Auftragsfilme: Für schöne Spielfilme brauchts diese Aufträge

Nr. 8 –

Die Wirtschaft als Filmförderer: Auftragsfilme legten den Grundstein für das professionelle Filmschaffen in der Schweiz und haben wesentlichen Anteil an der Imagebildung der Schweiz im In- und Ausland. Eine historische Betrachtung aus aktuellem Anlass.

Für ein überzeugtes Nein gegen die Abzockerinitiative hätte Michael Steiners Film «Grounding 2046» werben sollen. Doch nun hält die Auftraggeberin Economiesuisse den Film unter Verschluss – aus Sorge, er könnte eine kontraproduktive Wirkung haben (vgl. «Was Economiesuisse nicht zeigen will» ). Von einer dilettantischen Kampagne ist die Rede, von 300 000  in den Sand gesetzten Schweizer Franken. Ein Werbedebakel.

Die Kommentare in den Internetforen sind der Häme voll. Und für einen kurzen Moment steht der Film als Mittel der Meinungsmache im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit. Solange dieser stillschweigend seine Funktion erfüllt, wird seine Rolle als Instrument der Beeinflussung öffentlich kaum je thematisiert. Wahrgenommen wird der Film vor allem als Kinofilm, als Mittel der Unterhaltung und Gegenstand der kulturellen Förderung durch die öffentliche Hand.

Doch das Geschick des Schweizer Films wird vom Auftragsfilm mitbestimmt: von sogenannten Gebrauchsfilmen, von kurzen und langen, fiktionalen und dokumentarischen, animierten und fotografierten, die primär weder Unterhaltung noch Kunst sein wollen, sondern Wissen produzieren, Botschaften verbreiten, Meinungen beeinflussen. Aus historischer Perspektive hat ausgerechnet die Wirtschaft als Auftraggeber solcher Gebrauchsfilme den Grundstein für eine professionelle und kontinuierliche Filmproduktion in der Schweiz gelegt und massgeblich Einfluss genommen auf deren weitere Entwicklung – auch auf die des unabhängigen Filmschaffens.

Bürgerlicher Bildungsauftrag

Eine führende Rolle spielte die Schweizerische Zentrale für Handelsförderung, heute noch tätig unter dem Namen Osec. Der Verein wurde 1927 zur Förderung der nationalen Wirtschaft im Ausland gegründet. Von Beginn weg nahm das Medium Film unter den Werbemitteln eine vorrangige Stellung ein.

Von 1928 bis 1965 publizierte die Osec Verzeichnisse von bestehenden Tourismus-, Industrie- und Lehrfilmen, und 1931 ging sie selbst dazu über, Filme zu realisieren. Der erste Osec-Film, «Gebändigte Zeit» von 1932, wurde von Praesens-Film produziert, der während Jahrzehnten wichtigsten Produktionsfirma des Landes, und war der Uhrenindustrie gewidmet. Die Osec-Werbung galt stets ganzen Wirtschaftszweigen, der Landwirtschaft, dem Maschinenbau, der Uhren- und Elektroindustrie. Bis 1965 realisierte die Osec rund 25 Filme.

Die durchschnittlich fünfzehnminütigen Dokumentarfilme zirkulierten in Kinos im In- und Ausland unter dem Label «Kulturfilm». Bis Mitte der siebziger Jahre hatten sie einen festen Platz im regulären Kinoprogramm und wurden im sogenannten Beiprogramm nach Werbung und Wochenschau vor dem Hauptfilm gezeigt. Kulturfilme waren in aller Regel Auftragsfilme, hatten einen bürgerlichen Bildungsauftrag zu erfüllen und durften nur diskret werben. Die Osec-Filme waren zudem an Messen und Ausstellungen zu sehen, zirkulierten im Ausland in Botschaften und Konsulaten und wurden im Inland Schülerinnen und Soldaten vorgesetzt.

Auftragsfilmschaffen unter Beschuss

Effiziente Wirtschaftsförderung verlangte nach effizienter Filmproduktion. In diesem Sinn intervenierte die Osec in der Filmbranche und initiierte 1934 die Gründung des Verbands Schweizerischer Filmproduzenten. Den Vorsitz übernahm Osec-Direktor Albert Masnata gleich selbst. Masnatas Bemühungen um den Film im Dienst der Wirtschaft führten ihn auch in die eidgenössische Filmpolitik, bis an die Spitze der 1938 gegründeten Schweizer Filmkammer, wo er 1940 mit seiner Unterschrift zum Beitritt der Schweiz zur Internationalen Filmkammer unter Führung Nazideutschlands einen Skandal auslöste. Der Bundesrat ratifizierte das Abkommen nicht, und Masnata trat als Präsident der Filmkammer ab, verblieb aber als einfaches Mitglied im Gremium.

