Leaben und Schwule: Vielfältig statt flexibel normalisiert

Nr. 23 –

Leben Lesben avantgardistische Existenzen, oder wollen sie endlich auch heiraten dürfen? GeschlechterforscherIn Eveline Y. Nay plädiert für utopische Lebensformen, wobei Gleichberechtigung nicht Gleichheit bedeutet.

Derzeit ist Pride-Zeit. Der Christopher Street Day (CSD) wird gefeiert, damit wird der Aufstände im Juni 1969 im New Yorker Greenwich Village gedacht. Heute ist der CSD zur Parade geworden, die von den Medien gern als schrill beschrieben und mit Drag Queens bebildert wird. An der Kundgebung tanzen ausgelassene Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*menschen und Queers (kurz LGBTQ) auf, neben und hinter dröhnenden Lastwagen mit Bannern von politischen Organisationen wie auch von angesagten Clubs und Kosmetikfirmen, die Probierpackungen von Antifaltencreme für Männer und pastellfarbene Beinrasierer verteilen. Die alljährliche Pride ist der «Homo»-Event schlechthin und gilt im Mainstream gemeinhin als männlich und schwul.

Die Zürcher Pride jedoch werden dieses Jahr wohl Lesben anführen. Als Regenbogenmamis stehen sie beim diesjährigen Pride-Motto «All Families Matter» im Zentrum der Aufmerksamkeit. Zusammen mit einigen Schwulen, Bisexuellen und Trans* fordern sie gleiche Rechte wie die heterosexuell lebender Eltern.

Die Lesbenorganisation Schweiz fragte mich anlässlich ihres letztjährigen Lesbenkongresses: Wer sind die Lesben von heute? In den spärlichen Berichten der Mainstreammedien erscheinen sie als normbefreit und avantgardistisch, und sie brauchen keinen Feminismus und keine Gleichstellungspolitik mehr. So zum Beispiel 2011 im «Magazin», das unter anderem dem «Tages-Anzeiger» beiliegt. Unter dem Titel «Liebesspielerinnen» ist eine Fotoserie über junge, hippe Lesben abgedruckt. Die Bilder porträtieren eine Freundinnengemeinschaft, der es um «Freundschaft, weite Reisen, tiefe Blicke und kleine Lieben» gehe. Die Porträts werden begleitet von belanglosen Bildlegenden mit voyeuristischem Beigeschmack: «Claudia (blond, Bild oben links) schmust mit Rosi» oder «Yvonne und Nadine (oben) lassen sich mal treiben». Sie stellen junge Lesben frei von engen Beziehungsnormen dar, denen – so das Editorial des «Magazins» – heterosexuelle Paare unterworfen seien.

Vom «Mannsweib» zur Lifestyle-Lesbe

Diese Lesben repräsentieren gemäss «Magazin» in Sachen Liebe und Leben die heutige Avantgarde. Denn sie glauben nicht – wie die scheinbar altbackenen Heteros – an die monogame Liebe. Vielmehr reisen sie unbeschwert durch die Welt und die Liebe und scheinen von ihrem Lebensstil nur Vorteile zu ernten. Lesben werden zu Gewinnerinnen prekärer Zeiten stilisiert und damit zu Figuren der Hoffnung und des Fortschritts. In Zeiten des krisengeschüttelten Neoliberalismus erscheint das als echtes Kapital. Es ist keine Rede von Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer lesbischen Lebensweise.

Die Inszenierung der Lesben im «Magazin» findet ihr Pendant in der US-amerikanischen TV-Serie «The L Word», in der Lesben die Hauptcharaktere sind. Auch sie sind chic, sexy, wohlhabend – weit entfernt von Durchschnittslesben. «L Word» hat das Bild von Lesben in der Mainstreamwahrnehmung verändert. Die klischierte Vorstellung von der beinbehaarten, hässlichen, wütenden «Kampflesbe» oder dem «Mannsweib» wurde teilweise abgelöst durch die Lifestyle-Lesbe. Auch die Lifestyle-Lesben in «L Word» haben Feminismus nicht mehr nötig. Das wird in der Community der Lesben teils als Fortschritt gedeutet. Aber sind Lesben durch TV-Serien wie «L Word» tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angelangt, und ist Feminismus dadurch obsolet geworden?

Viele Regenbogenmamis fordern heute die Öffnung der Ehe, worin sie einen Fortschritt in der Gleichberechtigung von LGBTQ sehen. Da sträuben sich alle (Bein-)Haare von lesbischen Feministinnen, die in den siebziger und achtziger Jahren sozialisiert worden sind. Damals forderten sie die Abschaffung der Ehe, weil sie patriarchale Herrschaftsverhältnisse aufrechterhalte. Das Anliegen, als «normale» Familie behandelt zu werden, ist zwar legitim und wichtig und macht den Schulterschluss mit der patriarchalen Institution der Ehe verständlich. Doch bringt er tatsächlich Gleichberechtigung? Warum muss zuerst geheiratet werden – oder die gleichgeschlechtliche PartnerInnenschaft eingetragen werden –, bevor Eltern und Kinder rechtlich anerkannt werden? Und wie kann verhindert werden, dass die Forderung nach der Öffnung der Ehe die rechtliche Anerkennung von Familien mit mehr als zwei Eltern verunmöglicht?

Glamourös und pflegebedürftig

Die Abweichung von der Norm dient heute als Ressource für einen Kapitalismus, der flexibilisierte Subjekte benötigt. Und dennoch: Das diesjährige Motto der Pride könnte Anlass sein, über neue Formen von Politik nachzudenken. Ich plädiere an dieser Stelle dafür, utopische Formen queer-feministischen Lebens zu entwerfen! In einer solchen Utopie würde Gleichberechtigung nicht Gleichheit bedeuten. Das Ziel soll nicht sein, der flexibilisierten Normalisierung zu entsprechen. Vielmehr wäre das Ziel, die Vielfältigkeit queer-feministischen Lebens wertzuschätzen. Dazu würden sehr wohl auch Glamourlesben gehören, Zwei-Eltern-Regenbogenfamilien oder umwerfend aussehende LiebesspielerInnen. Darüber hinaus würden jedoch auch pflegebedürftige, behinderte oder fettleibige Lesben oder lesbische Migrantinnen gleichberechtigt Platz finden.

In einer queer-feministischen Vision von Politik ginge es um die Ermöglichung der Verschiedenheit in all ihren Facetten.

Eine längere Version dieses Texts ist 
auf dem feministischen Blog 
www.siekamundblieb.blogspot.com nachzulesen.

Eveline Y. Nay ist SoziologIn und GeschlechterforscherIn am Zentrum Gender Studies der Universität Basel und an der Columbia University in New York.