Thomas Meyers «Wolkenbruch»: Bort ab, Pilotn-Briln weg

Nr. 18 –

Kürzlich im Theater Neumarkt: Schriftsteller Thomas Meyer im Gespräch über Zürich, Tel Aviv, Jiddisch und die Erweckung des Mordechai Wolkenbruch.

Thomas Meyer schreitet über den Zürcher Lindenhof: «Hier treffen sich Motti und Michèle in meinem Buch. Hier treffe ich, seit die letzte sagte, das sei ihr zu romantisch, keine Frauen mehr. Wäre auch ein Anfang, eine Frau zu treffen. Hier wurde Zürich begründet, es ist der älteste Teil. Auch ein Anfang.» Foto: Ursula Häne

«Die Gedanken sind frei» heisst die Gesprächsreihe, zu der Daniel Cohn-Bendit ins Zürcher Theater Neumarkt einlädt. Nach Margarethe von Trotta, Paul Nizon und Jean-Luc Godard war kürzlich der Zürcher Thomas Meyer an der Reihe, der mit seinem Romanerstling «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» (2012) Furore macht: Fast 20 000 Exemplare sind schon verkauft. Zuvor war der 39-Jährige als Werbetexter, Kolumnist und Urheber der «Aktion für ein kluges Zürich» aufgefallen.

Den Nachnamen seines Protagonisten hat Meyer bei der Beschäftigung mit Namen erfunden, die man sich bis ins 20. Jahrhundert hinein im deutschsprachigen Raum kaufen musste, um als Jude nicht mit behördlich verordneten Schimpfnamen wie «Maulwurf» oder «Bettelarm» versehen zu werden: «Wolkenbruch», so Meyer, diesen Namen hätte er sich zugelegt. Sein Roman, der auch ein Zürich-Roman ist, lebt von dezent gestreuten jiddischen Wörtern, was ihm eine ironische, vulgär-charmante Würze verleiht. Ob die florierende Jiddischbegeisterung, die sich etwa in boomenden Kursen zeigt, mit ein Grund für den Erfolg ist?

Was das Buch auf jeden Fall auszeichnet, ist die Leichtigkeit des Erzählens – und der Witz der Dialoge: Im Zentrum steht der 27-jährige Jusstudent Mordechai «Motti» Wolkenbruch, der noch immer bei seinen orthodoxen Eltern lebt. Und dessen Mutter ihn gemeindekonform verkuppeln will. Diese Frojen aber wollen Motti nicht gefallen, und so eröffnet ihm erst eine Schickse (nicht orthodoxe Frau) die Scheinkajt (Schönheit) der gojischen (nicht jüdischen) Welt. Alsbald legt er seinen Gehorsam ab, schneidet sich den Bort und trägt nicht mehr die kurzen schwarzen Hoisn vom Herrn Winterkleid, sondern Jeans (und schon gar nicht die Pilotn-Briln von Optiker Grünstern).

Meyer selbst kommt aus liberalem Haus und bezeichnet sich augenzwinkernd als «Kreuzung» aus Vorfahren einer ukrainischen Rabbidynastie und seit Jahrhunderten in Birmensdorf ansässigen Meyers. Mitreissend tragikomisch schildert er in seinem Buch das Dilemma des jungen Mannes zwischen dem Orthodoxen und dem Weltlichen. Sein persönliches Unbehagen gegenüber allem Orthodoxen gibt Meyer preis, ohne zu diffamieren – zumal es sich ja, wie Cohn-Bendit anfügt, «nicht um eine nur jüdische, sondern um eine gesamtgesellschaftliche Struktur» handelt.

Frei sind die Gedanken an diesem Abend, und so wandelt Meyer die Antwort nicht selten in eine Gegenfrage, sodass man auch Daniel Cohn-Bendit als Erzähler erlebt. Im Gespräch über die Stelle im Roman, wo ein Rabbi dem Motti schmackhaft machen will, nach Tel Aviv zu fliegen («Da verlieben Sie sich noch am Flughafen!»), bezeichnet Cohn-Bendit Tel Aviv als «letzte Hippiestadt der Welt». Doch um die Winde der weiten Welt durch die Seiten wehen zu lassen, braucht Meyer ausser dem Intermezzo in Tel Aviv keine interkontinentalen Sprünge. Man kann also auch in und aus der Schweiz einen weltoffenen Roman schreiben.

Ja, die Gedanken sind frei. Und Herr Meyer, wie sich der Autor zuweilen nennt, versprüht seinen unkorrekten Charme: Auf seine Erfahrungen an Lesungen angesprochen, meinte er vor versammeltem Zürcher Publikum, dass die Zürcher am verklemmtesten seien (und am lockersten die St. GallerInnen).

Jetzt darf man sich auf die Verfilmung des «Wolkenbruchs» freuen. Mit oder ohne Dani Levy als Cohn-Bendits Wunschregisseur. Herr Meyer arbeitet schon amol am Drehbuch.

Thomas Meyer: Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse. Salis Verlag. Zürich 2012. 288 Seiten. Fr. 34.80