Vertrauensleute: Kein Schutz für GewerkschafterInnen

Nr. 8 –

Vertrauensleute der Gewerkschaften sind besonders exponiert, geniessen aber keinen besonderen Kündigungsschutz. Aber die Schweiz hat ein Abkommen ratifiziert, das sie dazu verpflichtet. Was tut der Bundesrat?

Die Schweiz bildet sich viel ein auf ihre direkte Demokratie und die Freiheit ihrer BürgerInnen. Aber die hört an den Toren der Betriebe oft auf. Zum Beispiel beim Kündigungsschutz für gewerkschaftliche Vertrauensleute, die als VerhandlungsführerInnen in Betriebskonflikten besonders gefährdet sind. Zahlreiche Fälle dokumentieren diesen Trend. Darunter auch spektakuläre. So wurde Daniel Suter, dem Präsidenten der Personalkommission bei Tamedia, mitten in den Verhandlungen über einen Sozialplan gekündigt. Der Weg durch die gerichtlichen Instanzen bis hin zum Bundesgericht zeigt: Die Gewerkschaftsfeindlichkeit reicht tief hinein in die Behörden. Im März 2012 beschied das Bundesgericht im Fall von Daniel Suter, die bereits im Gesetz verankerte Bestimmung gegen missbräuchliche Kündigungen dürfe bei Massenkündigungen nicht zu einer «Privilegierung» von ArbeitnehmervertreterInnen gegenüber anderen Beschäftigten führen. Eine absurde Argumentation.

Das von der Schweiz vor Jahren ratifizierte Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) verlangt nämlich genau das – den besonderen Schutz der Vertrauensleute und PersonalvertreterInnen. Sie exponieren sich schliesslich für die Interessen der gesamten Belegschaft und sollten seitens des Unternehmens nicht erpressbar sein.

Das aktuellste Beispiel sind die fristlosen Kündigungen gegenüber 22 Gewerkschaftsvertrauensleuten, die sich im Spital La Providence in Neuenburg gegen die Kündigung des Gesamtarbeitsvertrags und die Erhöhung der Arbeitszeiten wehren (vgl. «Der Spitalstreik geht weiter» im Anschluss an den Artikel «Ein abgekartetes Spiel» ). Das sind bloss zwei Beispiele von vielen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hat weitere Fälle im letzten Herbst in einem Schwarzbuch publiziert. Gewerkschaftsbundpräsident Paul Rechsteiner sagt: «Dieser negative Trend hat sich seit der Finanz- und Wirtschaftskrise akzentuiert. Es muss dringend gehandelt werden.» Die Schweiz wurde von der IAO wegen Nichteinhaltens des erwähnten Abkommens gerügt.

Schlusslicht Schweiz

Im internationalen Vergleich ist die Schweiz das Schlusslicht beim Kündigungsschutz von GewerkschafterInnen. Der SGB stellt fest, dass insbesondere eine Wiedereinstellungspflicht bei missbräuchlicher Kündigung aus antigewerkschaftlichen Gründen fehle. Der SGB kämpft seit langem dafür und hat bei der IAO bereits 2003 eine Klage eingereicht. Widerstand gegen die Umsetzung der Bestimmungen kommt von den bürgerlichen Parteien, und auch der Bundesrat foutierte sich lange darum. Erst 2009 präsentierte die Schweizer Regierung Verbesserungsvorschläge, worauf der SGB seine Klage sistierte. Der Entwurf für eine Teilrevision des Obligationenrechts sah unter anderem vor, dass die maximale Entschädigung bei missbräuchlichen Kündigungen von heute sechs auf zwölf Monatslöhne angehoben werden sollte. Vorgesehen war zudem, dass PersonalvertreterInnen und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten nicht aus wirtschaftlichen Gründen – etwa im Fall von Restrukturierungen – gekündigt werden dürfe.

Der Bundesrat schickte die Gesetzesänderung Ende 2010 in die Vernehmlassung. Wirtschaftsvertreter, FDP, CVP und SVP lehnten den Vorschlag rundweg ab. Diese Massnahmen, so die GegnerInnen, würden der Wirtschaft schaden. «Die Doppelfunktion der Entschädigung als Wiedergutmachung und Sanktion kann mit dem Höchstbetrag von sechs Monatslöhnen durchaus erfüllt werden», meinte der Arbeitgeberverband (SAV). Es bestehe gesetzgeberisch kein Handlungsbedarf. Die Sozialpartnerschaft funktioniere. Wegen dieses breiten Widerstands der Bürgerlichen legte der Bundesrat sein Vorhaben wieder auf Eis, woraufhin der Gewerkschaftsbund die Klage bei der IAO erneuerte.

