsgeheimnis verletzt und hätte das Gutachten abwarten müssen, das die Stadt bei der Universität St. Gallen bestellt hat. Doch bis dieses da ist, wird Widmer schon nicht mehr im Amt sein. Während seines Votums verlässt seine SP-Kollegin Barbara Gysi demonstrativ den Tisch. Sogar ein CVP-Gemeinderat wirft ihm vor, er habe «Nebelgranaten gezündet».

In Wil hoffen nun viele auf die Tiermehlfabrik Bazenheid, die offiziell TMF Extraktionswerk AG heisst. Sie verarbeitet den gleichen Rohstoff wie Biorender: tote Tiere. Allerdings stellt sie nicht Biogas, sondern Tiermehl und Extraktionsfett her, die sie als Brennstoffe verkauft. Eine Beteiligung an Biorender sei denkbar, sagt TMF-Geschäftsführer Harald Lüling. Doch er zweifle, ob Biorender je rentieren werde.

Biorender wie TMF haben zwei Einkommensquellen: die Gebühren für die Entsorgung der tierischen Abfälle und die Erträge aus dem Verkauf ihrer Energieträger. Die TMF hat einen öffentlichen Entsorgungsauftrag und muss im Gegensatz zu Biorender keinen Gewinn machen. «Wir sind verpflichtet, die Entsorgungskosten so tief wie möglich zu halten», sagt Lüling. Wenn die Erträge aus dem Verkauf steigen – und das ist der Fall, weil mehr Industriebetriebe Tiermehl und Fett nachfragen –, senkt die TMF die Entsorgungsgebühren. Biorender habe in ihrer Wirtschaftlichkeitsrechnung mit viel höheren Einnahmen aus der Entsorgung gerechnet, als sie heute bekomme, sagt Lüling. «Trotzdem versucht sie, die Marktpreise zu unterbieten.» Das bestätigt, was viele KritikerInnen des Biorender-Deals schon lange befürchten: Die Rohware reicht nicht für zwei so grosse Anlagen, die fast nebeneinander stehen.

Lüling plädiert dafür, so viele tierische Nebenprodukte wie möglich als Lebensmittel oder zumindest als Tierfutter zu verwerten, «aus ökonomischen, aber auch aus ethischen Gründen». Er fände es gut, wenn Futter aus tierischem Eiweiss für Hühner und Schweine wieder zugelassen würde, auch wenn damit die Rohware für die TMF abnähme.

Das verschwiegene Angebot

Laut «St. Galler Tagblatt» schrieb die TMF im Sommer 2008 einen Brief an Stadtrat Andreas Widmer – kurz bevor das Parlament die Investition in Biorender bewilligte. Sie warnte vor «Entsorgungsüberkapazitäten» und bot eine Zusammenarbeit im Biogasbereich an. «Wenn Widmer uns darüber informiert hätte, wäre der Biorender-Deal nicht durchgekommen», sagt der grüne Gemeinderat Guido Wick. «Ich hätte die TMF klar vorgezogen. Sie hat viel mehr Know-how in diesem Bereich.»

Bis jetzt hat die Stadt Wil (inklusive Zuschläge für «ökologischen Mehrwert») 5,3 Millionen Franken in Biorender investiert. Sie wird noch mehr investieren müssen: An der Aktionärsversammlung vom 10. Dezember haben die beteiligten Städte beschlossen, 2013 das Biorender-Gas noch teurer einzukaufen. So lässt sich der Konkurs vielleicht abwenden. Auch Wil macht mit – kündigt aber auf den 30. Juni den ominösen Gas-Swap-Vertrag. Danach entscheidet das Parlament. «Wenn ich mir vorstelle, was wir mit diesem Geld bei der Wiler Bevölkerung im Umweltbereich bewegt hätten», sagt Guido Wick. «Wir hätten mehr Energie gespart, als die Biorender je produzieren wird. Das tut weh.»