Abzockerinitiative: Eine Watsche für die da oben

Nr. 5 –

Die Millionengehälter und goldenen Fallschirme für Manager nerven die Bevölkerung seit zehn Jahren. Jetzt kommt die Minder-Initiative zur Abstimmung. Ein Stimmungsbild von der Basis.

«Noch selten so häufig auf eine Initiative angesprochen worden»: Bundesrätin Simonetta Sommaruga bei einer Diskussion in St. Gallen.

Solange Thomas Minder den Mund nicht aufmacht, wirkt der schmallippige Mundwasserhersteller, als würde er immerzu eisgekühltes Hahnenwasser trinken. Macht er ihn auf, wettert seine schneidende Stimme gegen Abzocker in den Teppichetagen. Der grau melierte Ständerat tönt dann manchmal wie ein Linker. Aber natürlich ist er ein Rechter, der es mit den EigentümerInnen hat. «Ich will den Kapitalismus retten», sagte er einmal in einem Interview.

Mittwoch letzter Woche: S-Bahn-Fahrt in Minders Heimat. Mitschwimmen im abendlichen Pendlerstrom Richtung deutsche Grenze. Endstation Schaffhausen. Verabredung mit Claudio Kuster, Minders politischem Sekretär. Sieben Jahre, fast sein ganzes Erwachsenenleben, hat sich der Sohn eines Bankdirektors gegen die Abzocker engagiert. Doch bis vor wenigen Wochen haben die Medien vom Informatiklehrer kaum Notiz genommen. Nun, Wochen vor der Abstimmung, ist seine Stimme in den Tageszeitungen und in den elektronischen Medien präsent. Er wird porträtiert, JournalistInnen zollen ihm Respekt für seine Sachkenntnis, und die NZZ lässt ihn auf der Meinungsseite gegen Christoph Blocher antreten.

Ein Pirat bei den Alternativen

Anders als sein Chef wirkt Claudio Kuster zurückhaltend, freundlich, ruhig. Aber in der Sache ist er mindestens so hartnäckig und gradlinig wie Minder. Politisch haben sie das Heu nicht auf derselben Bühne. Er war bei den Schaffhauser Stadtratswahlen im Unterstützungskomitee der Alternativen Liste (AL), er sähe sich am ehesten bei den Grünliberalen, würden sie nicht «so diktatorisch» geführt, oder dann bei der Piratenpartei. «Aber die spielen in Schaffhausen keine Rolle», sagt Kuster. Und beiläufig lässt er dann fallen, dass der erste Entwurf der Initiative eine Vorwegnahme der 1:12-Initiative der Juso gewesen sei. Doch welches Verhältnis vom tiefsten zum höchsten Lohn ist das richtige? 1:12? 1:24? Oder gar 1:40, wie der deutsche Wirtschaftsethiker Ulrich Thielemann meinte, als Kuster und Minder ihn konsultierten? «Das war eine Knacknuss. Und weil wir eine Chance an der Urne haben wollen, entschieden wir uns, die Eigentümer in die Pflicht zu nehmen.»

Augenringe hat er, abgekämpft sieht der 32-Jährige aus. In zwei Stunden wird Kuster seine Argumente vor der Alternativen Liste im Zürcher Volkshaus vortragen. Wie sein Chef eilt er von Einladung zu Einladung, bloss: Während Minder die grossen Auftritte bedient, debattiert er vor der Piratenpartei, der EDU, vor Unia-Sektionen. Claudio Kuster war all die Jahre nahe dran. Jeden Anruf hat er entgegengenommen. Er erinnert sich an einen Mann, der entlassen wurde und in die Sozialhilfe abrutschte. «Er hat seinem Unterstützungsbrief ein Zehnernötli beigelegt.»

Minders und Kusters Kampf trifft einen Nerv. Es ist ein Kampf zwischen David und Goliath. Während die Economiesuisse acht Millionen in den Abstimmungskampf wirft und «gedungene» LeserbriefschreiberInnen einsetzt, wie es ein Mann an einer Veranstaltung ausdrückte, beläuft sich Minders Budget auf 200 000 Franken. Eine Niederlage an der Urne werde er nicht persönlich nehmen, «aber es wäre eine Niederlage für die direkte Demokratie, wenn sich die Wirtschaft eine Abstimmung kaufen könnte». Minder und Kuster haben die bürgerlichen Parteien gegen sich und das SVP-Establishment, aber auch bekannte Linke wie Rudolf Strahm, Daniel Jositsch und den Gewerkschaftsbund-Ökonomen Daniel Lampart.

