Militärbrache Dübendorf: Eine Wolke für den Flugplatz

Nr. 6 –

Was liesse sich mit überflüssig gewordenen Flugpisten alles anstellen? Im Zürcher Glattal wird an einem urbanistischen Experiment herumgedacht.

Eine riesige, den Himmel spiegelnde Fläche. Einen Wald. Eine eigene kleine, freche Republik. Dies könnte es statt Betonpiste und lärmiger Militärhubschrauber geben, falls der Militärflugplatz Dübendorf im Zürcher Glattal Ende 2014 seinen Betrieb einstellt.

Das Gelände umfasst 2,5 Quadratkilometer, ist also annähernd so gross wie der Pfäffikersee am nördlichen Ende des Glattals. Gehören tut es dem Bund. Darauf liesse sich allerlei bauen, zu marktüblichen Preisen für ein paar Milliarden Franken. Aber es muss ja selbst in der Metropolitanregion Zürich nicht alles überbaut werden, findet man bei der «Denk-Allmend». Die ist ein Projekt des Ökonomen Jürg Minsch und des Raumplaners Thom Held. «Gegen das parzellierte Denken, die Denk-Parzellen, soll die Denk-Allmend gesetzt werden», erklärt Jürg Minsch. Die Initiative will «mehr Kreativprozesse aus der Mitte der Gesellschaft» lancieren, «mehr Experimente, mit denen wir die Zukunft – gemeinsam – erproben». Deshalb startete die Denk-Allmend vergangenen Herbst ein «Raumexperiment» zur Neugestaltung des Flughafenareals in Dübendorf; jetzt liegen über fünfzig Vorschläge vor, und ein «Sachplan» ist an die Bundesbehörden eingereicht worden.

Der Flugplatz ist eine urbane Brache. «Die Brache», hat Architekturhistoriker und ETH-Professor Philip Ursprung kürzlich im «Magazin» des «Tages-Anzeigers» erklärt, «ist ein Ort, der nicht klar definiert ist, an welchem zwei ökonomische Regimes kollidieren oder einander überlappen.» Und weiter: «Brachen sind Orte, deren Wert noch nicht bestimmt, deren Zukunft offen und an denen für eine bestimmte Zeit alles möglich ist.» – Sie sind urbanistisch wichtig, weil sie die Vielfalt der Stadt und deren permanente Entwicklung ermöglichen, ohne diese zentralistisch durchzuplanen und zu steuern. Gerade eine Stadt wie Zürich samt Agglomeration hat immer wieder einen Schuss Anarchie nötig, wenn sie wirklich urban werden will.

Aus dem Riedland empor

Der Flugplatz Dübendorf wurde vor über hundert Jahren auf gepachtetem Riedland erbaut und im Oktober 1910 eingeweiht. Hier startete die Schweizer Luftfahrt, liesse sich eine Geschichte beginnen. 1918 kaufte der Bund das ganze Areal. Beinahe von Anfang an wurde der Flugplatz zivil wie militärisch genutzt. Der Swissair diente er bis 1948 als Heimathafen, dann zog sie in den neu gebauten Flughafen Zürich-Kloten. Worauf Dübendorf hauptsächlich als Militärflugplatz benützt wurde, mit abnehmender Bedeutung. Im August 2005 hob der letzte Kampfjet in Dübendorf ab. Noch immer aber ist das Lufttransportgeschwader 3 mit zwei Helikopterstaffeln hier stationiert, auch die Einsatzzentrale der Luftwaffe sowie andere logistische Dienste. Dennoch denkt das Militärdepartement (VBS) über einen vollständigen Abzug nach, aus «primär finanziellen Gründen», wie Pressesprecherin Sonja Margelist verlauten lässt. Ein gegenwärtig in Ausarbeitung befindliches «Stationierungskonzept» für die Luftwaffe sieht noch sechs Flugplätze vor, wobei die AnwohnerInnen um Payerne und Emmen den Hauptteil des Lärms über sich ergehen lassen werden müssen. Ein Entscheid ist allerdings nicht vor Ende 2013 zu erwarten.

