Medientagebuch: Leuchtturm in El Salvador

Nr. 24 –

Toni Keppeler über die älteste Internetzeitung Lateinamerikas

Wenn Mädchen in Lateinamerika fünfzehn Jahre alt werden, geben die Eltern ein Fest für sie. Die jungen Frauen gelten nun als erwachsen, man spricht sie mit «Señorita» an. Auch eine Zeitung, die eben fünfzehn Jahre alt geworden ist, wurde im Mai ganz gross gefeiert: «El Faro» (Der Leuchtturm) aus El Salvador, Lateinamerikas erste reine Internetzeitung. Eine Zeitung also, die kein Onlineableger eines Printprodukts ist, sondern nur im Netz existiert.

Es war ein wirklich grosses Fest: Was Rang und Namen hat im Journalismus des Kontinents, kam nach San Salvador: Seymour Hersh, der grosse US-amerikanische Rechercheur, der Skandale wie das Massaker von My Lai oder die Folterpraktiken im irakischen Gefängnis von Abu Ghraib enthüllt hat; Jon Lee Anderson, der Kriegskorrespondent des «New Yorker»; Jaime Abello, Direktor der von Gabriel García Márquez ins Leben gerufenen Stiftung Neuer Journalismus, und, und, und …

Warum geben sich solche Berühmtheiten ein Stelldichein, wenn eine kleine Internetzeitung in einem der kleinsten Länder des Kontinents feiert? Weil «El Faro» anders ist: gründlicher, hintergründiger, langsamer als der auf Effekte angelegte kurzatmige Medienbetrieb. Und weil die Zeitung sich ganz auf eine Grundtugend des seriösen Journalismus konzentriert: den Mächtigen auf die Finger zu schauen.

Gründer und Chefredaktor Carlos Dada gibt offen zu, dass auch er von einem Printprodukt geträumt hat: «Wir waren keine Visionäre; wir sind im Internet geboren, weil wir kein Geld hatten.» Gerade tausend US-Dollar konnten er und sein Freund Jorge Simán investieren. Dada war damals Auslandschef der grössten Tageszeitung des Landes, Simán hatte eine kleine Firma für Informatikdienstleistungen.

In den ersten Jahren war «El Faro» nicht viel mehr als ein Hobby und eine eher akademisch ausgerichtete Meinungsplattform. Zwei Prozent der SalvadorianerInnen hatten damals einen Internetanschluss. Wie sollte man da etwas verdienen? Nach zwei Jahren wurden die ersten Nachrichtenseiten produziert – von JournalismusstudentInnen, ohne Lohn.

Den ersten Coup landete «El Faro» 2003: In einem Interview mit Mauricio Funes, dem damaligen TV-Starjournalisten, entlockte ihm die Redaktion seine Ambitionen aufs Präsidentenamt. Funes, der heute tatsächlich Präsident ist, dachte damals wohl: Das liest ohnehin keiner. Der Primeur machte «El Faro» zum ernst zu nehmenden Medium. Kurz darauf wurde die Redaktion vom Uno-Büro in El Salvador damit beauftragt, den Wahlkampf um die Präsidentschaft 2004 zu dokumentieren. Plötzlich war Geld da: Eigene Büroräume wurden angemietet, die ersten vier JournalistInnen angestellt.

Dieses Modell der Querfinanzierung durch internationale Organisationen führt «El Faro» bis heute fort mit regionalen Reportageprojekten, etwa über illegale Migration oder das organisierte Verbrechen in Zentralamerika. Die inzwischen zwanzigköpfige Redaktion produziert zwar weiterhin auch tägliche Nachrichten. Gelesen aber wird «El Faro» vor allem wegen seiner langen Hintergrundtexte.

Heute haben rund fünfzehn Prozent der SalvadorianerInnen einen Internetanschluss. «El Faro» ist damit für die Werbewirtschaft interessant. Rund die Hälfte der Einnahmen deckt die Zeitung mit Einkünften aus Anzeigen. Ein Beweis dafür, dass sich Investitionen in Qualitätsjournalismus rechnen können, selbst im Internet. So etwas macht Hoffnung, wohl auch Leuten wie Hersh, Anderson und Abello.

Toni Keppeler schreibt für die WOZ aus Lateinamerika.