Iran: Der Boykott bleibt nach dem «Raub der Wahlen» der einzige Ausweg

Nr. 23 –

Die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen im Iran machen die politische Verengung in dessen Machtapparat deutlich. Revolutionsführer Ali Chamenei duldet keine Abweichungen. Reformkräfte hoffen auf einen breit getragenen Wahlboykott.

Es hätten durchaus spannende Wahlen werden können. Mit Esfandiar Rahim Maschai, dem Wunschkandidaten des jetzigen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad, und Ali Akbar Haschemi Rafsandschani, dem ehemaligen Staatspräsidenten, wollten sich zwei reformorientierte, populäre Politiker der Volkswahl stellen. Doch der Wächterrat, der für die Zulassung der KandidatInnen zuständig ist, lehnte beide ab. Von den 686 BewerberInnen hielt der Rat lediglich acht für qualifiziert. Davon gehören sechs zur treuen Gefolgschaft des Revolutionsführers Ali Chamenei, die anderen zwei gelten als moderate Konservative.

«Denn sie wissen nicht, was sie tun»

Rafsandschani, der pragmatische Geistliche, zeigte sich bis zuletzt zögerlich, obwohl ihn nicht nur seine AnhängerInnen, sondern auch moderate Konservative zur Kandidatur gedrängt hatten. Zuletzt machte er seine Teilnahme von der Zustimmung Chameneis abhängig. «Ohne Zustimmung des Revolutionsführers werde ich nicht antreten, denn sollte er nicht einverstanden sein, würde ich das Gegenteil von dem erreichen, was ich anstrebe», sagte der 78-Jährige. Dass er die Zustimmung letztlich erhielt, darf bezweifelt werden. Denn nachdem Rafsandschani seine Bewerbung angemeldet hatte, liess Chamenei durch sein Büro mitteilen, er nehme grundsätzlich zu den Kandidaten keine Stellung. Er habe wie jeder andere nur eine Stimme, die er am Wahltag abgeben werde.

Niemand rechnete mit der Ablehnung Rafsandschanis. Denn es war kaum denkbar, dass der Wächterrat einen Mitbegründer der Islamischen Republik ablehnt, der wie kein anderer Politiker den Staat über Jahre gelenkt und geführt hat. Rafsandschani war der engste Weggefährte des Ajatollahs Ruhollah Chomeini; im achtjährigen Krieg gegen den Irak war er Oberbefehlshaber, dann war er viele Jahre Parlamentspräsident und Vorsitzender der Expertenversammlung und acht Jahre lang Staatspräsident. Zurzeit ist er Vorsitzender des Schlichtungsrats. Es gehört schon eine Menge Dreistigkeit dazu, einem solchen Politiker die Qualifikation für das Amt des Präsidenten abzusprechen.

Rafsandschani sagte zu seiner Ablehnung: «Ich möchte mich mit diesen Leuten, mit ihren unsinnigen Äusserungen und Denunzierungen nicht auseinandersetzen. Was mich jedoch quält, ist, dass sie nicht wissen, was sie tun.» Er appellierte an die WählerInnen, nicht zu resignieren und Ruhe zu bewahren: «Wir können jetzt nichts tun», sagte er. «Sie haben getan, was sie wollten. Unser Land braucht mit diesen Leuten keine Feinde mehr von aussen. Die Probleme sind hausgemacht.»

Eigentlich wäre Rafsandschani für all jene, die am Erhalt der islamischen Staatsordnung interessiert sind, die vernünftigste Wahl gewesen. Viele hofften, er könne die Wirtschaft wieder in Gang bringen und den Iran aus der internationalen Isolation herausbringen. Er wolle die unter Ahmadinedschad entlassenen Experten wieder zurückholen und in der Aussenpolitik einen versöhnlichen Kurs einschlagen, sagte Rafsandschani. Dazu gehörten sowohl ein Einlenken mit der Uno im Streit um das iranische Atomprogramm als auch die Wiederaufnahme der seit 1978 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen mit den USA. Selbst die Konfrontation mit Israel sollte beendet werden. «Wir haben keinen Krieg mit Israel», erklärte Rafsandschani.

