Kakao in Ghana: 51 Säcke Bohnen und ein bisschen Fairtrade

Nr. 11 –

Ein gigantischer Verband von ghanaischen KakaobäuerInnen versucht, von den sogenannten Nachhaltigkeitsinitiativen der Lebensmittelmultis zu profitieren. Was haben die Bauernfamilien davon?

Als Tetteh Quarshie, ein Schmid und Hobbybauer, 1876 die ersten Exemplare der aus Südamerika stammenden Kakaobohne in seine Heimatstadt in der damaligen britischen Kolonie Gold Coast brachte und anpflanzte, hatte er sich wohl nicht ausgemalt, wie stark diese Tat die Wirtschaft des späteren unabhängigen Ghana prägen würde. Heute hat jede Stadt des Landes einen grösseren Platz oder zumindest eine Strassenkreuzung nach Quarshie benannt.

Westafrika dominiert die Angebotsseite des stark wachsenden Kakaomarkts und liefert neunzig Prozent der in Europa konsumierten Schokoladeingredienz; Ghana ist nach Côte d’Ivoire der weltweit zweitwichtigste Kakaoexporteur. Anders als beim Erdöl (und beim Gold) spült der Export der in der rot-gelben Feldfrucht enthaltenen Bohnen zwar nur bescheidene Mittel in die Staatskasse, hat aber viel grössere direkte wirtschaftliche Folgen: Rund eine Million Bauernfamilien leben vom Kakaoanbau.

Doch seit einigen Jahren leben sie davon eher schlecht als recht. Der Weltmarktpreis hat sich seit Anfang der achtziger Jahre halbiert. Das ist auch eine Folge der damals eindeutig neoliberal geprägten Strategie des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank, die staatlichen Kakaovermarktungsorganisationen abzuschaffen. Nur Ghana blieb seinerzeit standhaft und schützt bis heute seine BäuerInnen über die Cocobod vor einigen Folgen des liberalisierten Markts, insbesondere vor plötzlichen Preisstürzen.

Viel mehr als dies vermögen auch sogenannte Nachhaltigkeitsinitiativen wie etwa Fairtrade nicht zu bieten. Zumindest nicht, was die direkten Einkommen der Bauernfamilien angeht: Zum Mindestpreis hinzu kommt in erster Linie eine Fairtrade-Prämie, die aber zur Hauptsache in die Geschäfts- und Organisationsentwicklung der Kooperativen und Verbände investiert wird. In Ghana verzichten Kakaobauern manchmal freiwillig auf solche Prämien: «Unser eigener Einkäufer zahlt erst, nachdem er die Bohnen erhalten hat», sagt Augustine Kwame Owusu, Exekutivdirektor des grössten Fairtrade-zertifizierten Kakaoverbands Ghanas, Kuapa Kokoo: «Wenn ein anderer Händler jedoch im Voraus bar bezahlt, ist das für viele Bauern verlockend.» Denn auch in Ghana leben fast alle Kakaobauern weit unter der Armutsgrenze. Fairtrade hin oder her.

Die Kuapa Kokoo Union ist gigantisch. Der Verband mit Sitz in Kumasi vereint 65 000  Fairtrade-zertifizierte KakaoproduzentInnen, die auf Gemeindeebene wiederum in 1400 Kooperativen organisiert sind. Owusu, Sohn eines Kakaobauern, ist durch und durch Manager; in Anzug und Krawatte sitzt er im kühl gestylten Büro auf seinem ausladenden Ledersessel und erläutert die Verwendung der Prämie. Sie betrug in der letzten Saison 200 US-Dollar pro Tonne, insgesamt 3,6 Millionen US-Dollar. «Vier Prozent davon fliessen in die Bekämpfung der Kinderarbeit, unsere absolute Priorität», sagt Owusu. Dann zählt er all die anderen Förderbereiche auf, von Ausbildungen über ein Genderprogramm bis hin zu neuen Primarschulen.

Über die Verwendung der Prämien entscheiden grundsätzlich die BäuerInnen selbst, wobei der Abstimmungsprozess über eine Kaskade von Gemeindekooperativen und DistriktssekretärInnen in der jährlichen Delegiertenversammlung und im nationalen Exekutivrat in Kumasi zusammenläuft. Weder diese Entscheidungsprozesse noch die Prämienverwendung sind sehr transparent – auf Anfrage beteuern Kuapa Kokoo und die Dachorganisation Fairtrade International, dass die entsprechenden Dokumente nicht offengelegt werden müssten. Jedenfalls haben die meist unter der Armutsgrenze lebenden Mitglieder der Kuapa Kokoo Union offiziell entschieden, sich von den fast dreizehn US-Dollar an Prämien, die ein Sack (64 Kilogramm) Bohnen abwirft, nur gut einen US-Dollar direkt auszahlen zu lassen.

