Britanniens Steuerstrategie: Die mächtige Stimme der City of London

Nr. 20 –

In diesen Tagen treffen sich die Regierungen der EU-Mitglieder, um über die flächendeckende Einführung des automatischen Informationsaustauschs zu beraten. Europas grösster Finanzplatz vertritt dabei widersprüchliche Positionen.

Diese unverblümte Antwort war dann doch zu viel. Ob die Kanalinsel Jersey eine Steueroase sei, wurde der Abgeordnete Montfort Tadier kürzlich von der französischen Zeitung «Le Parisien» gefragt. «Aber natürlich!», erwiderte er. Seine Insel sei voller fingierter Trusts und diene in erster Linie dazu, nichtansässigen Leuten Möglichkeiten zur Steuerumgehung zu bieten. Äusserungen dieser Art sind auf Jersey unerwünscht – besonders, wenn sie von gewählten PolitikerInnen stammen. Tadier habe damit einen Schatten auf die Insel geworfen, Jersey und die Finanzindustrie verunglimpft, wetterte der Finanzminister der Insel und forderte Tadier auf, seine Aussage zurückzuziehen. «Lose Zungen kosten Jobs auf Jersey», sagte er in einem Interview. Eine solch empfindliche Reaktion auf eine Aussage, die kaum neue Erkenntnisse an den Tag bringt, zeigt, dass es mit dem Umdenken in den britischen Steueroasen nicht weit her ist.

Dabei waren die Nachrichten aus Jersey zuletzt positiv gewesen. Nach der Isle of Man und Guernsey – den zwei anderen Kronbesitzungen – willigte Jersey auf Druck Londons im März ein, Informationen über Konten nicht auf Jersey ansässiger britischer BürgerInnen an die britische Regierung weiterzuleiten. Anfang Mai erklärten sich dann auch die Überseegebiete in der Karibik – Steueroasen wie die Cayman Islands, Bermuda oder die British Virgin Islands – bereit, gewisse Informationen mit London und fünf weiteren europäischen Regierungen zu teilen.

Welche Informationen diese Abkommen genau umfassen, ist allerdings noch unklar, entsprechend schwierig ist es einzuschätzen, ob die Ankündigung tatsächlich ein Durchbruch ist. So ist insbesondere nicht bekannt, ob der Informationsaustausch nur Privatkunden betrifft oder auch sogenannte Trusts – Konstrukte, die die wahren EigentümerInnen eines Vermögenswerts verschleiern und besonders im angelsächsischen Raum verbreitet sind. Sollten Trusts und andere Gesellschaften von den Abkommen ausgenommen sein, wären die Verträge zahnlos.

Londons verworrene Interessen

Es ist jedoch offensichtlich, dass sich der konservative britische Premierminister David Cameron den Kampf gegen Steuerhinterziehung auf die Fahnen geschrieben hat. Die Verpflichtung der Finanzindustrie zu mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht hat er zur Priorität seiner diesjährigen Präsidentschaft im Bund der G8-Staaten erklärt. Wie die anderen Regierungschefs fordert auch Cameron, dass an der Tagung des Europäischen Rats am 22. Mai der automatische Informationsaustausch über Bankdaten zum globalen Standard erklärt wird. Auch andere Länder sollten sich, so der britische Premierminister, einem multilateralen System anschliessen. Der Druck steigt auch auf das Steuerparadies Schweiz.

All das ist nicht blosse Rhetorik. Der britischen Regierung ist daran gelegen, Steuerschlupflöcher zu stopfen, um ihre Einnahmen zu erhöhen. Fünf Jahre nach dem Beinahekollaps des globalen Finanzsystems und drei Jahre nach Beginn der Austeritätspolitik scheint der wirtschaftliche Aufschwung noch immer in weiter Ferne zu liegen. Die Regierung kämpft mit Defiziten, seit Anfang des Jahres haben bereits zwei Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit des Staates um eine Stufe herabgesetzt – dabei war die Verhinderung einer Herabsetzung eines der erklärten Ziele der Sparpolitik. Da die konservative Regierung die Steuern jedoch nicht erhöhen will, versucht sie, die bestehenden konsequent einzutreiben: Vom Abkommen mit den Kronbesitzungen erhofft sich das Steueramt eine zusätzliche Milliarde Pfund, und durch die Abgeltungssteuer mit der Schweiz, die bereits 340 Millionen Pfund eingebracht hat, sollen dem Fiskus weitere 5 Milliarden Pfund zufliessen (SteuerexpertInnen halten diese Zahl allerdings für stark übertrieben, da der Deal zahlreiche Schlupflöcher enthält). Die Überseegebiete zu mehr Kooperation zu zwingen – ein Schritt, der einem europaweiten Abkommen zum automatischen Informationsaustausch den Weg bereiten könnte –, ist Teil dieser Strategie. Die Gebiete haben zwar eigene Regierungen, die aber faktisch nicht gegen die Interessen Londons handeln können.

