Ausserdem: Warum hier nichts zum 1. Mai steht

Nr. 18 –

Als diese Zeitung gedruckt wurde, war es Dienstagabend. Weil gestern Mittwoch war ja der 1. Mai und somit frei. Das heisst, dass wir zum Zeitpunkt, da dieser Text verfasst wird, keine Ahnung haben, was morgen – also gestern – passieren wird beziehungsweise passiert ist. Deshalb brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn in dieser Zeitung nichts darüber steht, was gestern – möglicherweise – passiert ist. Dass am 1. Mai etwas passiert (meist im Spannungsfeld zwischen Nachdemo und Ordnungskräften), kommt ja allenthalben vor.

Wir hatten übrigens nicht frei, sondern bereiteten schon die nächste Ausgabe der WOZ vor, aber das tut nichts zur Sache. Und da ja schon 1. Mai war, tut es auch wenig zur Sache, was jeweils so im Vorfeld passiert. Zum Beispiel in den Medien. Irgendein ungeschriebenes Gesetz scheint zu besagen, dass jeweils vor nationalen oder internationalen Grossanlässen eine kritische Berichterstattung über irgendetwas im semantischen Umfeld des Grossanlasses vonnöten ist.

Das ist auch nicht weiter verwerflich, auch nicht am 1. Mai. Es gibt Dinge, die eine kritische Prüfung wert wären, wie etwa die Notwendigkeit der strammen Marschordnung an den Kundgebungen im heutigen Zeitalter. Andere Dinge hingegen sind etwas weniger angemessen. Etwa wenn der 1. Mai zum Anlass genommen wird, Experten zu zitieren, die behaupten, Mindestlöhne seien unsinnig – anstatt eine Reportage über unterbezahlte Schuhverkäuferinnen zu wagen. Oder wenn das Fernsehen sich in einer Qualitätsanalyse von Gewerkschaften versucht. Da wird dann, mit Absicht oder nicht, ein angeblicher Konflikt heraufbeschworen: auf der einen Seite die böse, martialische Unia und auf der anderen der seriöse, konziliante ArbeitnehmerInnenverband Angestellte Schweiz – der gar keine Gewerkschaft ist. Anstatt die Mitglieder von Gewerkschaft und Verband zu fragen, was die Organisationen effektiv für sie leisten. Aber Pustekuchen, danach schreiben ja doch alle nur noch darüber, was am 1. Mai im Spannungsfeld zwischen Nachdemo und Ordnungskräften passiert ist.