Kultour

Nr. 23 –

Hot Spot Istanbul

Das Zürcher Haus Konstruktiv richtet mit «Hot Spot Istanbul» den Blick auf die Türkei. In der Stadt am Bosporus konzentriert sich eine besonders vitale Kunstszene, die nicht nur KünstlerInnen aus dem ganzen Land anzieht, sondern inzwischen auch solche aus aller Welt. Parallel dazu hat sich ein reges Museums- und Galerienleben etabliert.
«Hot Spot Istanbul» zeichnet am Beispiel von dreizehn KünstlerInnen den Weg der abstrakt-konkreten Malerei in der Türkei seit Ende der vierziger Jahre nach. Can Altay, einer der jüngsten der beteiligten KünstlerInnen, hat für die Eingangshalle des Museums einen begehbaren Parcours geschaffen. Im Rahmen der Ausstellung gibt es Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen, Videos und Installationen zu sehen, die eine zeitgeschichtliche Einordnung ermöglichen. «Hot Spot Istanbul» zeigt aber auch die Berührungspunkte mit konkreter und geometrischer Kunst, lässt die Nähe zu Minimal Art und Konzeptkunst sichtbar werden. Mit den Einzelpräsentationen von Nejad Melih Devrim, Mübin Orhon, Ömer Uluc und Fahrelnissa Zeid wird an vier bereits verstorbene KünstlerInnen erinnert, die als WegbereiterInnen der türkischen Kunst nach 1945 gelten.
Fredi Bosshard

«Hot Spot Istanbul» in: Zürich Haus Konstruktiv. Di–So, 11–17 Uhr; Mi, 11–20 Uhr. Vom 6. Juni bis 22. September 2013. www.hauskonstruktiv.ch

René Burri

Im April 2013 hat der Fotograf René Burri seinen 80. Geburtstag gefeiert. Nun nimmt das Museum für Gestaltung in Zürich das zum Anlass, seine Arbeiten in der Ausstellung «Doppelleben» zu würdigen und sich gleichzeitig für die kapitale Schenkung an das Museum zu bedanken.
Burri ist für seine Schwarz-Weiss-Fotografie berühmt geworden. Wer ist nicht schon dem Zigarre rauchenden Ernesto «Che» Guevara begegnet oder hat Burris Bilder von Le Corbusier und seinen Werken gesehen? Die weniger bekannte Seite seines «Doppellebens» sind die Fotografien in Farbe.
Seine Bildessays hat Burri auf Kontaktkopien akribisch archiviert. Mit ihnen lässt sich gut nachvollziehen, wie er sich den Menschen, Themen und Sujets angenähert hat – und was es braucht, bis eine Fotografie zur «Ikone» wird.
Fredi Bosshard

René Burri, «Doppelleben» in: Zürich Museum 
für Gestaltung, Di–So, 10–17 Uhr; Mi, 10–20 Uhr. 
Bis 13. Oktober 2013. www.museum-gestaltung.ch

Lewis Hine

Der US-amerikanische Fotograf und Soziologe Lewis Hine (1874–1940) machte als einer der Ersten mit seinen Aufnahmen auf gesellschaftliche Ungerechtigkeiten aufmerksam. Er engagierte sich besonders für die Rechte der Kinder, fotografierte sie bei der Arbeit in der Landwirtschaft, in Minen und Fabriken. Seine Fotos halfen mit, in den USA Reformen gegen die Kinderarbeit einzuleiten. In der umfassenden Retrospektive «Lewis Hine – Fotografieren, um zu verändern» sind gegen 170 Werke zu sehen, unter anderem auch solche von 1930, die den Bau des Empire State Building in New York zeigen.
Die Ausstellung «Adieu la Suisse!» versammelt «Bilder zur Lage der Nation» von sieben Fotografen, darunter Jean-Luc Cramatte, Yann Gross und Andri Pol. Sie dokumentieren, in welchem Ausmass Grünflächen in den vergangenen zwanzig Jahren Siedlungsflächen weichen mussten. Diese haben in zwei Jahrzehnten um 25 Prozent zugenommen. Den aktuellen Fotos werden historische Aufnahmen aus der Sammlung gegenübergestellt.
Für «This Infinite World» hat der in New York lebende Fotograf Paul Graham eine Carte blanche erhalten. Er hat für das Fotomuseum 21 unterschiedliche Positionen versammelt, die von Diane Arbus bis Boris Mikhailov reichen.
Fredi Bosshard

«Lewis Hine – Fotografieren, um zu verändern», «This Infinite World» und «Adieu la Suisse!» in: Winterthur Fotomuseum, Fr, 7. Juni 2013, 18–21 Uhr, Eröffnungen. Di–So, 11–18 Uhr; Mi, 11–20 Uhr. www.fotomuseum.ch, www.fotostiftung.ch