Einer geheimen, aber durchgesickerten Umfrage des Informationsministeriums zufolge hätte Rafsandschani bis zu 75 Prozent der WählerInnenstimmen erhalten können. Dies hat vermutlich den Ausschlag für seine Ablehnung im Wächterrat gegeben. Denn Chamenei wusste, dass Rafsandschani im Fall einer Regierungsübernahme Vollmachten verlangt und damit die Befugnisse des Revolutionsführers erheblich eingeschränkt hätte. Zudem wäre ein Kurswechsel, vor allem in der Aussenpolitik, als Kapitulation Chameneis aufgefasst worden. Denn bisher war er derjenige, der die radikalen Entscheidungen, auch in der Aussenpolitik, traf. Anstatt sein Ansehen und seine Macht aufs Spiel zu setzen, setzt er lieber den bisherigen radikalen und ideologisch verbrämten Weg fort.

Arabischer und iranischer Islam

Der zweite populäre Kandidat, Esfandiar Rahim Maschai, wurde aus ähnlichen Gründen abgelehnt. Er wird von den Konservativen angefeindet und gilt als der eigentliche Drahtzieher der sogenannten Abweichler. So wird der engere Kreis um Ahmadinedschad bezeichnet. Auch Maschai hätte, wäre er gewählt worden, die Position Chameneis gefährden können. Denn wie Ahmadinedschad propagiert er einen iranischen Nationalismus und preist die von der Geistlichkeit verschmähte alte iranische Kultur.

Die «Abweichler» vertreten auch einen angeblich modernen, mit der iranischen Kultur verschmolzenen Islam, der sich gegen die konservative Geistlichkeit richtet: Weil die damalige arabische Kultur unterentwickelt gewesen sei, sei der Islam, den die AraberInnen in den Iran brachten, im Vergleich zum Islam, der durch Symbiose mit der iranischen Kultur entstanden ist, minderwertig, argumentieren sie. Daher müsse die Islamische Republik den «iranischen Islam» verbreiten. Der konservative Islam sei längst passé.

Hunderte im Gefängnis

Die Reformer um Expräsident Muhammad Chatami hatten von vornherein keine Chance, zugelassen zu werden. Chatami selbst hatte lange gezögert und sich schliesslich gegen eine Teilnahme entschieden: Er gehe davon aus, dass der Wächterrat ihn ablehnen werde. Und selbst wenn man ihn kandidieren liesse und er die Wahl gewinnen würde, würde man ihm so viele Steine in den Weg legen, dass er nicht richtig arbeiten könnte, sagte er.

An der letzten Präsidentschaftswahl im Jahr 2009 hatten die Reformer mit ihren zwei Kandidaten, Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi, teilgenommen und eine landesweite Bewegung in Gang gesetzt. Diese «Grüne Bewegung» hatte grosse Hoffnungen geweckt. Millionen, vor allem Frauen und Jugendliche, nahmen am Wahlkampf teil. Es schien so gut wie sicher, dass die Reformer die Wahl gewinnen würden. Doch Ahmadinedschad durfte dank einer eklatanten Wahlfälschung in seinem Amt verbleiben. Das lieferte den Anlass zu landesweiten Protesten, die fast neun Monate dauerten.

Nur durch brutale Gewalt konnten die Protestierenden von der Strasse vertrieben werden. Danach machten sich Hoffnungslosigkeit und Resignation breit. Mussavi und Karrubi befinden sich seit über zwei Jahren im Hausarrest, Hunderte AktivistInnen, darunter ranghohe ehemalige Politiker, JournalistInnen, Kulturschaffende, StudentInnen und Jugendliche, sind im Gefängnis.

Doch die Brutalität des Regimes war nur ein Grund für das Scheitern der Grünen Bewegung. Die Bewegung war nicht geeint, sie hatte weder eine Führung noch ein Programm. Die Protestierenden forderten zwar die Annullierung des Wahlresultats. Aber in ihren Zielen lagen die verschiedenen Strömungen weit voneinander entfernt: Während die einen Reformen innerhalb der bestehenden Ordnung anstrebten, traten andere für einen Systemwechsel ein. Zudem versäumte es die Bewegung, gesellschaftliche und ökonomische Forderungen der unteren Schichten aufzunehmen. So blieb sie auf die städtische Mittelschicht, auf Jugendliche und Intellektuelle beschränkt und fand keinen Zugang zu Industrie- und Handwerksbetrieben oder zu den Menschen in der Provinz.