Aus unterschiedlichen Gründen. Blocher, der die eigenen wirtschaftlichen Interessen vertritt, habe sein Wort gebrochen, sagt Kuster. Daniel Jositsch, der im Parlament und in der Wirtschaftskommission nie ein Widerwort habe verlauten lassen und «mit uns gestimmt» habe, lasse sich nun als Präsident des Kaufmännischen Verbands vor den Karren der Economiesuisse spannen. Während Kuster sich darüber auslässt, kann er seine Verachtung schwer verbergen, sein Gesicht rötet sich, die Müdigkeit ist wie weggeblasen. Das Argument, eine zwingende jährliche Wiederwahl des Verwaltungsrats, wie sie die Initiative vorsieht, erleichtere «Heuschrecken», also spekulativen InvestorInnen, das Handwerk, wischt er als «Scheinargument» weg: «Wie Vekselberg bei Sulzer gezeigt hat, ist das bereits heute möglich.» Kuster sagt: «Unsere Initiative hat auch eine Ventilfunktion.» Es gehe dabei nicht um Neid, sondern um die mangelnde Scham von Managern vom Schlag eines Daniel Vasella, um mangelndes Augenmass. Es sei keine Auseinandersetzung zwischen links und rechts, zwischen Stadt und Land: «Es ist ein Fight zwischen Basis und Elite. Der Unmut gegen die Abzocker ist sehr breit.» Die letzte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts GFS in Bern unterstreicht Kusters Einschätzung: 65 Prozent beträgt die Zustimmung, unter den SVP-WählerInnen sollen es sogar 67 Prozent sein.

Absichtlich in die Populismusfalle

In einem Saal im Zürcher Volkshaus fasst die Alternative Liste ihre Parole zur Abzockerinitiative. Gut zwanzig Mitglieder sind gekommen. Claudio Kuster trifft hier auf kritisches Wohlwollen, aber nicht auf ungeteilte Zustimmung. Vorstandsmitglied Niklaus Scherr sagt, die Begeisterung über die Minder-Initiative halte sich in Grenzen. «Hier streiten sich Kapitalbesitzer und Manager um die Beute, die Lage der mehrwertproduzierenden Lohnabhängigen wird ausgeblendet.» Und die «Aktionärsdemokratie» sei bloss eine «nette Illusion». Statt auf Einsicht und Mässigung der Aktionäre zu setzen und Reformillusionen zu nähren, müsse die Linke klar für öffentlich-rechtliche Regulierungen kämpfen. Aber angesichts der politischen Verschleppungen und des millionenschweren Einsatzes der Economiesuisse werde wohl auch die AL nicht um eine Ja-Parole herumkommen, die Linke sitze in der Populismusfalle. Ein anderer meint: «Wenn die Vertreterin der Monopolkapitalisten so vehement dagegen ist, müssen wir einfach Ja stimmen – mit diesen Wölfen möchte ich nicht heulen.»

Claudio Kuster räumt ein, dass die Initiative bloss ein erster Schritt in Richtung Demokratisierung der Wirtschaft sei. Er streicht vier Punkte heraus: die zwingende jährliche Wiederwahl des Verwaltungsrats; Strafbestimmungen für fehlbare Manager; das Verbot von goldenen Fallschirmen, Vorauszahlungen sowie Prämien für Manager bei Firmenkäufen und -verkäufen; die Stimmpflicht und die Offenlegung des Stimmverhaltens von Pensionskassen und des AHV-Ausgleichsfonds, einem der grössten Anleger an der Schweizer Börse. Das zwinge zu Transparenz, die Versicherten wüssten dann, wie die Pensionskassen und der AHV-Fonds mit ihrem Geld umgehen. Offensichtlich fürchten sich die Pensionskassen davor und sehen sich nicht in der Lage, die Interessen ihrer Versicherten wahrzunehmen. Der Verband lehnt die Initiative ab.