Im Südosten des Flugplatzes liegen Freiflächen; doch gegen Nordosten grenzt er an Wangen-Brüttisellen, und im Südwesten und Westen bildet er den Stadtrand von Dübendorf, was immer wieder zu Diskussionen um Lärm- und andere Umweltbelastungen geführt hat.

Mehr Forschung

Als das VBS erstmals bekannt gab, dass der Flugplatz womöglich geschlossen werde, beantragte der Zürcher Regierungsrat im Mai 2010, künftig auf eine aviatische Nutzung zu verzichten. Die Arbeitsgruppe «Gebietsmanagement» sollte raumplanerisch untersuchen, was auf dem frei werdenden Areal möglich sei. Kürzlich hat der Regierungsrat eine konkrete Idee präsentiert: Es könnte doch der vom Bundesrat geplante gesamtschweizerische «Innovationspark» auf dem Gelände untergebracht werden.

Dieser Innovationspark zur Zusammenführung von Hochschulen und Wirtschaft ist im letzten Herbst von beiden eidgenössischen Parlamenten abgesegnet worden. Seither buhlen verschiedene Schweizer Regionen um den Zuschlag, insbesondere die beiden Kantone mit Eidgenössischen Technischen Hochschulen, Lausanne und Zürich. Entsprechend preist Zürich seine Vorteile an: neben bereits bestehenden Forschungseinrichtungen, Verkehrsinfrastruktur und internationaler Anbindung auch eine «einmalige Lebensqualität». Gegenwärtig wird gut schweizerisch-raumplanerisch eine «Vertiefungsstudie» unter Leitung der Volkswirtschaftsdirektion mit Beizug aller interessierten Kreise erarbeitet.

Die Denk-Allmend hat da ganz andere Ideen. Jürg Minsch meint: «Man muss dieses Raumgeschenk als Möglichkeit verstehen, Denkschablonen aufzubrechen.» Zuweilen verliert sich die Denk-Allmend in poetische Regionen, vielleicht in Erinnerung an die «Arteplage» in Yverdon im Rahmen der Expo 02: Man könne sich das Projekt «als Wolke vorstellen, die über der Denklandschaft Schweiz schwebt und über ausgewählten Orten von besonderem Interesse eine Zeit lang verweilt, um sich spannender Fragen dieser physischen oder geistigen Orte in einem öffentlichen Denk- und Dialogprozess anzunehmen».

Ein Demokratie-Experiment

Anregender sind die Überlegungen zur Denk-Allmend als «Demokratie-Projekt». Gegen die Entmachtung der BürgerInnen, die Reduktion demokratischer Beteiligung auf das Ritual von Abstimmungen möchte sie die direkte Demokratie stimulieren, das Verhältnis von Politik und Zivilgesellschaft umkehren.

Der 2011 gestartete Wettbewerb zum Flugplatz Dübendorf ist ein erstes Beispiel. Er hat überraschend breite Resonanz ausgelöst. 52 Vorschläge sind eingegangen, auch aus dem Ausland. Eine Jury zeichnete fünf aus: die typischsten für fünf verschiedene Richtungen der Vorschläge. Die Ideen reichen von eher traditionellen Überbauungsvorschlägen über einen Hafen oder ein «Europaregionen-Parlament» bis zum «Nullpunkt» – der Menschen und Natur aus dem umfassenden Verwertungszwang befreien will. Oder dann «Düland», das aus dem Territorium der Schweiz ausgegliederte unabhängige «Stäätchen». Umfasst wird es von einer lockeren, durchlässigen Randbebauung, und im Innern bildet es ein «begeh- und erlebbares Versuchslabor der Demokratie». «Düland kennt kein Eigentum, sondern bleibt ein Ganzes», heisst das Programm, aber auch: «Düland braucht das Fremde», um neue Formen des Zusammenlebens ausprobieren zu können. Entsprechend bleibt die Siedlungsstruktur für 10 000 EinwohnerInnen einem steten Wandel von Form und Funktion unterworfen.

Jetzt wollen Minsch und Held in vier Stufen vorgehen. Grundlage ist ein Entwicklungsmoratorium von zwei bis vier Jahren. In dieser Zeit soll die Zivilgesellschaft ihre Entwürfe diskutieren und ausarbeiten. Erst dann, in einer dritten Phase, werden die politischen Instanzen angehört, bis die Weichen für einen Entscheid gestellt werden können.

