Militär und Polizei : Die Spur eines Transparents

Nr. 5 –

An einer Militärübung gegen DemonstrantInnen taucht ein Anti-Wef-Transparent auf. Wie kam es in die Hände der Armee? Der zuständige Kommandant schweigt. Was eine harmlose Frage über die zivilmilitärische Aufrüstung in der Schweiz erzählt.

Das Transparent sieht robust aus – gut geeignet für die Spitze einer Demo, notfalls würde es auch gegen Wasserwerfer etwas Schutz bieten. Es leuchtet schwarz und pink, darauf prangt der Slogan: «Das Wef ist überall … der Widerstand auch! Kampf dem Kapital». Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass das Transparent in der Mitte mit einem grünen Klebeband geflickt wurde. Offenbar kam es schon öfter zum Einsatz.

Abgebildet ist das Transparent in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift «Schweizer Soldat». Soldaten des Militärpolizeibataillons 1 trugen es während einer Übung namens «Paper», die letzten Herbst im solothurnischen Biberist stattfand. «Die agitatorische Gegenseite wartet mit politischen Spruchbändern auf», heisst es in der Bildunterschrift. Der «Sonntag» machte die Übung am vergangenen Wochenende zum Thema. «Ein Demo-Bild sorgt für grossen Ärger» titelte die Zeitung, weil die Armee sichtbar den Einsatz gegen einen «inneren Feind» probt.

Was bisher niemand gefragt hat: Hat die Armee das Transparent selbst gemalt – oder woher stammt es sonst?

In Lugano, Winterthur, Chur …

Eine Fotosuche im Internet bringt rasch einen Treffer – neun Jahre zurück, am 10. Januar 2004 in Winterthur. Auf einem Bild auf der alternativen Internetplattform Indymedia ist das Transparent an einer Kundgebung gegen das Weltwirtschaftsforum (Wef) aus weiter Ferne zu sehen, hinter einem Wasserwerfer der Zürcher Kantonspolizei.

Eine Woche später, am 17. Januar 2004, scheint in Lugano zwar die Sonne, doch dürfte der Tag winterlich kalt gewesen sein, wie weitere Fotos auf Indymedia zeigen: Die DemonstrantInnen tragen Wollmützen und kochen Suppe. Hinter einem Banner mit der Aufschrift «Uccide il neoliberismo» (den Neoliberalismus zerschlagen) und «Resistenza» (Widerstand) kommt das Transparent erneut in Sicht: «Das Wef ist überall …».

Im Forum schreibt eine Person: «Ich finde das eine saugeile Demo.» Eine andere kontert: «Ja, ganz nett, aber eben pazimässig.» Und eine dritte freut sich: «Juhu, schönere Bilder vom Transpi als in Winti!» Die Demos im Wochenrhythmus sind ein Hinweis, wie breit damals der Protest gegen das Weltwirtschaftstreffen in Davos war.

Das Transparent ist vorerst ein letztes Mal am 24. Januar 2004 auf einem Foto aus Chur zu sehen. Es hängt vor dem Beginn der Kundgebung an einem Güterschuppen. Seit 2003 muss auf dem Weg ans Wef nach Davos eine Schleuse aus Gitterzäunen passiert werden. Das «Fideriser Viehgatter», wie es KritikerInnen nennen, hat die globalisierungskritische Bewegung in einen «gemässigten» Teil, der die Personenkontrolle über sich ergehen lässt, und einen «radikalen» gespalten, der sie verweigert. Um die neuerliche Spaltung zu vermeiden, findet die Demo 2004 in Chur statt.

Die Spur des Transparents verliert sich vermutlich wenige Stunden später in Landquart. Dort kesselte die Polizei mehr als tausend Leute ein, die mit dem Zug auf dem Rückweg von der Churer Demo waren. Mit Tränengas und Gummischrot räumte die Polizei den Zug und verletzte dabei mehrere Personen. Die Eingekesselten mussten stundenlang in der Kälte warten, ehe sie durchsucht wurden. Zum Teil wurden sie in eine Tiefgarage des Coop abgeführt und gefesselt. Die Polizei beschlagnahmte alles, was sie als Demomaterial einstufte, selbst Fahnen gegen eine zweite Gotthardröhre (siehe WOZ Nr. 5/04). In der Tiefgarage verschwanden nicht nur alle Transparente, es verschwanden auch der Mut und die Energie der globalisierungskritischen Bewegung in der Schweiz.