Eine gewisse Demütigung

Auch wenn es heute noch aktive AnhängerInnen der Grünen Bewegung gibt – eine Organisation unter diesem Namen existiert nicht mehr. Nach Chatamis Absage haben sich die Reformer hinter Rafsandschani gestellt, obwohl Rafsandschani ein Konservativer ist. Er hatte jedoch 2009 das Vorgehen der Sicherheits- und Ordnungskräfte gegen die Protestierenden verurteilt und die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert. Bekannt ist er als pragmatischer Macher. Dennoch mussten die Reformer eine gewisse Demütigung auf sich nehmen und sich hinter Rafsandschani stellen. Denn gerade sie hatten ihn bereits vor Jahren heftig kritisiert, weil sie ihn für korrupt und machtbesessen hielten und für zahlreiche tödliche Attentate im In- und Ausland verantwortlich machten. Durch Rafsandschanis Wahlausschluss sind die Reformer nun vom Wahlkampf komplett abgeschnitten.

Folgerichtig schrieb einer der prominenten Reformer, Mostafa Tadschsadeh, der genauso wie viele seiner Weggefährten seit 2009 hinter Gittern sitzt, das herrschende System im Iran ähnele einer «absoluten Monarchie». Den Reformern bleibe nach dem «Raub der freien Wahlen» kein anderer Ausweg mehr, als die Wahl zu boykottieren. Die zu erwartende geringe Wahlbeteiligung werde die Regierung schwächen, die bereits bestehenden Probleme vergrössern, die Sanktionen verhärten und damit die Unzufriedenheit in der Bevölkerung weiter steigern.

«Revolutionärer Diplomat» als Favorit

Tatsächlich fürchten die Machthaber eine geringe Wahlbeteiligung am meisten. Denn bisher behaupteten sie immer, das Volk stehe voll hinter ihnen, und verwiesen als Beweis auf die grosse Beteiligung bei allen bisherigen Wahlen. Daher werden sie versuchen, mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln die WählerInnen zu mobilisieren. Und sollte dies nicht gelingen, gibt es immer noch den Ausweg der Manipulation.

Von den sechs Kandidaten, die zur Gefolgschaft Chameneis gehören, werden Said Dschalili die grössten Chancen eingeräumt. Der heutige Vorsitzende des obersten nationalen Sicherheitsrats ist seit 2007 Irans Chefunterhändler bei den internationalen Verhandlungen bezüglich des iranischen Atomprogramms. Der 49-Jährige, der im iranisch-irakischen Krieg seinen rechten Fuss verlor, startete seine Karriere 1991 als Diplomat. Er verfasste zudem eine Doktorarbeit über die «Aussenpolitik des Propheten Mohammed».

Wie er nach seiner Zulassung erklärte, würde Dschalili als neuer Präsident im Atomstreit keine Kompromisse eingehen. «Widerstand in Sachen Atomprogramm ist für mich wie Widerstand, wenn es um die Existenz des Landes geht», sagte er. Mit seinen Slogans «Widerstand ist unser erstes und letztes Wort» und «Weder Kompromiss noch Nachgiebigkeit» folgt er der Linie Chameneis. Seine AnhängerInnen haben ihm den Titel «revolutionärer Diplomat» gegeben. Mit Dschalili als Präsidenten wären sicher keine Veränderungen zu erwarten.

Die limitierte Wahl

Am 14. Juni 2013 wählen die Wahlberechtigten unter den rund 78 Millionen IranerInnen einen neuen Staatspräsidenten. Zur Auswahl stehen acht Kandidaten, die der aus sechs Geistlichen und sechs Juristen bestehende Wächterrat zugelassen hat.
Der Favorit Said Dschalili will gemäss eigenem Bekunden die Korruption bekämpfen und dadurch das wirtschaftliche Potenzial des Landes besser ausschöpfen. Für ihn ist die Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen Bestandteil der Revolution, aber am wichtigsten sei doch ihr Einsatz zu Hause. Der Iran hat 1963 das Frauenwahlrecht eingeführt.