Atrazin: Syngenta kauft ForscherInnen

Nr. 27 –

Der Schweizer Agrokonzern Syngenta kämpft in den USA gegen einen Wissenschaftler, der eines der meistverkauften Pestizide verbieten lassen will. Dafür sind Syngenta fast alle Mittel recht.

Es ist eine dieser David-gegen-Goliath-Geschichten, in der einmal mehr der Schweizer Agrarkonzern Syngenta die Rolle des Goliath spielt. Diesmal steht nicht Paraquat im Zentrum (siehe WOZ Nr. 25/13, «Die Frau, die Syngenta das Fürchten lehrt »), sondern Atrazin. Das Pestizid kommt vor allem im Maisanbau gegen Unkraut zum Einsatz. Die USA verbrauchen jährlich über 36 000 Tonnen – das beschert Syngenta satte Gewinne.

Doch Tyrone Hayes, Biologieprofessor an der University of California in Berkeley, kämpft für ein Verbot von Atrazin in den USA. Syngenta sucht dies mit allen Mitteln zu verhindern und schreckt dabei auch nicht vor einer Reihe «schmutziger Tricks» zurück, wie die Recherchegruppe 100 Reporters Mitte Juni in den «Environmental Health News» publik gemacht hat.

Die Recherchegruppe stützt sich auf Gerichtsdokumente aus einem Prozess gegen Syngenta im US-Bundesstaat Illinois, deren Veröffentlichung sie juristisch erstritten und die sie teilweise im Internet zugänglich gemacht hat. Darunter sind zahlreiche E-Mails, handschriftliche Memos sowie die eidesstattliche Aussage der damaligen Kommunikationschefin von Syngenta in den USA, Sherry Ford.

Bespitzelt, verfolgt, diffamiert

Die Geschichte beginnt mit Fröschen: 1997 beauftragt eine Ökoberatungsfirma Tyrone Hayes, die Auswirkungen von Atrazin in Gewässern zu untersuchen. Das Pestizid wird in der Umwelt nur langsam abgebaut und kann sich im Grundwasser anreichern. Hayes findet heraus, dass Frösche schon bei einer Atrazinkonzentration, die dreissigfach geringer ist als der gesetzlich erlaubte Grenzwert, Geschlechtsveränderungen zeigen. Finanziert hat die Studie die Syngenta-Vorgängerin Novartis Agrobusiness. Und die will die Resultate nicht publizieren.

Doch Hayes wiederholt die Studie mit öffentlichen Geldern und kommt zum selben Ergebnis: Bereits Atrazinkonzentrationen, wie sie in Umwelt und Gewässern vorkommen, stören die sexuelle Entwicklung von Fröschen – sie werden zu Zwittern oder verweiblichen ganz.

Als der schwarze Wissenschaftler aus den Südstaaten seine Resultate 2002 in der Fachzeitschrift «PNAS» veröffentlicht, ist er mit 35 Jahren bereits ordentlicher Professor in Berkeley. Doch dann mischt sich der Agrokonzern Syngenta in seine wissenschaftliche Laufbahn ein: Im bezahlten Auftrag – wenn auch offiziell nicht im Namen – von Syngenta wird Hayes ab 2002 bespitzelt, überwacht, verfolgt, verbal bedroht und öffentlich diffamiert; er soll als Wissenschaftler mundtot gemacht werden.

Zuerst hat man Hayes gemäss handschriftlichen Notizen von Sherry Ford zu bestechen versucht – mit «unbeschränkten Forschungsressourcen». Diskutiert wird auch, «Tyrone Hayes» als Suchbegriff im Internet zu kaufen, damit Interessierte zuerst auf das konzerneigene Material zu Atrazin stossen. Im Herbst 2002 aktiviert Syngenta ein Netz von PR-Firmen und Organisationen aus Wissenschaft und Politik: Sie sollen in den Medien die Forschung von Hayes diskreditieren, mit Publireportagen für Atrazin werben sowie bei der Umweltbehörde EPA dafür sorgen, dass seine Studie ignoriert wird.

Derweil kommt es im Mittleren Westen, wo ein Grossteil des Pestizids eingesetzt wird und die Atrazingehalte im Trinkwasser immer wieder die Grenzwerte übersteigen, 2004 zu einer Sammelklage von öffentlichen Wasserversorgern aus sechs Bundesstaaten gegen Syngenta: Der Konzern soll die Verantwortung für die Reinigung von über tausend atrazinverseuchten Gewässern übernehmen.

Zu diesem Zeitpunkt hat die EU Atrazin eben verboten. In der Schweiz ist das Pestizid erst seit 2013 nicht mehr zugelassen.