Die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik im Zeichen des Films datieren allerdings weiter zurück. Anders als etwa Frankreich, Deutschland oder Italien verzichtete die Schweiz auf eine Unterstützung der nationalen Filmproduktion. Der Bund nahm jedoch indirekt Einfluss, indem er Sonderkredite für die Osec sprach, die in die Filmproduktion flossen. Dieselbe Strategie der indirekten Subventionierung wandte der Bund bei der Schweizerischen Verkehrszentrale an, die für die nationale Tourismuswerbung zuständig war. So gelangten Werbefilme für die Schweiz nicht in den Ruch von «Staatspropaganda». Und so betrieb der Bund Filmförderung längst vor deren offizieller Einführung 1963, wenn auch im Sinn von Wirtschaftsförderung und nicht von Kulturförderung.

Bis 1963 hielten Aufträge aus der Wirtschaft das Schweizer Filmschaffen am Leben. Die Spielfilmproduktion war sowohl im internationalen Vergleich als auch im Verhältnis zum dokumentarischen Auftragsfilm stets marginal – auf einen Spielfilm kamen im Schnitt ungefähr zehn Auftragsfilme. Selbst bedeutende Firmen wie Praesens und Gloria-Film konnten sich das Risiko einer Spielfilminvestition nur dank eines festen Standbeins im Auftragsfilm leisten. Dieser hielt die technische Infrastruktur aufrecht, sorgte für Ausbildung, Qualifizierung und Beschäftigung und sicherte damit die Kontinuität und Qualität des Schweizer Filmschaffens – auch die des Spielfilms.

Die Einführung der Filmförderung führte zu einer Ausdifferenzierung der Branche, und das Auftragsfilmschaffen geriet unter den gesellschaftskritischen Augen der staatlich geförderten AutorenfilmerInnen in den sechziger Jahren unter Beschuss, galt als ideologisch fragwürdig und künstlerisch wertlos. Die ideologischen Entschärfungen und gegenseitigen Annäherungen führten ab den achtziger Jahren wieder teilweise zu einer Durchmischung kultureller Milieus.

Die heutige jüngere Filmgeneration kennt kaum noch Berührungsängste, experimentiert mit diversen Formen von Sponsoring der Privatwirtschaft und feiert den populären Film. In all den Jahren hat der Auftragsfilm seine zentrale strukturelle und wirtschaftliche Bedeutung für das gesamte Schweizer Filmschaffen nie eingebüsst, auch wenn er in der Öffentlichkeit nach Abschaffung des Kinobeiprogramms ein Schattendasein führte. Mit dem Internet hat sich schliesslich eine neue Plattform für filmische Botschaften der Wirtschaft aufgetan.

Die Schweiz – das Paradies Europas

Die Auftragsfilme der Wirtschaft trugen bis in die sechziger Jahre wesentlich zur medialen Konstruktion nationaler Identität und zur Imagebildung der Schweiz im In- und Ausland bei. Die Osec und andere Dachverbände wie die Gesellschaft zur Förderung der schweizerischen Wirtschaft (WF) – aus der Economiesuisse durch den Zusammenschluss mit dem Vorort hervorgegangen ist  – gaben filmische Gesamtdarstellungen der Schweizer Wirtschaft in Auftrag, die stereotyp Eigenschaften wie Qualität, Forschung und Innovation sowie Rohstoffarmut, Sozialpartnerschaft und direkte Demokratie als typisch «schweizerisch» reklamieren und sie als Standortvorteil im internationalen Markt anpreisen. Sie operieren mit einer Rhetorik, die Traditions- und Verantwortungsbewusstsein als Fundament für Qualität und Fortschritt präsentiert, und arbeiten an einer visuellen Konstruktion der Marke Schweiz, bei der die Berge eine dreifache Rolle spielen: als publikumswirksamer Schauwert, visuelles Signal zur nationalen Markierung und Symbol für Qualität.

Auftragsfilme der Wirtschaft reflektieren nicht in erster Linie gesellschaftliche Zustände zu einer bestimmten Zeit. Sie konstruieren und produzieren vielmehr – Bilder, Vorstellungen, Meinungen –, sie lehren Fortschritt, bieten Konsensformen an und entwerfen gesamtgesellschaftliche Integrationsmodelle der Wirtschaft. Das Ziel dabei ist bis heute das gleiche geblieben: die Anpassung der Gesellschaft an die Bedürfnisse der Wirtschaft.

Die Aufregung um Michael Steiners Endzeitszenario, in dem als Folge einer allfälligen siegreichen Abzockerinitiative angeblich nationale Sehenswürdigkeiten zerlegt und verfeuert werden und der nationale Zusammenhalt an der Röstigrabenmauer zerschellt, zeugt davon, wie nachhaltig Filme der Wirtschaft das Selbstbild der Schweiz mitgeprägt haben – und wie fest die Vorstellung von der Schweiz als Paradies Europas in den Köpfen sitzt. Sodass selbst eine ironische Science-Fiction-Vertreibung aus ebendiesem Paradies als anstössig empfunden wird – und zwar quer durch alle Lager.

Yvonne Zimmermann ist Filmwissenschaftlerin und Visiting Scholar an der New York University. Sie ist Herausgeberin und Mitautorin von «Schaufenster Schweiz: Dokumentarische Gebrauchsfilme». Limmat Verlag. Zürich 2011.