Wohin führt Schwarz-Pink, die leuchtende Farbkombination des Transparents?

Schwarz und Pink waren damals die Modefarben in Winterthur – die Kombination war auf Plakaten, Transparenten und Hauswänden zu sehen. In der Stadt war viel los: Aus den Protesten gegen den Irakkrieg, an dem sich viele SchülerInnen beteiligten, entstand in kurzer Zeit eine junge linke Bewegung. Sie organisierte Demos, besetzte Häuser und geriet sich bald über alte linke Fragen – Kommunismus oder Anarchismus – in die Haare. Die spektakulärste Aktion war die zweitägige Besetzung des leer stehenden Sulzer-Hochhauses. Bis heute durchgehalten hat die Libertäre Aktion Winterthur, die jedes Jahr die Anarchietage veranstaltet.

Eine Anfrage der WOZ an politische AktivistInnen in Winterthur bringt die Bestätigung: «Das ist wirklich ein Transpi aus Winthi. Natürlich Wertarbeit und Unikat.» Es sei «ziemlich sicher» in Landquart beschlagnahmt worden. Das Transparent habe den ARK gehört, den Alternativ-Revolutionären Kräften.

Bloss, wie ist es von der Polizei in die Hände von Soldaten gelangt?

Eine Bombe in Biberist

Die Übung «Paper» in Biberist ist im «Schweizer Soldat» detailliert beschrieben. Im letzten September führte sie das Militärpolizeibataillon 1 gemeinsam mit der Berner Polizeisondereinheit Enzian in der stillgelegten Papierfabrik durch. Ein Konflikt zwischen «Orangeland» und «Grünland» eskaliert. Auch in der Schweiz ist es zu «Anschlägen, Tötungen und gewalttätigen Kundgebungen» gekommen. Zur Vorbereitung einer europäischen Sicherheitskonferenz treffen sich die Chefs von Nachrichtendiensten und den Armeen einiger Länder in der Schweiz. Das Militärpolizeibataillon hat dafür zu sorgen, «dass allfällige Kundgebungen sofort aufgelöst und gewalttätige Demonstranten arretiert und der zivilen Polizei übergeben werden».

Kurz nach Beginn der Übung nähern sich die ersten Demonstranten, von Soldaten gespielt, der Konferenz. Hierbei kam wohl auch das «agitatorische» Spruchband zum Einsatz. Die Streitkräfte lösen die Ansammlung mit Gummischrot auf. Mehr ist im Beitrag nicht zu erfahren. Dafür wird der weitere Verlauf der Übung geschildert: «Kaum waren die letzten Gummigeschosse abgefeuert, gelang es einem Bäcker, eine in einer Schwarzwäldertorte versteckte Bombe ins Innere des Konferenzgebäudes zu schmuggeln.»

Etwas mehr Aufklärung, wie das Transparent nach Biberist gekommen sein könnte, bietet ein Blick ins Organigramm der Militärpolizei: Diese ist in Berufs- und Milizformationen unterteilt. Zu den Milizorganisationen zählen die drei Militärpolizeibataillone. Ihre Aufgabe ist es, Personen und Objekte zu beschützen. Zudem sind sie gegebenenfalls für den Ordnungsdienst im Innern zuständig, wofür sie wie die zivile Polizei über eine spezielle Ausrüstung verfügen.

Die Armee kann in zwei Fällen in den Aktivdienst versetzt werden: entweder zur Landesverteidigung oder für den Ordnungsdienst als Unterstützung der zivilen Behörden bei der «Abwehr von schwerwiegenden Bedrohungen der Inneren Sicherheit». Der Aktivdienst kann nur von der Bundesversammlung oder in dringlichen Fällen vom Bundesrat ausgelöst werden. Die strenge Regelung zeigt die politische Brisanz der Übung.

Der Kommandant mauert

Kommandant des Militärpolizeibataillons 1 ist Oberstleutnant im Generalstab Thomas Armbruster. Zivil arbeitet er als Chef der Zuger Kriminalpolizei. Zehn Prozent der Angehörigen des Bataillons sind zivile PolizistInnen, sie sind vorwiegend im Stab tätig. Insgesamt waren an der Übung 400 Personen beteiligt. Ein Drittel hat den ersten Wiederholungskurs nach der Rekrutenschule absolviert, dort sind Übungen von Ordnungseinsätzen verboten. Das Verbot ist ein historisches Mahnmal: 1932 erschossen Rekruten in Genf 13 ArbeiterInnen.