Kuster demontiert den Gegenvorschlag, die vielen Hintertürchen, die er offen lässt. «Dieses Gesetz ist nicht griffig, es setzt die Abzocker nicht wirklich unter Druck. Ich muss ehrlicherweise aber eingestehen, dass es auch bei Annahme unserer Initiative weiterhin Millionensaläre geben wird. Aber immerhin gibt sie den Aktionären ein griffiges Instrument gegen die Abzockerei in die Hand.»

Anders als die 1:12-Initiative, sagt ein AL-Mitglied, habe die Abzockerinitiative keine systemverändernde Wirkung. Die Linke solle nicht in die Populismusfalle tappen. Antrag: Stimmfreigabe. Claudio Kuster stimmt der Einschätzung zu, er hege Sympathie für die Juso-Initiative, «schliesslich ist sie auf unserem Mist gewachsen». Aber die Abstimmung habe eine wichtige Signalwirkung: «Wird die Initiative abgelehnt, haben sozialpolitische Vorlagen wie die Erbschaftssteuer und der Mindestlohn kaum mehr Chancen.» An diesem Abend tappt die Mehrheit der AL-Leute absichtlich in die Populismusfalle und beschliesst die Ja-Parole.

Fürs Hintertürchen

Samstag. Drei Tage später im solothurnischen Balsthal. Vor der Badmintonhalle im Industriequartier drängen sich SVP-Delegierte. Erholungspause vor der Abzockerdebatte. Ein SVP-Anhänger aus Balsthal sagt: «Ich wollte mir das mal anschauen. Schön, nicht?» Und er sagt: «Egal was die Delegierten nachher beschliessen, die kleinen Leute werden der Initiative zustimmen, sie haben die Schnauze voll, sie wollen ein Zeichen setzen.» In der überbevölkerten Halle stehen sich die Delegierten auf den Füssen herum. Noch beugen sie sich über Hörnli mit Gehacktem, schütteln Hände, kauen an den Fingernägeln, diskutieren.

Dann das Duell zwischen Thomas Minder und Christoph Blocher. Kommt es hier zu einer Überraschung wie in Zürich und im Aargau? Folgen auch die schweizerischen SVP-Delegierten Minder? Für Blocher geht es um viel Prestige. Minder schlägt sich gut, erntet Applaus («Das V im Parteinamen steht für Volk. Die SVP politisiert fürs Volk, nicht fürs Establishment»). Blocher zieht seine übliche rhetorische Show ab. Und offenbart sich als Demagoge. Er hantiert mit falschen, übertriebenen Zahlen. (Ein elektronisches Abstimmungssystem für AktionärInnen, wie Minder vorschlägt, koste eine halbe Million, behauptet Blocher, Minder korrigiert ihn: 50 000 Franken. Es ist nicht das einzige Beispiel.) Und Blocher sagt offen, dass er als Unternehmer auch aus Eigennutz gegen die zu starren Regeln der Initiative sei. Also für Hintertürchen. Nach den Referaten drängen sich in der offenen Diskussion viele ans Mikrofon. Mehr als dreissig melden sich zu Wort. Das Parteiestablishment schart sich mit Ausnahme von Oskar Freysinger und Maximilian Reimann hinter Blocher. Christoph Mörgeli drischt auf die Medienleute ein: «Was glauben Sie, weshalb heute Hundertschaften von Journalisten da sind? Weil sie uns gern haben? Sie wollen sich daran ergötzen, wie wir uns zerfleischen!» Und wenn Linke eine Initiative befürworteten, könne doch die SVP nicht dafür sein. Und so weiter.

