Medientagebuch: Wenn der Sauerstoff fehlt

Nr. 20 –

Roman Berger über den Kampf gegen Newswüsten in den USA.

Die Liste wird immer länger: Los Angeles, Chicago, Seattle, Denver, Orlando, Omaha, Hartford, Buffalo, Oklahoma City … In immer mehr US-Städten gibt es nur noch eine grosse Zeitung. Man nennt sie One Voice Cities. Wenn nur noch eine Stimme informiert, fehlt die Gegenstimme, die Konkurrenz. Unbequeme Fakten bleiben im Dunkeln, Konflikte werden nicht mehr ausgetragen. Lokale TV- und Radiostationen gehören oft auch dem Besitzer des dominierenden Printmediums. Alternative Internetportale sind zu schwach, um Gegensteuer zu geben. Die Medien sind kein «Watchdog» mehr.

Die Medienlandschaft der USA trocknet aus. Ganze Städte und Regionen haben sich in Newswüsten verwandelt. Wenn eine Stadt oder eine Region mehrheitlich von ethnischen Minderheiten oder armen Weissen bewohnt ist, werden sie für die Mainstreammedien, die auf das besser situierte Amerika ausgerichtet sind, uninteressant. In diesen Newswüsten gibt es ausser Wetter, Sport, Unglücksfällen und Verbrechen nur wenige andere lokale Nachrichten.

Die Frage, wie die Medienkrise in den USA die Demokratie aushöhlt, beschäftigte vor kurzem mehrere Tausend TeilnehmerInnen einer dreitägigen Konferenz in Denver. Organisiert wurde sie nicht von einer JournalistInnengewerkschaft oder einer universitären Journalismusfakultät, sondern von einer BürgerInnenbewegung mit dem Namen Free Press, die für bessere Medien kämpft. «Wir waren alarmiert, als vor zehn Jahren auch Leitmedien wie die ‹New York Times› oder die ‹Washington Post› den unter falschen Behauptungen vom Zaun gebrochenen Irakkrieg unterstützten. Das war eine der dunkelsten Stunden im amerikanischen Journalismus.» So erklärt der bekannte Medienwissenschaftler Robert McChesney, warum 2003 Free Press gegründet wurde.

Inzwischen hat Free Press – mit einem von der Soros- und Ford-Stiftung alimentierten Budget von vier Millionen US-Dollar – dreissig Angestellte. Free Press hat sich zu einer beachtlichen BürgerInnenbewegung entwickelt, bleibt aber ein kleiner Fisch im Haifischbecken der Giganten des Medienbusiness. Die Informationsflüsse für mehr als 300 Millionen AmerikanerInnen werden heute von fünf Megakonzernen kontrolliert, bei denen die Medien oft nur einen kleinen Teil des Geschäfts ausmachen.

Hat der Kampf von Free Press für eine «Medienreform» überhaupt noch eine Chance? McChesney, Mitbegründer und Vordenker der Bewegung, vertritt die These, die «fünf Mediengiganten» seien nicht einfach auf dem Markt entstanden, sondern das Resultat einer falschen Politik, die auch wieder korrigiert werden könne. Aber ein solcher Prozess sei im politischen Kontext von heute nicht möglich. McChesney: «Medienreform setzt eine Demokratiereform voraus, vergleichbar mit der Bürgerrechtsbewegung vor vierzig Jahren, als Amerikas Schwarze gleichberechtigte Bürger wurden. Eine Medienreform mit dem Ziel, alle Bürger mit dem für das Überleben der Demokratie notwendigen Sauerstoff Information zu versorgen, kann nur durch eine breite Koalition von Gewerkschaften, Bürgerrechts- und Umweltschutzorganisationen und natürlich auch der Journalisten erfolgreich sein.»

Vom erzkonservativen TV-Sender Fox News (Rupert Murdoch) wird Robert McChesney als «gefährlicher Marxist» verteufelt, der in den USA eine linke Revolution anzetteln wolle. Das nimmt McChesney mit Schmunzeln als Kompliment zur Kenntnis.

Roman Berger war langjähriger 
Korrespondent des «Tages-Anzeigers», 
unter anderem in den USA (1976–1982).