Offizielle Reaktionen auf den eingereichten «Sachplan» waren zurückhaltend höflich, das VBS und das Bundesamt für Raumentwicklung empfingen zum Gespräch. Minsch weiss, dass das nicht viel bedeutet. Aber er beruhigt sich damit, dass bislang das Verfahren wichtiger als ein konkretes Resultat war.

Teil einer neuen Stadt

Auch die Architektengruppe Krokodil hat Pläne für den Flugplatz Dübendorf, und zwar als Teil ihres Projekts einer neuen Stadt im Glattal. Die Gruppe hat Ende letzten Jahres einen Vorschlag veröffentlicht: «Glatt! Manifest für eine Stadt im Werden». Gegen die Zersiedlung soll eine Versöhnung zwischen Landschaft, Suburbia und Stadt versucht werden. Das Projekt ist detailliert durchgestaltet, mit Berechnungen, Plänen und Modellen. Die neue Stadt Glatt würde elf Gemeinden von Opfikon über Bassersdorf, Volketswil und Greifensee bis nach Uster umfassen. Mit 460 000 EinwohnerInnen wäre sie ein bisschen grösser als Zürich und damit die grösste Stadt der Schweiz. Als Instrument wird «eine Mischung aus bewährten städtebaulichen Hausmitteln und zeitgemässen Rezepturen für einen nachhaltigen Städtebau» vorgeschlagen und als Ziel «eine optimierte innere Erschliessung und eine bedeutende Verdichtung». Dabei kommt auch der Militärflugplatz zu Ehren: «Wo früher der Flugplatz Dübendorf war, liegt Glatts neue Mitte.» Ein kleinerer Teil würde überbaut, der grössere aber ein Park mit dem Museum «Kunst des Fliegens», einem «Hort der Stille» und einer «Adlerwiese». Weil wir in Zürich sind, wird, im Futur, auch ein bisschen aufgetrumpft: «Aus der Hauptpiste wurde der grösste Boulevard der Schweiz. Er endet im Stadtpark, der von einer eindrücklichen Stadtkulisse eingefasst wird: Erinnerungen an den New Yorker Central Park werden wach.»

Ein Kriterium für diese Vorstellungen ist die «Integrationsdichte». Kurz gesagt geht es nicht nur darum, wie viele Menschen auf einer bestimmten Fläche wohnen, sondern wie viele Tätigkeiten sich dort vollziehen, welcher Austausch, welche Verbindungen entstehen. Der Prime Tower in Zürich West ist hoch verdichtet gebaut, aber die Integrationsdichte seiner Umgebung ist noch immer sehr tief.

Auch wenn der Flugplatz Dübendorf nicht mit Häusern oder einem Innovationspark überbaut würde, könnte seine Integrationsdichte dennoch hoch sein. Der Park, so sieht es der Glatt!-Plan vor, wird umgeben von Universitätsinstituten, einem «Gesundheitsviertel» und einer Vergnügungsmeile. Verschiedene ökonomische Regimes würden im und um den Park kollidieren.

Oder man kann sich ganz von solchen Vorstellungen verabschieden. Und eine Fläche schaffen, die den Himmel widerspiegelt.

Von oben und unten

Die Gruppe Krokodil umfasst neun Architekten aus fünf Architekturbüros. Benannt ist sie nach ihrem Treffpunkt, dem Restaurant Krokodil an der Zürcher Langstrasse. Ihr Glatt!-Manifest enthält nicht nur einen konkreten Vorschlag, sondern, selbstbewusst, auch einen «Krokodil-Code» als «neues urbanistisches Regelwerk». Das ist als Diskussionsbeitrag gedacht, aber kommt von oben, als Expertenwissen und -anspruch.

Die Denk-Allmend von Jürg Minsch und Thom Held geht einen anderen Weg. Den beiden geht es um die Beteiligung von unten, um kreative Offenheit und die Ausschöpfung direktdemokratischen Potenzials.

Sascha Roesler (Hrsg.): «Glatt! Manifest für 
eine Stadt im Werden». Park Books. Zürich 2012. 
168 Seiten. 55 Franken.

www.denkallmend.ch