In den USA schaltet Syngenta seine Maschinerie zur Verteidigung von Atrazin einen Gang höher. Auf einer internen Liste aus dem Jahr 2004 stehen Namen von über sechzig Institutionen und Personen – darunter gleich mehrere Kontakte im US-Landwirtschaftsministerium, landwirtschaftliche Interessenverbände und konservative Thinktanks –, die ihr Gewicht für den Konzern in die Waagschale werfen. Rund ein Drittel kommt aus Universitäten und Forschungsinstituten: Der damalige Präsident des renommierten Scripps Research Institute steht ebenso auf der Liste wie Professoren und Institutsdirektoren von Unis aus dem Mittleren Westen sowie mehrere Kollegen von Tyrone Hayes an der University of California. Auch sie lassen sich ihre Unterstützung von Syngenta mitunter gut bezahlen – ohne dies zu deklarieren.

Zum Beispiel Don Coursey, Professor an der University of Chicago: Laut Fords Aussage vor Gericht hat Syngenta Coursey dafür bezahlt, eine ökonomische Analyse zu erstellen, die die Vorzüge von Atrazin herausstreicht. Dazu habe sie ihm die Datenbasis geliefert und die Schlussredaktion des Berichts an die Hand genommen. Syngenta bestreitet das auf ihrer Website atrazinefacts.com, die sie extra für das Lobbying gegen die Sammelklage eingerichtet hat.

Doch eine E-Mail von Coursey an Ford vom April 2006 zeigt: Der Professor bedankt sich für ihre «Starthilfe» und nennt seinen Preis. Den Bericht will er entweder für 35 000 US-Dollar oder zu einem Stundenansatz von 500 Dollar erstellen – und das Geld soll ihm doch bitte schön an seine Privatadresse überwiesen werden. Seinen Job scheint er gut erledigt zu haben: Die Medien berichten landesweit über seine «unabhängige Analyse», die zeige, dass BäuerInnen mit einem finanziellen Verlust von 64 bis 143 US-Dollar pro Hektare rechnen müssten, falls Atrazin verboten würde.

Auch für Menschen gefährlich

Derweil verbeisst sich Tyrone Hayes immer mehr in seine eigene Anti-Atrazin-Kampagne: Er betreibt die Website atrazinelovers.com und reist durch die USA, um vor wissenschaftlichen Gremien, politischen Ausschüssen und den Medien über die Gefahren von Atrazin zu sprechen. Dabei wird er von Syngenta-Leuten auf Schritt und Tritt verfolgt. Sie nehmen seine Vorträge auf Video auf, und Syngenta setzt an Veranstaltungen systematisch trainierte KritikerInnen gegen ihn ein. Dabei gehen sie mitunter ziemlich unzimperlich vor, wie sich Hayes gegenüber dem linken Magazin «Mother Jones» beschwert: Syngenta-Vertreter würden Pamphlete verteilen, sein methodisches Vorgehen verunglimpfen und ihm vorwerfen, er teile seine Daten nicht mit andern.

Mittlerweile bestätigen indes eine ganze Reihe anderer WissenschaftlerInnen Hayes Studien. Und erstmals weisen sie in unabhängigen Untersuchungen auch darauf hin, dass Atrazin im Trinkwasser für Menschen gefährlich sein könnte. Unter anderem haben sie eine erhöhte Rate an Geburtsschäden festgestellt. Diskutiert wird auch, ob Atrazin möglicherweise krebsauslösend ist. Im August 2009 berichtet die «New York Times» in einer Artikelserie über diese Studien und die teilweise massiv erhöhten Atrazinwerte im Mittleren Westen.

Syngenta gibt noch im selben Monat einen «wissenschaftlichen Bericht» über Atrazin und Gesundheit beim American Council on Science and Health (ACSH) in Auftrag, das der Konzern seit Jahren grosszügig sponsert. Für 100 000 Dollar will das ACSH den Bericht für eine breite LeserInnenschaft aufbereiten und in den Medien streuen. Der Name der ACSH-Direktorin Elizabeth Whelan fällt im konzerninternen E-Mail-Verkehr wiederholt als mögliche «Unterzeichnerin» von Pressetexten aus der eigenen PR-Abteilung. So trägt zum Beispiel ein Totalverriss der Artikelserie aus der «New York Times» ihren Namen.

Industrienahe Umweltbehörde

Im Herbst 2009 kündet die US-Umweltbehörde EPA an, Atrazin aufgrund der letzten Studien erneut zu überprüfen. Rückt damit auch in den USA ein Verbot in Sichtweite?

Die EPA stützt sich auf über 6600 Studien zum Thema. Wie die «Huffington Post» 2010 berichtet, ist die grosse Mehrheit indes nie in einem Fachmagazin publiziert worden, und rund die Hälfte verfassten WissenschaftlerInnen und Institutionen, die ein finanzielles Interesse mit Atrazin verbindet, darunter auch Syngenta und diverse vom Konzern bezahlte AuftragsforscherInnen. Gleichzeitig berücksichtigt die EPA wichtige unabhängige Publikationen nicht. «Die EPA betrachtet Studien, die von der Industrie finanziert sind, als wissenschaftlich robuster als Studien aus dem akademischen Umfeld», so die EPA gegenüber der «Huffington Post», «weil die Industrie mehr Geld in ihre Forschung stecken kann.»

