Kost und Logis: Mensch und Maus

Nr. 5 –

Karin Hoffsten über ethische Konflikte im Umgang mit Nagetieren.

Es begann im letzten Sommer. Im Ferienhäuschen, dessen Deckenbalken die Jahreszahl 1643 trägt, kroch Maya auf der Suche nach einer Salatschüssel in Schränke und stiess dabei auf ein braun-weisses Steingutgefäss, wie es früher in jedem Haushalt stand. Doch es war nicht leer.

«Wer hat die da so dreckig reingestellt?», fragte sich Maya, dann sah sie genauer hin: graues Gewölle, schwarze Krümel und – o nein! – Knöchlein und ein winziges Gebiss. Hier hatte eine Maus die Futtersuche mit dem Leben bezahlt. In der Schüssel gefangen, hatte sie die glatten Wände nicht mehr erklimmen können und war verhungert. Hinter der Spüle fanden Maya und ihr Freund Max dann auch das Nest, das die Verstorbene aus dem Isoliermaterial um die Wasserleitung gebastelt hatte. Zu beider Erleichterung stand es leer.

An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass Max und Maya liebenswürdige MitbürgerInnen sind, über ein gefestigtes Wertesystem verfügen und auch gegenüber Fauna und Flora nicht zu Gewalt neigen. Doch Menschen haben Schattenseiten, weshalb sensible Naturen hier nicht weiterlesen sollten.

Als das Paar im Winter erneut das Häuschen betrat, war der Flurteppich angeknabbert, überall lagen Faserknäuel herum. Nachts hörten sie im Zwischenboden Getrippel. «Wenn da Familienplanung im Gang ist, wirds übel», sagte Max, der sich im Landleben auskennt, «das gibt alle zwei Monate zehn Junge, die vermehren sich exponentiell!» Er beschloss, eine Falle aufzustellen. Maya, aus kleinstädtischem Milieu stammend, zögerte. Sie fand das grausam. «Was soll ich denn sonst machen?», fragte Max, «das ist die humanste Methode. Ich kann die Maus doch nicht mit heissem Wasser übergiessen oder vergiften!» Es schauderte beide, fürs Erste schoben sie die Konsequenzen auf.

Am Abend präparierte Max appetitliche Käsestücklein in einer Falle, die er im Keller aufstellte. Am nächsten Tag war der Käse weg und die Falle leer. Das nächtliche Getrippel klang triumphierend. Als Max morgens den Mülleimer öffnete, sprang ihm die Maus wie ein kleines Geschoss entgegen und verschwand in der Wand hinter der Spüle. Maya quietschte und beteuerte, dass sie an seiner Stelle einem Herzkasper erlegen wäre.

Maxens bemächtigte sich nun ein atavistischer Jagdtrieb. «Jetzt mach ich was Böses», sagte er und steckte den Käse in der Falle mit einer Nadel fest. Maya, ganz Mittäterin, schwieg zum ungleichen Kampf. Das Mäuseschicksal war besiegelt. Am nächsten Morgen war die Falle zugeschnappt, das tapfere Mäuschen hatte sich noch einen halben Meter weit weggeschleppt, ehe es tot zusammengebrochen war.

«Hoffentlich wars die letzte!», fand Max, während Maya in trivialer Spannungsliteratur Ablenkung suchte. Mit der Last ihrer Schuld müssen jetzt beide allein fertigwerden.

Karin Hoffsten schreibt für die WOZ 
und macht regelmässig Theater.