Wer hat das Transparent an die Übung mitgebracht: Die Polizeisondereinheit Enzian? Die Bataillonsleitung, zivil allenfalls bei der Polizei tätig? Ein übereifriger Soldat?

Christoph Brunner, Informationschef der Armee, antwortet: «Im Stab des Militärpolizeibataillons befinden sich Polizisten, die beruflich als Ordnungsdienstinstruktoren und -einsatzleiter tätig sind. Diese Stabsmitarbeiter haben das Transparent für die Übung mitgebracht.» Und wo wird das Transparent sonst gelagert? «Bei einem zivilen Polizeikorps. Bei welchem, entzieht sich unserer Kenntnis. Soweit wir wissen, wird das Transparent zu Übungszwecken in verschiedenen Polizeikorps verwendet.»

Schon letztes Jahr sorgte die Schweizer Armee mit der Übung «Stabilo Due» für Aufsehen: 2000 OffizierInnen probten ihren Einsatz, falls die Wirtschaftskrise in Europa so dramatisch würde, dass politische Unruhen auf die Schweiz übergreifen könnten. «Flüchtlingsströme» bildeten eine zusätzliche Bedrohung. An der Übung waren auch VBS-Bundesrat Ueli Maurer und Armeechef André Blattmann beteiligt.

Jetzt, bei «Paper», wurden einfache SoldatInnen gegen einen vermeintlichen Feind im Innern losgeschickt. Dabei wurde jene Truppe ausgewählt, der eine strategische Bedeutung bei der politischen Legitimation der Armee zukommt. 2008 haben die kantonalen PolizeidirektorInnen gemeinsam mit dem Verteidigungs- und Justizdepartement eine Plattform zur militärischen Sicherheit, kurz «Mil Sich», gegründet, zu der auch die Militärpolizeibataillone gehören. Darin heisst es: «Der Mil Sich kommt eine zunehmend wichtige Rolle sowohl als subsidiäres Mittel der ersten Stunde als auch als professionelles Bindeglied zwischen den zivilen Behörden und der Milizarmee zu.» Armeechef Blattmann will künftig über vier Militärpolizeibataillone mit einer Stärke von 1600 SoldatInnen verfügen, die räumlich um Ziele wie den Flughafen in Zürich, die chemische Industrie in Basel oder die internationalen Organisationen in Genf angeordnet sind.

Aber nochmals, wer brachte das Transparent an die Übung mit, das wie ein Sinnbild der Entwicklung der Sicherheitspolitik folgt, vom Landquarter Kessel bis zur zivilmilitärischen Aufrüstung? Ein «brandgefährlicher Prozess», wie ihn der Friedensforscher Tobias Pflüger bezeichnet (siehe WOZ Nr. 43/12 ).

Die WOZ schickte dem Kommandanten des Militärpolizeibataillons 1, Thomas Armbruster, dazu klar formulierte Fragen: Hat er das Transparent mitgebracht? Gab er einem Kollegen den Auftrag? Darf das Militär überhaupt Material der zivilen Polizei verwenden? Lag eine Erlaubnis des zuständigen Polizeikorps vor, das Transparent zu verwenden? Darf die Polizei beschlagnahmtes Material selbst verwenden? Und wie auch immer das Transparent nach Biberist kam: Hätte Armbruster als Verantwortlicher seine Verwendung nicht verhindern müssen, gibt es doch eine eindeutige politische Stossrichtung vor?

Thomas Armbruster schickte keine Antworten auf die Fragen, sondern ausführliche juristische Erklärungen über die Kernaufgaben der Militärpolizei. Er merkte knapp an, es sei nie die Absicht gewesen, mit Transparenten «die Abwehr gegen spezifische Gruppierungen zu trainieren, sondern sie dienten einzig und allein der realistischen Übungsanlage». Der Kripochef des Kantons Zug lässt die Presse wissen: «Das Training fand zudem auf einem nicht einsehbaren Privatgelände statt.»

Die Alternativ-Revolutionären Kräfte in Winterthur, die das Transparent gestaltet haben, haben sich mittlerweile aufgelöst. Doch die ehemaligen Mitglieder sind immer noch politisch aktiv. Sie schreiben: «Wir hätten das Transparent gerne zurück.»