Medientagebuch: Was Augstein wirklich tut

Nr. 2 –

Rudolf Walther über die Selbstzerstörung des «Freitag».

Das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Kalifornien, längst zu einer Propagandastelle der israelischen Aussenpolitik verkommen, setzte den deutschen Journalisten Jakob Augstein auf die Liste der weltweit «schlimmsten Antisemiten» und löste damit in Deutschland einen medialen Sturm aus. So trat in den Hintergrund, dass Augstein – Besitzer und Chefredaktor der linken Wochenzeitung «Freitag» – gerade dabei ist, seine eigene Zeitung zu vernichten: Beim «Freitag» soll knapp ein Fünftel der Stellen gestrichen werden. Ein exemplarischer Fall für verlegerische Fehlentscheidungen und Illusionen.

Als Jakob Augstein das Blatt 2009 kaufte, kündigte er in einem Interview so etwas wie eine Revolution an: «Wir sind keine reine Zeitung mehr, sondern ein Medium, das versucht, Online und Print komplett ineinander zu verschränken.» Auf der Jahrestagung des Netzwerks Recherche schwärmte er: «Wir drucken alles: Bürgerjournalismus, Blogger und Experten.» Und: «Unsere freien Autoren müssen ihr Geld woanders verdienen. Ich bin für meine Leser zuständig, nicht für die freien Journalisten.» Die forsche Ansage blieb fast ohne kritisches Echo. In einem Anfall von Hybris nannte Augstein den britischen «Guardian» als Vorbild. Der «Guardian» beschäftigt 650 RedaktorInnen, der «Freitag» rund 20. Das englische Blatt hat noch eine Auflage von 220 000 Exemplaren, das deutsche eine von 14 000.

Aber in einem Punkt sind die beiden Blätter vergleichbar: Augstein entlässt jetzt ein Fünftel der MitarbeiterInnen, der «Guardian» gut ein Sechstel. Das Geschäftsmodell beider Zeitungen war von Anfang an auf Sand gebaut, denn es geht davon aus, dass die Verknüpfung von Online und Print, Bloggerei und Meinungshuberei auf der einen sowie Qualitätsjournalismus auf der anderen Seite nicht nur zukunftsweisend, sondern auch finanziell lukrativ ist. Augstein: «Die Tageszeitungen machen meiner Meinung nach jetzt schon keinen Sinn mehr, weil auf den ersten zwei, drei Seiten nur Nachrichten stehen, das ist völliger Schwachsinn. (…) Ich wüsste nicht, warum es die ‹Süddeutsche› in zwanzig Jahren noch geben soll. (…) Ich glaube, dass ich über das, was tatsächlich in der Gesellschaft los ist, aus der ‹Bild› mehr erfahre als aus der ‹Süddeutschen› (…). Ich bin ein grosser Freund vom Boulevard, weil ich glaube, dass er genau dahin geht, wo die ganzen arrivierten Journalisten nicht mehr hingehen» – so Augstein im Juni 2009 in der «Frankfurter Rundschau».

Ein halbes Jahr später erkannte Augstein den eigenen Irrtum. Im Netz mit Gratisangeboten Geld zu verdienen, gelang bis heute nur einigen grossen Portalen – und ganz wenigen Zeitungen. Die Verlage blieben auf ihren Kosten sitzen, den Printausgaben halfen die sündhaft teuren Netzauftritte wenig oder gar nichts, weil sich BloggerInnen an den Satz von Niklas Luhmann halten: «Das System tut, was es tut.» Und der Blogger bloggt seine Meinungen in die Sphäre, aber abonniert deswegen keine Zeitung und schaltet erst recht keine Anzeigen.

Beim «Guardian», dessen Auflage seit dem Jahr 2000 von 400 000 Exemplaren auf 220 000 sank, wuchs auch nur das Defizit – im letzten Jahr auf 55 Millionen Euro. Den grössten Teil dieser Summe hat der «Guardian» mit seiner aufwendigen Onlineausgabe buchstäblich im Netz versenkt. Wie hoch das Defizit beim «Freitag» ist, weiss man nicht. Doch mit dem Stellenabbau wird für den traditionsreichen «Freitag» die letzte Runde eingeläutet. Das ist traurig, aber absehbar.

Rudolf Walther ist Journalist in 
Frankfurt am Main.