Medientagebuch: Programmierte Tragödie

Nr. 13 –

Rolf Bossart über drei und mehr Fälle von Antisemitismus.

In den letzten Tagen sind gleich drei ehrbare Bürger als Träger des Antisemitismusvirus in der Öffentlichkeit aufgefallen. Der frisch gewählte Stadtammann von Baden und Nationalrat der Grünen, Geri Müller, wird als allseits beliebter Politiker beschrieben. Leider hat seine verbissene Überbeschäftigung mit Israel inklusive Hamas-Empfang im Bundeshaus in den Medien einige kritische Fragen aufgeworfen. Denn es gibt seit Jahrzehnten in diesem Land kaum eine antiisraelische Aktion, bei der er nicht dabei wäre. Seine VerteidigerInnen wiesen den Vorwurf des Antisemitismus empört zurück und sprachen von einer Schmutzkampagne der Rechten. Müller selbst glaubt das auch, wie er im «Tages-Anzeiger» verlauten liess. Die Basler «Tageswoche» schrieb: «Und sogar die sonst kritische WOZ warf Müller auf einer ganzen Seite vor, er stelle sich ‹unreflektiert an die Seite von Antisemiten›. Das sei ‹bedenklich›.»

Auch der St. Galler Ex-CVP-Kantonsrat Maurus Candrian «ist ein Guter», wie im «St. Galler Tagblatt» aus seinem privaten Umfeld zu vernehmen war. Ein Tierschützer und Kämpfer für Gerechtigkeit, der halt einfach beim Nahostkonflikt rotsehe. Dummerweise habe er bei jener E-Mail, die er der israelischen Botschaft in Bern schickte, zu schnell auf «Senden» gedrückt. In der E-Mail stand laut «SonntagsZeitung»: «Juden in Bulgarien ermordet. Grossartig. Ein guter Tag in meinem Leben.» Während man bei Geri Müller nicht recht weiss, ob ihm die antisemitischen Umtriebe vielleicht genützt haben bei der Wahl, ist bei Candrian der Schaden offensichtlich: Er wurde diese Woche vom St. Galler Baudepartement entlassen.

Ein dritter Fall ereignete sich letzten Sonntag im Schweizer Fernsehen in der «Sternstunde Philosophie». Im Gespräch mit dem allseits beliebten Komiker Massimo Rocchi erwähnte der Journalist Juri Steiner auch Sigmund Freuds berühmte Studie über den Witz und fragte: «Lustgewinn, das würden Sie sicher unterschreiben?» Rocchi jedoch verneinte, in seinem Spiel gehe es nicht ums Gewinnen. Nach einer prophylaktischen Entschuldigung fügte er an: «Im jüdischen Humor gibts immer Zinsen, an denen man verdienen will. Der Jude macht oft Humor, um zu zeigen, dass er Jude ist und nah bei Gott. Der Komiker nicht. Er will nicht gewinnen. (…) Er ist Opfer, er bleibt Opfer. Er ist auf der Bühne der Dumme. Das Publikum versteht viel mehr als er.»

Besser als Massimo Rocchi kann man nicht ausplaudern, worin das Spezifische im heutigen Antisemitismus besteht. Wer Opfer ist und sein darf, das bestimmen wir. Das Opfer muss nämlich rein und unschuldig sein und auch dümmer als diejenigen, von deren Wohlwollen es abhängt. Mischt sich solche Opferliebe mit einer halb verdauten Kapitalismuskritik, bei der Geld und Zinsen die Wurzel allen Übels sind, dann kommt zusammen, was zusammengehört: Die Enttäuschung über die JüdInnen, die in Israel nicht Opfer bleiben wollen, mündet in antisemitische Lügen. Es ist dann nicht mehr weit bis zur Vernichtungsvision, wie sie zum Beispiel im September 2011 auf dem Newsportal «Infosperber» zu lesen war. Christian Müller – Mitglied der Chefredaktion – schrieb damals in kaum verhüllter Vorfreude: «Der letztlich Leidtragende der ganzen Auseinandersetzung wird allerdings schon bald Israel selber sein. Denn im Gleichschritt der Abdankung der USA als Weltmacht – moralisch, wirtschaftlich, militärisch – wird auch Israel abdanken müssen. (…) Die Tragödie ist programmiert.»

Rolf Bossart ist Publizist in St. Gallen.