Kurdistan-Konflikt: Neubeginn der kurdisch-türkischen Beziehungen?

Nr. 13 –

PKK-Chef Abdullah Öcalan hat erneut eine Waffenruhe angekündigt. Diesmal stehen die Chancen gut, dass sie dauerhaft wird.

Das Chaos des syrischen Bürgerkriegs bedroht zunehmend die Stabilität aller Nachbarstaaten. Die Zahl der Attentate im Irak nimmt zu, die Gräben zwischen den Glaubensrichtungen und Ethnien werden immer tiefer. Jede weitere erfolglose Verhandlungsrunde zum iranischen Atomprogramm bringt die Region einem Militärschlag gegen Teheran näher. Und dazwischen leuchtet der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan wie ein Kandidat für den Friedensnobelpreis. Die Aussöhnung mit Israel ist auf gutem Weg – und in der sogenannten Kurdenfrage scheint die Regierung heute einer Lösung näher denn je.

Alle hoffen, dass dieses Mal mehr ausgehandelt wurde als nur wieder ein Waffenstillstand. Denn eine Waffenruhe wurde seit der Inhaftierung des PKK-Führers Abdullah Öcalan 1999 schon sechsmal ausgerufen. Die Einzelheiten kennen nur wenige, aber offenbar sprach die Regierung bereits im letzten Sommer mit der PKK (siehe WOZ Nr. 27/12).

Was ist dieses Mal anders? Zum ersten Mal hat die Regierung offen mit Öcalan verhandelt, der dies immer als eine Bedingung für Friedensgespräche verlangt hatte. Für Erdogan war das ein Risiko. Immerhin sprach sich noch im Herbst die Hälfte aller TürkInnen gegen direkte Gespräche mit dem PKK-Chef aus. Der Regierungschef hat damit Öcalan, der vor kurzem noch als «Babymörder» galt, deutlich aufgewertet. Und Erdogan blieb dabei, trotz zweier Bombenanschläge im Regierungsviertel von Ankara vergangene Woche.

Beide Seiten haben das enge Zeitfenster erkannt: In den nächsten eineinhalb Jahren finden in der Türkei Kommunalwahlen, Parlamentswahlen und Präsidentschaftswahlen statt. Ausserdem steht die Verabschiedung einer neuen Verfassung auf der Tagesordnung. Gelingt es Erdogan, Fortschritte bei der Lösung der «Kurdenfrage» zu präsentieren, steht sein Wahlsieg fest. Gleichzeitig könnte er mit einer neuen Verfassung ein Präsidialsystem einführen, das ihm dann als Präsident weit mehr Rechte einräumt als bisher. Gewinnt er im Zug der Verhandlungen die kurdennahe Partei für Frieden und Demokratie (BDP), hat er die nötige parlamentarische Mehrheit, um über eine solche Verfassung per Referendum abstimmen zu lassen, was immer die anderen Oppositionsparteien sagen. Der BDP-Vorsitzende hat schon Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Öcalan wiederum weiss, dass er nur bis zu den Präsidentschaftswahlen und der Verabschiedung einer neuen Verfassung in einer starken Position ist. Gelingt der Friede, wird Öcalan voraussichtlich nach 2015 die Gefängnisinsel Imrali verlassen und zu Hausarrest begnadigt. Zwar hatte die Regierung Anfang März jede Amnestie für PKK-KämpferInnen kategorisch ausgeschlossen – aber das wird sich nicht halten lassen, wenn Frieden einkehrt.

Wie langwierig jeder Schritt in diesem Prozess sein kann, zeigt das Ringen um den Abzug der bewaffneten PKK-Einheiten aus der Türkei in den Nordirak. Beide Seiten, so wird berichtet, hätten sich darauf verständigt. Aber es gibt weder eine eindeutige Erklärung noch einen Zeitplan. Der Chef der kämpfenden PKK-Truppen im Nordirak, Murat Karayilan, liess sich inzwischen zitieren, ein vollständiger Rückzug sei vor November nicht möglich.

Werden wirklich alle bewaffneten PKK-Mitglieder aus der Türkei abziehen? Was, wenn radikale KämpferInnen dem Aufruf Öcalans nicht folgen? Dass solche Kräfte auch mit linksradikalen Organisationen zusammenarbeiten, die für etliche Anschläge in den Grossstädten der Türkei verantwortlich sind, ist bekannt. Hat die Regierung das Militär so weit unter Kontrolle, dass kein Kommandeur die abziehenden PKK-KämpferInnen angreift? Braucht es ein besonderes Gesetz, das einen ungehinderten Abzug ermöglicht? Immerhin wurden PKK-KämpferInnen, die nach ähnlichen Friedensverhandlungen Ende 2009 als Voraustrupp aus dem Nordirak in die Türkei zurückkehrten, aufgegriffen und wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu sechzehn Jahren Haft verurteilt. Und was heisst es für den Nordirak, wenn sich dort einige Tausend Bewaffnete niederlassen, was bedeutet das für den Bürgerkrieg in Syrien? Seit Dienstag ist der Chef der nordirakischen Regierung, Necirvan Barzani, in Ankara und weist darauf hin, dass es auch zahlreiche PKK-Mitglieder aus dem Iran und Syrien gebe. Diese sollten in ihre Länder zurückkehren.

Wenn schon der erste Schritt in Richtung Frieden fast ein Jahr in Anspruch nimmt – wie lange wird es wohl dauern, bis geklärt ist, wie man mit den Tausenden von Häftlingen und Angeklagten umgehen will, die wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung der PKK in türkischen Strafanstalten sitzen? Wie soll die Reintegration der PKK als anerkannte politische Bewegung gelingen? Bis wann hat man sich auf die Einzelheiten einer Autonomie des Südostens der Türkei verständigt? Und was, wenn es stimmt, dass Erdogan gesundheitlich mit ernsten Problemen zu kämpfen hat? «Der Kampf ist nicht zu Ende, sondern ein neuer, anderer Kampf beginnt», schrieb Öcalan in seinem Friedensaufruf – ein langer und sehr schwieriger, möchte man hinzufügen.