Filmfestival Freiburg 2013: Fantasien in Nordkorea, Radfahren in Saudi-Arabien

Nr. 11 –

Grösser, verwegener, populärer: Das Freiburger Filmfestival erweitert in der zweiten Ausgabe unter der Leitung von Thierry Jobin sein Spektrum. Aus dem «Festival des films du Sud» ist noch mehr ein «Festival des films du monde» geworden.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass das diesjährige Internationale Filmfestival Freiburg (Fiff) eine grosse Filmreihe dem Sport widmet. Die achtzehn Filme umfassende Sektion «Cinéma de genre: À nous la victoire!» ist aber nur eine von fünfzehn Sektionen.

Die 27. Ausgabe des Freiburger Filmfestivals ist die zweite unter der künstlerischen Leitung des Westschweizer Filmkritikers Thierry Jobin. Der 43-Jährige, der das Amt 2011 als Nachfolger von Edouard Waintrop angetreten hat, zeigt in diesem Jahr, dass er die Akzente etwas anders setzt als sein Vorgänger.

Dass er das Festival stärker strukturieren wolle, hatte Jobin bereits im Vorfeld der letztjährigen Ausgabe erklärt. So hatte er sich auf dieses Jahr hin von einigen langjährigen FestivalmitarbeiterInnen getrennt. Und auch einige neue Sektionen hatte er schon 2012 eingeführt. Heuer sind es nun – neben dem traditionellen internationalen Wettbewerb – deren stolze vierzehn. Zwar wurde die Gesamtzahl der Filme minimal reduziert. Doch dadurch, dass in der Sektion «Hors compétition» unter anderem die fünfzehn Stunden dauernde Dokumentation «The Story of Film» läuft (verteilt auf fünf Blöcke) und die letztes Jahr neu eingeführte Reihe «Séances de minuit» täglich einen Film präsentiert, hat sich das Gesamtprogramm doch beträchtlich ausgeweitet.

Mehr Welt, weniger Schwarzafrika

«The Story of Film» des Briten Mark Cousins hatte seine internationale Premiere 2012 an der Berlinale. Das Monumentalwerk beansprucht nichts weniger, als eine Entdeckungsreise durch die Kinogeschichte zu sein. In den «Séances de minuit» (die 2012 ihr Debüt mit «Sex and Zen», einem Hongkong-3-D-Softporno, gaben) stehen dieses Jahr Heuler wie der koreanische Blockbuster «The Thieves», der Animation und Realfilmszenen verbindende chinesische Martial-Arts-Film «Tai Chi Hero» oder der erste japanische Sandalenfilm «Thermae Romae» auf dem Programm. Mit Filmen wie diesen möchte Thierry Jobin erklärtermassen ein jüngeres Publikum ans Fiff locken.

Schon Waintrop hatte betont, «Fribourg» sei ein «Festival des films du monde» und nicht mehr «nur» ein «Festival des films du Sud» wie noch unter dem langjährigen künstlerischen Leiter und Mitbegründer des Festivals, Martial Knaebel. In einem Interview mit der Branchenzeitschrift «Ciné-Bulletin» betonte Jobin kürzlich, dem Fiff gehe es vor allem um den Erhalt der cineastischen Vielfalt – und darum, Filme zu zeigen, die vom Markt nicht beachtet werden. Diesen Anspruch erfüllt das Fiff durchaus, wenn etwa in der erwähnten Reihe mit Sportfilmen auch mehrere neue US-amerikanische und europäische Werke zu finden sind, die in der Schweiz keinen Kinoverleih gefunden haben (darunter zwei mit dem französischen Exfussballstar Eric Cantona, der am Festival persönlich anwesend sein wird).

Dennoch ist nicht ganz nachvollziehbar, warum wie schon 2012 auch in diesem Jahr kein einziger neuer Film aus Schwarzafrika zu sehen ist. Der einzige der total 103 Filme des diesjährigen Fiff, der aus Schwarzafrika kommt, stammt aus dem Jahr 1992; «Quartier Mozart» von Jean-Pierre Bekolo aus Kamerun, ein bezauberndes Kinomärchen um eine junge Frau, die in Kameruns Hauptstadt Yaoundé eine Hexe bittet, sie möge sie in einen Mann verwandeln. Bekolo gehört zu den bedeutendsten RegisseurInnen des Schwarzen Kontinents, und er ist dieses Jahr Mitglied der fünfköpfigen internationalen Jury – eine Funktion, die er am Fiff schon 2002 innehatte. Es habe im vergangenen Jahr eben keine interessanten neuen Filme aus Schwarzafrika gegeben, erklärte Jobin auf Nachfrage – eine Aussage, die doch eher erstaunt angesichts der Tatsache, dass das wichtigste Filmfestival Schwarzafrikas, das alle zwei Jahre in Ouagadougou stattfindende «Fespaco», gerade Anfang dieses Monats über die Bühne gegangen ist: Wäre es da nicht möglich gewesen, den einen oder anderen Beitrag des Festivals von 2011 in der letztjährigen oder der diesjährigen Ausgabe des Fiff zu zeigen?

Doch abgesehen von derartigen geografischen Unausgewogenheiten bietet das Fiff auch in diesem Jahr wieder jede Menge Möglichkeiten zu Entdeckungsreisen in unbekannte filmische Gefilde. So etwa in der Reihe mit acht Filmen aus Usbekistan. Oder auch mit Extravaganzen wie der nordkoreanisch-britisch-belgischen romantischen Kömodie «Comrade Kim Goes Flying». Der in Nordkorea gedrehte Film erzählt ganz im Sinn einer realsozialistischen Heldengeschichte von einer Minenarbeiterin, die sich in den Kopf gesetzt hat, Zirkusartistin zu werden.

Ein Frauenfilm aus Saudi-Arabien

Einblicke in ganz andere, nicht minder verborgene Welten bietet schliesslich im Wettbewerb auch der erste von einer Frau inszenierte Spielfilm aus einem Land ohne Kinos: «Wadjda» handelt von einem kleinen Mädchen, das sich über das für die weibliche saudi-arabische Bevölkerung bestehende Verbot, Fahrrad zu fahren, hinwegsetzt. Erstmals in der Schweiz zu sehen ist auch ein streng orthodox-jüdischer Spielfilm: «Fill the Void». Sowohl Haifa Al-Mansour, Regisseurin von «Wadjda», wie auch die orthodox-jüdische Regisseurin Rama Burshtein werden in Freiburg für Publikumsgespräche anwesend sein.

Noch jemand wird in Freiburg erwartet: Der 88-jährige Charles Aznavour wird der wohl älteste Star am diesjährigen Fiff sein. Der französische Chansonnier armenischer Abstammung wird aber kaum singen – vielmehr tritt er in seiner Eigenschaft als Schauspieler und Botschafter Armeniens in der Schweiz auf und wird zudem in den 2002 entstandenen Film «Ararat» von Atom Egoyan einführen – ein Werk, das innerhalb der Reihe «Diaspora. Atom Egoyan et l’Arménie» läuft.

27. Internationales Filmfestival Freiburg. 
Samstag, 16., bis Samstag, 23. März 2013. www.fiff.ch