Von Multis abhängig

Exekutivdirektor Owusu ist Umwälzungen im Lebensmittelmarkt gewohnt. Er war Zeuge, als der britische Süsswarenriese Cadbury 2008 beschloss, sein bekanntestes Produkt Cadbury Dairy Milk im britischen Markt gänzlich mit Fairtrade-zertifiziertem Kakao zu produzieren. Ein Segen für Kuapa Kokoo, denn auf einen Schlag konnte der Verband statt nur drei Prozent rund die Hälfte des angebauten Kakaos unter Fairtrade-Bedingungen verkaufen und die entsprechende Prämie einfahren. Kurz darauf, 2010, wurde Cadbury vom US-amerikanischen Multi Kraft Foods gekauft, der sich dann im Oktober 2012 in Mondelez International umbenannte und dabei den nordamerikanischen Geschäftszweig abspaltete. Heute gehören Marken wie Cadbury, Toblerone, Suchard und Milka zum Konzern.

Jeder Besitz- und mögliche Strategiewechsel des weltweit grössten Schokoladeherstellers macht Owusu klar, wie sehr Kuapa Kokoo vom Konzern abhängig ist. Er atmete auf, als Mondelez Ende November verkündete, seine «Nachhaltigkeitsinitiative» weiter auszubauen. Eine Sorge treibt den Manager trotzdem um, denn Mondelez ist daran, in Ghana sieben weitere Fairtrade-Verbände aufzubauen: «Das wird unseren Fairtrade-Absatz, der nun endlich wenigstens auf der Hälfte der gesamten Produktion liegt, wohl wieder verringern.»

Schwitzen für mehr Erträge

Kuapa Kokoos Konkurrenz, eine der von Mondelez neu aufgebauten Fairtrade-Verbände, heisst Mpohor Wassa und hat ihren Sitz in Daboase, einer Kleinstadt unweit der Ölstadt Takoradi. Mpohor Wassa hat gerade die erste Stufe der Zertifizierung bestanden. Maxwell Adom, Projektmanager der evangelikalen Hilfsorganisation World Vision und während des Organisationsaufbaus auch Mpohor-Wassa-Geschäftsführer ad interim, ist stolz auf das bisher Erreichte. Für ihn ist Fairtrade allerdings nur «ein wichtiger Pfeiler» im Rahmen der Mondelez-«Nachhaltigkeitsinitiative», die er im Mpohor Wassa East District umsetzt.

Auch die bäuerlichen Verbandsmitglieder im nahen Dorf Sekyere Krobo sind stolz und zuversichtlich. Den meisten der rund dreissig BäuerInnen, die sich auf dem Dorfplatz versammelt haben, ist bewusst, dass sie nur einen Bruchteil ihrer Ernte unter dem Fairtrade-Label verkaufen werden können. «Das Wichtigste ist, dass wir nun viel besser organisiert sind, unser Wissen austauschen und die Trainings der Cocobod besser nutzen können», sagt eine ältere Frau.

Vor allem das verbesserte Know-how ist durchaus auch einkommensrelevant. Mit richtigen Techniken – etwa die Bäume in genügendem Abstand zu pflanzen, sie zu schneiden, effektive Düngemittel, Insektizide und Fungizide zu verwenden – können erstaunliche Ertragssteigerungen erreicht werden. Kwabina Hindu ist ein solch gut beratener und motivierter Bauer. Anders als bei den Nachbarn herrscht auf seinem 2,4 Hektaren kleinen Feld fast pingelige Ordnung. In der Mittagshitze jätet er Unkraut, schwitzend und mit vollem Körpereinsatz. An den in Reih und Glied gepflanzten Bäumen gedeihen viele rot-gelbe Kakaofrüchte. Beim Nachbarn sind die wenigen Früchte schrumpelig und fleckig, möglicherweise von Pilzen befallen. Der 35-jährige vierfache Familienvater macht eine kurze Jätpause, wischt sich den Schweiss von der Stirn und gibt Auskunft: «In der letzten Saison habe ich 51 Säcke Kakao verkauft – zwei Jahre zuvor erst 30.» 51 Säcke, das ergibt einen Jahresumsatz von immerhin rund 5100 Franken.

Weil die Kakaoproduktion kaum noch mit der wachsenden Nachfrage Schritt halten kann, haben die AbnehmerInnen des Rohstoffs ein grosses Interesse, die Erträge zu steigern. Dazu tragen auch die «Nachhaltigkeitsinitiativen» von Mondelez und anderer Süsswarenmultis bei. Sie ermöglichen nicht zuletzt einen Teil der Ausbildungen, die eigentlich die AgrarberaterInnen von Cocobod und vom Agrarministerium anbieten sollten. Wenn nun auch das Fairtrade-System Einkommenssteigerungen in erster Linie über Ertrags- und nur sehr beschränkt über Preissteigerungen erreicht, ist das weit entfernt vom ursprünglichen Ziel der Fairtrade-Bewegung: dem eines alternativen Systems von «fairem Handel».

Auch wenn nun der Kakaopreis wieder langsam ansteigt, verbleiben die allermeisten KakaobäuerInnen weiterhin in Armut. Laut dem von mehreren nichtstaatlichen Organisationen (darunter die Erklärung von Bern) erstellten «Cocoa Barometer 2012» müsste eine durchschnittliche Bauernfamilie in Ghana 3,5-mal mehr einnehmen als heute, um über die Armutsgrenze zu kommen, in Côte d’Ivoire gar über 16-mal mehr.