Kunst und Gesellschaft

Voix des femmes

«Die Frauen hatten in Afghanistan die grösste Last auf ihren Schultern zu tragen. Ich will in Erinnerung rufen, was die Afghaninnen in dreissig Jahren Krieg durchmachen mussten», sagte Shamsia Hassani letzten Sommer im Gespräch mit der NZZ. Sie ist die erste Graffitikünstlerin Afghanistans und dieser Tage zu Besuch in der Schweiz.
«Voix des femmes» heisst die Veranstaltungsreihe, die Terre des femmes organisiert und in der es dieses Mal um das Thema «Rollenbilder im öffentlichen Raum» geht. Die 24-jährige Hassani besprüht die Ruinen in Kabul mit Bildern von Frauen in Burkas und zählt mittlerweile zu den bekanntesten modernen KünstlerInnen Afghanistans. «Graffiti in Kabul – wie Kunst Geschlechternormen verändert»: Darüber diskutiert die Künstlerin in Zürich mit Daniel Morgenthaler und Natalie Trummer. Ausserdem gibt es sowohl in Zürich wie in Fribourg einen Graffitiworkshop, in Zürich und Genf sind Werke von Hassani ausgestellt, und an der Schlussveranstaltung in Bern diskutieren VertreterInnen aus Politik und Gesellschaft zum Thema «Geschlechternormen sprengen. Politische Forderungen und praktische Ansätze».
Silvia Süess

Voix des Femmes in: Bern, Fribourg, Genf und Zürich, verschiedene Orte, Do, 6., bis Sa, 15. Juni. www.terre-des-femmes.ch/vdf

Raus in die Stadt

Gleich zwei Theater in Bern zieht es dieser Tage hinaus auf die Strassen. «Beute Mensch» heisst das dokumentarische Theaterprojekt des Konzert-Theaters Bern. Im Mittelpunkt steht die zunehmende Kapitalisierung und Ökonomisierung des menschlichen Körpers zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Aus einer Fülle von gesammeltem Material zum Thema «Care-Arbeit» – etwa Gesprächen mit Sans-Papiers-Hausarbeiterinnen und 24-Stunden-Betreuerinnen aus Polen – haben Nina Gühlstorff und Kathrin Frosch ein Stück erarbeitet, das sich durch Bern bewegt: von der grossen Bühne hinaus zur französischen Kirche und durch die Gassen bis hin zum Migrationsamt.
Das Schlachthaus-Theater geht mit einer Reihe von Produktionen auf die Strasse und fragt: «Wem gehört die Stadt?» Dabei ist die Stadt auch der Stoff der Projekte, und die EinwohnerInnen sind Teil der Veranstaltung. Mats Staub schliesst mit «Metzgergasse 2011/13» an sein Projekt von 2011 an: Die Menschen aus der Rathausgasse erzählen ihre Geschichte – und diejenigen aus der früheren Metzgergasse.
Martin Bieri empfängt in «Die Stadt der anderen» acht Gäste, die verschiedene Bevölkerungsgruppen Berns repräsentieren. Er spricht mit ihnen über Transporttechniken in der Stadt, ihre Schilderungen werden grafisch auf einer Stadtkarte sichtbar gemacht.
Das neue Stück der Theatergruppe 400asa und der Kamm(m)acher GmbH feiert Premiere. Den Startschuss zu «Der Polder – Das Game» gibt der österreichische Philosoph Robert Pfaller am 13. Juni 2013. Wer beim «kollektivpsychotischen Trip durch den Berner Stadtraum in das Unterbewusstsein des hochintelligenten Game-Cracks Fritz» dabei sein möchte, muss die Polder-App installieren. Sie ist ab dem 6. Juni 2013 im App-Store oder auf Google Play erhältlich.
Silvia Süess

«Beute Mensch» in: Bern Konzert Theater Bern, Sa, 8. Juni 2013, 17 Uhr, Premiere. So, 9. Juni 2013, 17 Uhr, und Di, 11. Juni 2013, 18 Uhr. www.konzerttheaterbern.ch
«Wem gehört die Stadt? Fiction and the City» in: Bern Schlachthaus Theater, Do, 6., bis So, 16. Juni 2013. www.schlachthaus.ch

«Zürcher Restspiele 2013»

Bereits zum dritten Mal kapert die Rote Fabrik in Zürich die Tanz- und Theaterproduktionen anderer lokaler Häuser und feiert in deren Wiederaufnahme die Randständigkeit der unabhängigen Bühnenschaffenden. Zu sehen gibt es nicht einfach andernorts verpasste Aufführungen, sondern, wie die Rote Fabrik ganz unbescheiden proklamiert, «Künstler, die Sie kennen müssen, und Formate, die Ihnen sonst niemand zumutet».
Zu entdecken gibt es etwa die unbekannten Seiten der Theatergruppe 400asa: Mit «Flow/Wasser» wagt die Truppe den Selbstversuch als temporäre Kommune und versprüht dabei echt anarchischen Esoterikcharme – an den Restspielen sogar exklusiv in einer «Open-Air-Version vor dem Alpen- und Blüttlerpanorama». Aus dem Tanzhaus betreten am 11. und 12. Juni Meret Schlegel und Kilian Haselbeck die Bühne. Sie liefern sich in «Orthopädie or to be» eine ebenso berührende wie provokante Auseinandersetzung zwischen einem jungen, explosiv-expressiven Körper und einem, der bereits älter und fragiler, aber immer noch für Überraschungen gut ist.
Franziska Meister

«Zürcher Restspiele 2013» in: Zürich Rote Fabrik, Sa, 8., bis So, 23. Juni. www.rotefabrik.ch