Fussball und andere Randsportarten: Der Museumswärter vom Camp Nou

Nr. 7 –

Pedro Lenz über die menschlichen Seiten des FC Barcelona

Die Episode trug sich letzten Sommer im Museum des FC Barcelona zu. Der FC Barcelona hat ein grosses Museum mit viel Elektronik und viel Glamour. Besucherinnen und Besucher müssen lange anstehen und viel Geld bezahlen, bis sie dieses Museum betreten dürfen. Dafür können sie dann jede Menge glänzende Pokale bestaunen: Pokale von Meisterschaften, Pokale von Cupwettbewerben, regionale, nationale und internationale Pokale, alle perfekt beleuchtet und mehrsprachig beschriftet. Wer sich geduldig von der Menschenmasse voranstossen lässt, gelangt irgendwann zum Höhepunkt des Pokalkorridors: Auf vier imposanten Sockeln stehen die vier europäischen Meistercups, die der FC Barcelona im Lauf seiner ruhmreichen Vereinsgeschichte gewonnen hat. Diesen Wettbewerb, den es seit 1955 gibt, nannten wir früher Europacup der Meisterklubs. Seit jedoch europaweit jedes Kleinkind in Frühenglisch unterrichtet wird, heisst er Champions League. Anyway, wie der Berner sagt, die Meistercup- oder Champions-League-Pokale sind sehr gross und sehr prestigeträchtig.

Als familiär vorbelasteter Real-Madrid-Anhänger konnte ich es mir nicht verkneifen, einen gerade in der Nähe stehenden Museumswärter zu fragen, wo die restlichen Europapokale des FC Barcelona stünden. «Schauen Sie doch, sie stehen alle hier, Señor.» – «Aber da stehen bloss vier.» – «Si, Señor, das sind die vier Europacupsiege des FC Barcelona.» – «Diese vier sehe ich, aber wo sind die andern? Werden die im Keller verwahrt?» – «Nein, Señor, wir haben sämtliche Pokale hier ausgestellt. Warum fragen Sie?» – «Ich frage bloss, wo die anderen Europapokale stehen, weil ich hier nur vier sehe.» – «Ich sage Ihnen doch, es sind alle da.» – «Das sind wirklich alle? Das kann doch fast nicht sein. Letzthin war ich im Museum von Real Madrid, da standen neun dieser Kübel!» Der Museumswärter verwünschte mich mit katalanischen Flüchen und lief davon. Das war gut so. Die heftige Reaktion des Angestellten bestätigte nämlich meine Vermutung, dass der FC Barcelona auch seine menschlichen Seiten hat.

Als Aussenstehende waren wir ja in den vergangenen Jahren fast schon bereit zu glauben, der FC Barcelona sei so etwas wie die göttliche Vollendung des Fussballsports. Der Verein selbst wirbt mit dem Slogan «Més que un club», der besagen will, der FCB sei mehr als einfach bloss ein Fussballklub, also zum Beispiel eine Glaubensrichtung oder eine politische Bewegung oder eine nie versiegende Geldquelle oder was auch immer. Vor lauter Bewunderung für die Meister des Kurzpassspiels ging beinahe vergessen, dass selbst Messi, Xavi, Iniesta und Kollegen zumindest in der Champions League noch nicht das Mass aller Dinge sind.

Während der FC Barcelona also gegenwärtig darum kämpft, die Vitrinen seines Museums mit einem fünften europäischen Pokal zu verschönern, hofft der ungeliebte Rivale aus der spanischen Hauptstadt auf seinen zehnten europäischen Grosstitel. Beim Klub Real Madrid ist dieser Traum seit seinem letzten Erfolg im Jahr 2002 zur Obsession geworden. Immer wieder versicherten Spieler und Vorstandsmitglieder, der Zeitpunkt für «la décima» sei nun gekommen. Diese Saison soll es nun wirklich so weit sein. «Jetzt will ich endlich diesen Pokal holen und so meine Spuren in der Vereinsgeschichte hinterlassen!», erklärte Cristiano Ronaldo Anfang Woche stellvertretend für alle seine Mitspieler. In diesen Tagen muss Real Madrid zunächst niemand Geringeren als den englischen Traditionsklub Manchester United (drei Champions-League-Pokale) aus dem Wettbewerb eliminieren. Sollte dies gelingen, warten danach noch immer drei schwierige Gegner auf dem Weg zum Ziel.

Einer dieser Gegner könnte der FC Barcelona sein. Das wäre dann der Moment, an dem ich vor dem Fernsehgerät zitternd an den Angestellten des FC-Barcelona-Museums und seine wüsten Verwünschungen denken würde.

Pedro Lenz (47) ist Schriftsteller und lebt in Olten. Wenn er nicht gerade Fussballmuseen besucht, fiebert er als Fan mit dem 
BSC Young Boys oder dem SC Brühl St. Gallen.