Falls die These stimmt, dass die Abzockerinitiative eine Auseinandersetzung zwischen Basis und Establishment ist – in den Wortmeldungen in dieser Halle spiegelt sie sich. Die Angstmacherargumente der Economiesuisse von Arbeitsplatzverlusten und Schwächung der Wirtschaft fliessen hier ein. Fast alles, was Rang und Namen hat, spricht gegen Minder. Von den einfachen SVP-Leuten tönt es anders: «Das Parlament hat jahrelang gebraucht für dieses zahnlose Gesetz, jetzt macht die Economiesuisse auf Angstmacherei. Ihre Argumente sind Blödsinn! Jetzt muss das Volk endlich einen Riegel schieben. Ich bin für Minder und gegen das Wischiwaschigesetz!» Der Kopf beginnt am Kopf zu stinken. Masshalten. Ehrlichkeit. Die Elite schaut nur auf sich. Doch am Ende stimmen die Delegierten deutlich für den Gegenvorschlag, für Blocher und das Parteiestablishment. Ein bulliger junger Mann, kahl geschoren, stürmt auf den Parkplatz und sagt im Vorbeigehen: «Auf dieses Nein bin ich nicht stolz!»

Applaus nur für die Linke

«Ein griffiges Instrument gegen die Abzocker»: Claudio Kuster argumentiert vor der Alternativen Liste in Zürich für die Initiative.

Montag. Lokremise St. Gallen. Wo sonst Theater gespielt wird, drängt sich ein älteres, bürgerliches Publikum. Bundesrätin Simonetta Sommaruga referiert. «Ich bin noch selten so häufig auf eine Initiative angesprochen worden», sagt sie. In der Bevölkerung seien Ärger und Frust weit verbreitet. Man wolle ein Zeichen setzen. Aber die Minder-Initiative überzeuge sie nicht. Sie greife zu tief in die Mechanismen der Wirtschaft ein und sei zu starr. Sie verstehe den Ärger, aber man müsse jetzt verantwortungsbewusst handeln. «Schauen Sie sich die Vorlage genau an, und wägen Sie ab.» Die Initiative gebe den AktionärInnen noch mehr Macht. Diese hätten aber diese hohen Saläre und Boni immer abgesegnet und von ihrem Recht kaum Gebrauch gemacht. Sie empfiehlt den «massvollen» Gegenvorschlag, das vom Parlament beschlossene Gesetz. Und wie reagiert das gesetzte, in Ehren ergraute Publikum? Es beklatscht in der anschliessenden Podiumsdiskussion ausschliesslich die Pro-Minder-Voten der beiden Linken. Das will etwas heissen in St. Gallen.

Wer stimmt wie? : Minder spaltet

Am 3. März findet die Abstimmung über Thomas Minders Abzockerinitiative statt. Bei einer Annahme müsste der Bundesrat die Initiative innerhalb eines Jahres auf dem Verordnungsweg umsetzen. Der Verfassungsartikel würde die rund 300 börsenkotierten Unternehmen der Schweiz betreffen.

Das Parlament hat seit der Einreichung von Minders Initiative im Februar 2008 in einem jahrelangen Hin und Her am 16. März 2012 einen indirekten Gegenvorschlag dazu verabschiedet. Dieses Gesetz tritt in Kraft, falls Minders Initiative am 3. März abgelehnt wird und danach niemand erfolgreich das Referendum dagegen ergreift.

Minder spaltet mit seiner Initiative Verbände und Parteien. Die bürgerlichen Parteien BDP, Grünliberale, FDP, CVP und SVP haben die Nein-Parole gefasst. Wobei die SVP nicht geeint auftritt: Die Kantonalparteien Zürich, Aargau, Glarus und Valais romand haben die Ja-Parole beschlossen. Auf der linken Seite haben SP, Juso und Grüne die Ja-Parole beschlossen. Allerdings gibt es innerhalb der Linken ablehnende Stimmen, allen voran der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm oder Daniel Lampart, der Ökonom des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds. Der SGB selbst empfiehlt, leer einzulegen.

Auch bei den Verbänden gibt es Überraschungen. So hat sich der Verband des Bankenpersonals für ein Ja ausgesprochen, die Gewerkschaft Travail Suisse hingegen, der Kaufmännische Verband Schweiz und die Stiftung Ethos treten für ein Nein ein. Ebenfalls für ein Ja sind die AktionärInnen für nachhaltiges Wirtschaften (Actares). Wenig überraschend sind die Nein-Parolen von Economiesuisse und dem Gewerbeverband. Das Bundesparlament konnte sich nicht auf eine Empfehlung einigen, daher darf auch der Bundesrat im Abstimmungsbüchlein keine offizielle Empfehlung abgeben. Man weiss jedoch, dass er die Initiative ablehnt.