«Die Verbannte»: Bukarest als Kulisse

Nr. 18 –

Jolanda Piniel begibt sich in ihrem Debütroman auf die Spuren einer schweizerisch-rumänischen Familiengeschichte.

Jolanda Piniel am Zürcher Hauptbahnhof, wo auch ihr Roman «Die Verbannte» beginnt: «Aufgebrochen bin ich an einem schwülen Sommertag. Es war Ende Juni, die Luft über dem Asphalt flirrte und im Hauptbahnhof dröhnte ein Stimmengewirr, das mit seinem Echo die Eingangshalle vollständig ausfüllte.» Foto: Ursula Häne

Noch ein Schweizer Erstling. Und auch hier geht die Reise ins Ausland. Der Roman beginnt am Zürcher Hauptbahnhof, wo Debora den Zug nach Bukarest nehmen will. Doch als sie zur blauen Tafel hinaufschaut, sind die Abfahrts- und Zielbahnhöfe verschwunden, «als hätte jemand die Zeichen gestohlen oder weggeschrubbt» – ein Angestellter erklärt ihr, das Stromnetz der Eisenbahn sei landesweit zusammengebrochen.

Schliesslich kommt der Zug doch noch in Fahrt. In Bukarest aber ist die Protagonistin erst auf Seite 79. Bis dahin rotieren Deboras Erinnerungen – an ihre Mutter, die einst «eher zufällig» in Bukarest geboren wurde, und an ihre Grossmutter, die mit ihrem Mann, der in Rumänien als Heizungsingenieur arbeitete, in den Jahren des Zweiten Weltkriegs das Leben einer Auslandschweizerin führte.

Debora will in Rumänien für einen Roman recherchieren. Anlass dazu gibt ihr das grosse Schweigen, das Grossmutter bis zu ihrem Tod nicht brach. Und so macht sie sich, mit Grossvaters Memoiren im Gepäck, auf den Weg, um Licht in die vernebelte Vergangenheit zu bringen: Da ist die diffuse Rolle des deutschen Grossvaters in einem Land, dessen Politik mit dem Nationalsozialismus verstrickt war; zum anderen erhofft sich Debora, in Bukarest den Schlüssel zu einer Versöhnung mit ihrer traumatisierten Mutter zu finden.

Als gelernte Ethnologin hat die 43-jährige Piniel Erfahrung darin, eine ihr fremde Umgebung zu beschreiben. Dass sich der ethnologische Blick im Text nicht niederschlägt, lässt aufatmen. Um aber eine weitere Dimension zu erreichen, ist der Text zu sehr auf die Familiengeschichte fixiert: Das reale Rumänien wird zur Kulisse für eine private Aufarbeitung. Zwar wartet Piniel immer wieder mit präzisen Beschreibungen von Lichtstimmungen und der Atmosphäre von Räumen auf – doch bleibt der Blick touristisch. Das vermag auch das kompositorische Geschick nicht zu ändern, mit dem Piniel Erzählperspektiven und Zeitebenen gegeneinander schneidet.

Lesung mit Jolanda Piniel an den Literaturtagen am Freitag, 10. Mai 2013, 15 Uhr, im Palais Besenval.

Jolanda Piniel: Die Verbannte. Dörlemann Verlag. Zürich 2012. 254 Seiten. Fr. 29.90