Personenrätsel: Der begnadete Streikredner

Nr. 24 –

«Ihre Frechheit und Ihre Ignoranz gegenüber den Rechten der Arbeitenden sind nicht zu fassen und so gross wie Ihre Unmenschlichkeit», schrieb er vor hundert Jahren an die Adresse der Dubliner Unternehmer. Und: «Wenn Sie zusammen auch nur eine menschliche Seele von der Grösse eines Dreipennystücks hätten, dann würden Sie sich Tag und Nacht mit den Repräsentanten der Lohnabhängigen zusammensetzen, um eine Lösung zu finden.» Doch das irische Bürgertum dachte nicht an Verhandlungen. Dem ging es beim grossen Dubliner Lockout, der Aussperrung von 1913, vor allem darum, den Agitator loszuwerden, der wie kein anderer vor und nach ihm die irische Arbeiterbewegung beeinflusst hatte.

Bereits mit sieben Jahren musste der 1876 als Sohn einer armen irischen Familie in Liverpool Geborene Geld verdienen. Er arbeitete in den Liverpooler Docks, organisierte mit neunzehn seinen ersten Streik und wurde 1907 von der nationalen Hafenarbeitergewerkschaft nach Belfast entsandt. Innerhalb weniger Monate führte der überzeugte Christ und Sozialist die Belfaster ArbeiterInnen in einen Ausstand, dem sich zeitweise auch Polizisten anschlossen. Mit seiner mächtigen Stimme sei der über 1,90 Meter grosse Gewerkschafter «eine urzeitliche Gewalt» gewesen, ein «Tornado», der – so die irische Revolutionärin Constance Markiewicz – alle mitriss wie «eine sturmgepeitschte Welle». 1908 zog der syndikalistische Aufwiegler nach Dublin weiter, wo er eine eigene Gewerkschaft, eine enorm erfolgreiche Zeitung und die Irish Labour Party gründete. Den von ihm entfachten Arbeitskampf 1913 – er mündete im langen Dubliner Lockout – hungerten die Fabrikanten aus. Danach reiste «Big Jim», der nie zu Gewalt aufrief, in die USA, um Geld für die irische Unabhängigkeitsbewegung zu sammeln. Auch dort engagierte er sich für Gerechtigkeit und gegen Militarismus. 1920 wurde er wegen «krimineller Anarchie» zu fünf Jahren Haft im New Yorker Kerker Sing Sing verurteilt, drei Jahre später begnadigt und nach Irland abgeschoben.

Wie heisst die Ikone der irischen Arbeiterbewegung, die kurzzeitig Irlands Vertreter in der Komintern war, in den dreissiger und vierziger Jahren dreimal ins irische Parlament gewählt wurde und an die eine grosse Statue in der Dubliner O’Connell Street erinnert?

Wir fragten nach James («Big Jim») Larkin (1876–1947), dem es 1907 als bisher 
einzigem Gewerkschafter gelang, die unionistisch-protestantischen und nationalistisch-katholischen ArbeiterInnen von Belfast in einen gemeinsamen Kampf zu führen. Mit ihrem Lockout (August 1913 bis Januar 1914) von 20000  Beschäftigten wollten rund 300 Dubliner Unternehmen verhindern, dass sich die Lohnabhängigen in Gewerkschaften organisieren. Larkin, der anfangs die bolschewistische Revolution begrüsst hatte, distanzierte sich nach einem Moskaubesuch 1924 vom sowjetischen Modell – und blieb bis zu seinem Tod das, was er immer war: ein eigensinniger Gewerkschafter, der Macht und jede Form von Bürokratie ablehnte.