Kommentar: Gescheitert an einem Psychopathen

Nr. 21 –

«Ein Delikt ist ein kleiner Staatsstreich von unten», hat der Philosoph Michel Foucault einmal gesagt. Straftaten sind politisch, Justiz ist politisch, Gefängnisse sind politisch – davon war die Linke überzeugt. Man sah die Gesellschaft, die Menschen erst zu VerbrecherInnen macht, und wollte die Gefängnisse reformieren.

Letzteres nicht etwa, weil man ein grosses Herz für Mörder hatte, sondern weil die Vernunft sagt: Menschen, die zwanzig Jahre unter miesen Bedingungen eingesperrt sind, werden eher gefährlich als abgeklärt. Gefängnisse machen die Gesellschaft vielleicht sicherer, solange die Leute weggesperrt sind, aber irgendwann kommen sie raus. Sie brauchen eine Perspektive auf ein anständiges Leben in Freiheit. Sperrt man sie lebenslänglich weg, werden sie noch gefährlicher. Dann bräuchte es Hochsicherheitstrakte. Und wenn die darin eingesperrten Männer ausbrechen wollten, könnten sie ungeniert Geiseln nehmen und Leute umbringen – mehr als die lebenslänglich Versorgten wieder einsperren, kann man nicht. Das war es, was man sich damals überlegte, vor über zwanzig Jahren.

Dann kam der Mord am Zollikerberg, und alles wurde anders. Die «Kuscheljustiz» stand am Pranger, die Verwahrungen wurden verschärft. Und 2004 wurde die Verwahrungsinitiative angenommen, die fordert, «nicht therapierbare, extrem gefährliche Sexual- und Gewaltstraftäter» müssten lebenslänglich verwahrt werden.

Jetzt der Mord an Marie. Es ist müssig, den Mörder Claude Dubois nicht beim Namen zu nennen, weil das ganze Land ihn kennt. Ihm traut man alles zu. Er erschiesst seine erste Exfreundin, wird zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Schliesslich kommt er in Halbfreiheit. Die Vollzugsbehörden sehen, wie gefährlich er ist. Sie wollen ihn zurück ins Gefängnis befördern. Ein Richter verhindert das. Das war ein Fehler, aber irgendwann hätte der Mann ohnehin freigelassen werden müssen. Draussen bändelt er mit Marie an, bedroht sie, als sie sich von ihm abwendet, und bringt sie um.

Er wird als kalt und brutal beschrieben. Egal ob er eine schwere Kindheit hatte oder sonst von der Gesellschaft schlecht behandelt wurde – das Gefühl sagt: Dieser Mann soll nie mehr rauskommen. Falsch kann das Gefühl nicht sein, obwohl niemand wissen kann, ob die Geschichten, die heute über Dubois geschrieben werden, wirklich stimmen. Die Unschuldsvermutung – die gewöhnlich bis zur Verurteilung gilt – ist ausser Kraft gesetzt. Dubois verkörpert das Böse. Und so unangenehm es ist, er wirkt auch als Putschist, der das System infrage stellt.

Das Justizsystem ist an diesem Psychopathen gescheitert – wenn es künftig alle Delinquenten als Psychopathen behandeln würde, könnte das nie mehr geschehen. Doch das kann niemand wollen, weil es dann viele Hochsicherheitstrakte brauchen würde.