Unerheblich findet die EPA unter anderem eine Metastudie von 2010, die zeigt, dass zahlreiche Untersuchungen die Resultate von Tyrone Hayes bestätigen. Auch Hayes selbst legt nach. Laut seiner neusten Studie verweiblichten drei Viertel aller Frösche, die Atrazinkonzentrationen unterhalb des erlaubten Grenzwerts ausgesetzt waren, zumindest teilweise, zehn Prozent der Männchen entwickelten sogar Eierstöcke mit befruchtbaren Eiern.

Syngenta reagiert prompt: Alex Avery vom konservativen Hudson Institute wird erneut eingespannt, nachdem er für den Konzern schon wissenschaftliche Berichte verfasst hat, die Hayes widerlegen sollen. Man will ihn in den Medien als Gegenspieler von Hayes aufbauen. Selbst verfasste Anti-Hayes-Texte sollen zudem in Averys Namen an grosse Zeitungen wie die «Washington Post» oder «USA Today» gesendet werden. Auf dem konservativen Sender Fox News attackiert der Kolumnist und Blogger Steve Milloy derweil Hayes und seine Forschung. Dafür lässt er sich von Syngenta nicht nur bezahlen, sondern gleich auch noch die Argumente liefern.

Im Sommer 2010 eskaliert die Situation: Als Tyrone Hayes von einem Syngenta-Mitarbeiter vor seiner Zeugenaussage im Prozess in Illinois verbal bedroht wird, schlägt er via E-Mail zurück. Es ist offensichtlich nicht das erste Mal, dass der schwarze Wissenschaftler mit deftigen Hip-Hop-Sprüchen gegen ihn drangsalierende Syngenta-Leute rappt: Der Konzern stellt im Juli 102 Seiten E-Mails von Tyrone Hayes auf seine Website und reicht Beschwerde gegen Hayes beim Verwaltungsrat der Universität Berkeley ein. Zwar stellt sich die Uni hinter Hayes, doch Passagen aus den E-Mails des Wissenschaftlers erscheinen landesweit in den Medien, befeuert von einem diffamierenden Video, das Avery ins Internet stellt.

Und was macht Hayes? Der Froschexperte wird immer mehr zum politischen Anti-Atrazin-Krieger, führt soziale und ethnische Argumente ins Feld: Schwarze und hispanische Menschen seien überproportional häufig den gesundheitsgefährdenden Auswirkungen von Atrazin ausgesetzt, weil sie die grosse Mehrheit der ungelernten FeldarbeiterInnen stellten. Inzwischen reist Hayes quer durch die USA, spricht über hundert Mal pro Jahr vor Publikum.

Im Mai 2012 endet die Sammelklage gegen Syngenta mit einem Vergleich. Zwar muss der Konzern den KlägerInnen 105 Millionen Dollar an die Sanierung der atrazinverseuchten Gewässer zahlen. Gleichzeitig wird er aber von jeder Haftung befreit.

Dieser Tage beginnt die EPA mit ihrer Registrierungsprüfung, die darüber entscheidet, ob Atrazin auf dem Markt bleibt. Da kommt die Enthüllungsgeschichte der «100 Reporters» für Syngenta höchst ungelegen. Reine Propaganda sei das, schreibt der Konzern auf seiner Atrazinwebsite. Und betont mit Blick auf den bevorstehenden Entscheid der Umweltbehörde, dass mit der «definitiven Studie» des deutschen Endokrinologen Werner Kloas von der Humboldt-Universität in Berlin längst erwiesen sei, dass Atrazin nicht gesundheitsgefährdend sei.

Muss erwähnt werden, dass Kloas’ Studie von Syngenta finanziert wurde?

Der Artikel der Recherchegruppe 100 Reporters: www.tinyurl.com/woz100r

Mike Mack und die Frösche

Der aktuelle Syngenta-CEO Mike Mack war von 2002 bis 2004 verantwortlich für den Pflanzenschutzmittelverkauf des Konzerns in den USA, in Kanada und Mexiko. «Mitwirkung an der Kommunikation gehörte nicht in seinen Verantwortungsbereich», lässt Syngenta Schweiz auf Anfrage ausrichten.
Trotzdem hat Mack Anfang 2003 das US-Kommunikationsteam aufgefordert, seine proaktiven Tätigkeiten zu verstärken, wie aus einer internen E-Mail hervorgeht. Diesem Auftrag kamen die Kommunikationsleute mit zahlreichen PR-Aktivitäten nach. Wiederholt Thema ist das «Froschproblem», unter anderem wird vorgeschlagen, das Internetsuchwort «Tyrone Hayes» zu kaufen (vgl. Hauptartikel).