Umsatz: 1,2 Milliarden. Steuern: keine

Welche Interessen London ganz genau verfolgt, ist allerdings schwer auszumachen – Regierung, Finanzindustrie und Zivilgesellschaft sind sich nicht immer einig. Der Druck auf die Steueroasen kommt nicht nur von der Regierung, die sich davon höhere Einnahmen verspricht, sondern auch von der Öffentlichkeit. In kaum einem anderen Land sei die öffentliche Wahrnehmung dubioser Steuerpraktiken und der daraus entstehenden Steuerlücke so gross wie in Britannien, sagt Richard Murphy, Direktor des Thinktanks Tax Research UK. Gemäss seinen Berechnungen entgehen dem Staat 120 Milliarden Pfund pro Jahr (das Steueramt selbst erachtet diese Zahl als zu hoch und spricht von 35 Milliarden Pfund). Rund zwanzig Prozent davon liegen «offshore». Die Kampagnen gegen Steuerhinterziehung, etwa von UK Uncut oder dem Tax Justice Network, sowie eine Reihe von dreisten Steuerhinterziehungsfällen grosser Konzerne und Vermögenden haben die Öffentlichkeit für Steuerfragen sensibilisiert. Jüngstes Beispiel ist die amerikanische Kaffeekette Starbucks, die trotz eines Umsatzes von 1,2 Milliarden Pfund in den letzten drei Jahren in Britannien keine Steuern bezahlt hat. Währenddessen strengt die Kampagnengruppe UK Uncut ein Gerichtsverfahren gegen das Steueramt an, weil dessen Chef angeblich vor einigen Jahren einen geheimen Deal mit der Investmentbank Goldman Sachs gemacht und ihr zehn Millionen Pfund an Steuern erlassen hat.

Versucht die Regierung, solche Steuerpraktiken allzu forsch zu bekämpfen, läuft sie jedoch Gefahr, den Finanzplatz der City of London zu verprellen. Colin Stanbridge, Geschäftsführer der Londoner Industrie- und Handelskammer, sagt gegenüber der WOZ, dass Firmen und Vermögende ihre Steuern ordnungsgemäss zu entrichten hätten, verlangt aber, dass der Kampf gegen Steueroasen global koordiniert werden soll, «um nicht der Wettbewerbsfähigkeit des Vereinigten Königreichs zu schaden». Der konservative Abgeordnete Stephen Barclay, Mitglied vom Haushaltsausschuss des britischen Unterhauses, hat dieselben Bedenken: «Das Risiko besteht darin, dass zu aggressives Handeln in Steuerangelegenheiten internationale Unternehmen davon abhält, nach London zu kommen.» Seine Lösung besteht darin, die Unternehmensteuer zu senken, damit die Firmen keinen Anlass haben, ihre Steuerrechnung durch unlautere Tricks zu stutzen. Camerons Regierung hat die Unternehmenssteuer bereits von 26 Prozent auf 23 Prozent gesenkt, nächstes Jahr soll sie auf 21 Prozent fallen (vor dreissig Jahren lag der Satz noch bei 52 Prozent). Britannien ist auf dem Weg, das «wettbewerbsfähigste Unternehmenssteuerregime unter den G20-Staaten zu schaffen», wie die Regierung beim Amtsantritt vor drei Jahren versprach.

Halbherzige Trockenlegung

Die Regierung steht ideologisch auf der gleichen Linie wie die City, zumindest setzt sie deren Interessen mit denen des Landes gleich. Sie macht sie entsprechend nur halbherzig an die Trockenlegung der Steueroasen (dazu kommt, dass rund die Hälfte der Parteispenden der konservativen Partei von Finanzunternehmen stammt). Viele der Finanzdienstleister in der City profitieren vom britischen Netz der Schattenfinanzzentren: Milliarden von Pfund werden von dort jährlich in die City gespült und verhelfen der Hauptstadt zu ihrer Vormachtstellung unter den internationalen Finanzzentren. Strenge Massnahmen gegen die Inseln würden in der City einen gewaltigen Widerstand auslösen, sagt Finanzökonom Tony Greenham von der New Economics Foundation. Die Interessen der City und jene der britischen Steueroasen seien deckungsgleich. Die Finanzlobby kämpfe hart dafür, dass die Geheimhaltungspraktiken wie Trusts in den karibischen Steuerparadiesen beibehalten werden.

Schatzkanzler George Osborne will die Vormachtstellung des Londoner Finanzzentrums verteidigen. Er sträubt sich gegen jegliche internationalen Massnahmen, die sie gefährden könnten. Die Finanztransaktionssteuer etwa, die von elf europäischen Regierungen unterstützt wird, bekämpft das britische Schatzamt mit allen Mitteln – Seite an Seite mit der Finanzindustrie.

Die britischen Steueroasen

Anguilla, die Cayman Islands, Bermuda und all die anderen Überseegebiete sind politisch eng mit dem britischen Staat verknüpft: Die Queen ernennt deren Gouverneure und segnet wichtige Gesetze ab; zudem ist London für deren gute Regierungsführung verantwortlich. Allerdings sind sie nicht Teil der EU. Die Beziehungen von London zu den Kronbesitzungen Jersey, Guernsey und Isle of Man ist ähnlich. Ihre Beziehung zu London macht die Inseln für SteuerhinterzieherInnen attraktiv. Würden die Steuerparadiese nicht durch das britische Establishment geschützt, wären die korrupten Steuerhinterziehungspraktiken viel stärker der internationalen Kritik ausgesetzt, sagt Nicholas Shaxson vom Tax Justice Network.

Drohungen, sich unabhängig zu machen, wie Jersey sie letztes Jahr äusserte, sind deshalb nichts als heisse Luft. Umgekehrt nützen die Steueroasen der City of London, weil unlautere Praktiken scheinbar weit weg von der Hauptstadt erfolgen und sich die Finanzindustrie in der Hauptstadt so nicht selbst die Hände schmutzig machen muss.