Dass die Wirtschaft unter einem verstärkten Kündigungsschutz leidet, ist nicht nachgewiesen. Hingegen hat eine OECD-Studie gezeigt, dass es keinen feststellbaren Zusammenhang zwischen stärkerer Arbeitsmarktregulierung und grösserer Arbeitslosigkeit gibt. Länder wie die USA oder Britannien verzeichnen eine deutlich höhere Arbeitslosenquote als die Schweiz, obwohl sie einen liberaleren Arbeitsmarkt und einen noch schwächeren Kündigungsschutz haben – dies, während die Bürgerlichen hierzulande gern geltend machen, dass die tiefe Arbeitslosigkeit vor allem der geringen Arbeitsmarktregulierung zu verdanken sei. Auf der anderen Seite stellt man in Österreich oder den Niederlanden, wo die Regulierungen stärker sind, eine mit der Schweiz vergleichbare, relativ tiefe Arbeitslosigkeit fest.

Der SGB weist darauf hin, dass der schwache Kündigungsschutz in der Schweiz multinationale Unternehmen häufig dazu verleite, Restrukturierungen und Personalabbau zuerst oder ausschliesslich in ihren Schweizer Niederlassungen durchzuführen – weil Kündigungen hier billiger sind. Ein schlagendes Beispiel dafür sind die Entlassungen Ende 2012 beim deutschen Chemiekonzern Merck Serono in Genf.

Wieder auf der Bundesratsagenda

Jetzt scheint wieder Bewegung in die Sache zu kommen. Mitte Februar traf sich Bundesrat Johann Schneider-Ammann mit Guy Ryder, dem Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). Schneider-Ammann kündigte an, der Bundesrat werde sich wieder für eine Verbesserung des Kündigungsschutzes einsetzen. Bloss schöne Worte? Bloss wieder ein Beruhigungsmanöver? Vonseiten des Schweizerischen Arbeitgeberverbands tönt es jedenfalls wie gehabt. «Ein Ausbau des Kündigungsschutzes ist nicht nötig. Die Sozialpartnerschaft in der Schweiz funktioniert gut. Angesichts der 300 000 Betriebe in der Schweiz sind missbräuchliche Kündigungen von Gewerkschaftern sehr selten, es geht um etwas mehr als ein Dutzend Fälle», sagt Alexandre Plassart, Geschäftsleitungsmitglied beim Arbeitgeberverband. Er sagt allerdings auch: «Wir sind auf die Gewerkschaften angewiesen und pflegen das Gespräch. Das Klima ist gut. Die Gewerkschaftsfreiheit ist in der Schweiz gewährleistet.» Das passt nicht zu den Beobachtungen der Gewerkschaften, die von einem «sprunghaften Anstieg» solcher Kündigungen sprechen. Sie verlangen von Johann Schneider-Ammann und dem Gesamtbundesrat, dass er den Worten am Treffen mit dem IAO-Generaldirektor Taten folgen lässt.

Dass die Sozialpartnerschaft im Konfliktfall engagierte ArbeitnehmervertreterInnen direkt treffen kann und dass die Unternehmen zahlreiche Schlupflöcher im bestehenden Gesetz finden, um unliebsame, kritische Leute loszuwerden, lässt sich im Schwarzbuch des SGB nachlesen. Die Post hatte 2009 für Abbrucharbeiten und Asbestsanierungen in einer Poststelle in Bern die schweizerische Zweigniederlassung der deutschen Firma Howe beauftragt. Ein Schweizer Mitarbeiter der Firma legte auf Rückfrage der Gewerkschaft Unia seine Lohnabrechnung vor. So konnten Dumpinglöhne der slowakischen Kollegen belegt werden, die für ihre Arbeit fünf bis zehn Euro pro Stunde erhielten. Die Firma kündigte dem Mitarbeiter, der bei der Aufdeckung geholfen hatte.

Besonders absurd mutet der Fall einer aktiven Gewerkschafterin und Betriebskommissionspräsidentin eines mittelständischen Chemieunternehmens an. Sie hatte sich im Frühjahr 2009 lediglich darüber informiert, ob Massnahmen ihres Betriebs zum Auffangen von Auftragsrückgängen rechtmässig seien. Zweifel wurden beseitigt und der Konflikt beigelegt. Für die Gewerkschafterin ging die Sache allerdings nicht so gut aus. Ihr wurde gekündigt, weil sie sich angeblich geschäftsschädigend verhalten habe. Der Bundesrat, der ja nicht eine Zweigstelle des Arbeitgeberverbands sein sollte, hat viel zu tun.