Durch den Monat mit Alex Capus (Teil 1): Wie genau nehmen Sie es mit der Geschichte?

Nr. 36 –

«Historischer Roman» ist ein blödes Etikett, findet der Oltner Autor Alex Capus. Er erklärt, warum er kaum über Frauen schreibt und weshalb seine Helden immer sympathisch sind.

Alex Capus: «Es gibt keine erfundene Geschichte. Jeder Erzähler bedient sich im Steinbruch des wirklichen Lebens.»

WOZ: Alex Capus, für dieses Gespräch wollte ich alle Ihre Bücher gelesen haben …
Alex Capus: … aber ich habe zu viel geschrieben.

Sie sind extrem produktiv, schreiben pro Jahr ein Buch. Wie machen Sie das?
Ich schreibe sehr gerne, für mich ist Schreiben kein schmerzhafter Prozess, sondern etwas Vergnügliches. Und selbst wenn ich jedes Jahr ein Buch von 300 Seiten schreiben würde – was ich ja nicht mache –, wäre das im Durchschnitt pro Tag eine Seite. Das ist ja eigentlich zumutbar, rechnerisch gesehen.

Aber da ist die Recherche noch nicht eingerechnet. Nimmt die bei Ihnen viel Zeit ein?
Ja, allerdings sind die Recherchereisen für mich eine Art Belohnung, ein Vergnügen. Für meinen neusten Roman «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer» war ich in den USA und habe im Archiv von Felix Bloch, dem in die USA ausgewanderten Schweizer Physiker, recherchiert. Ich habe dieselben Bücher gelesen wie er, mich intensiv mit Physik auseinandergesetzt und dabei viel gelernt – das gefällt mir.

Ihre Bücher erzählen von Menschen, die tatsächlich gelebt haben. Die recherchierten Fakten reichern Sie fiktional an. Ihre Romane werden auch als Dokufiktion beschrieben.
Das finde ich ein blödes Etikett, wie übrigens auch «historischer Roman». Was heisst denn historisch? Dass es vergangen und tatsächlich passiert ist – das trifft noch auf vieles zu. Ich möchte eine Geschichte erzählen, die davon berichtet, wie die Menschen wirklich gelebt haben.

Sie könnten ja eine erfundene Geschichte erzählen, die nicht auf wahren Begebenheiten basiert.
Es gibt keine erfundene Geschichte. Alles kommt ja von irgendwo. Jeder Erzähler bedient sich im Steinbruch des wirklichen Lebens. Und der Historiker am anderen Ende des Spektrums macht nicht viel anderes. Er sammelt Fakten, die belegbar sind. Diese bedeuten aber nichts, solange der Historiker sie nicht in einen Sinnzusammenhang stellt. Historiker leiden ja häufig daran, dass sie Sehnsucht haben nach einem Storytelling, das ihnen die reine Lehre jedoch verbietet.

Sie wurden letztes Jahr von dem Historiker Hans Ulrich Jost gerügt, Sie hätten es in einem Artikel in der WOZ über den Schweizer Nationalfeiertag mit der Geschichte nicht so genau genommen.
(Lacht.) Er hat mich ein bisschen belehrt auf Vollständigkeit hin – und er hat mit allem recht gehabt. Es ist mir sogar bekannt, was seines Erachtens gefehlt hat, aber man kann auf achtzig Zeilen einfach nicht immer die ganze Welt erklären. Ich hatte das Gefühl, da hat sich die Empfindlichkeit eines Professors Luft verschafft, dass jemand in seinem Gärtlein wildert.

Wie genau nehmen Sie es denn in Ihren Büchern mit der Geschichte?
Ich möchte schon, dass die Fakten stimmen. Die Willkür liegt natürlich in der Auswahl meiner Fakten. Ich geh immer nur dort durch, wo es für mich gut riecht, und suche mir das aus, was mir gefällt. Ich bin ja nicht zur Vollständigkeit verpflichtet, ich muss keine komplette Literaturliste anfertigen nachher – das ist das Privileg des Schriftstellers. Deshalb: Was heisst genau? Natürlich müssen die Fakten stimmen. Ich möchte nicht den D-Day auf einen falschen Tag festgelegt haben. Und doch: Am Ende steht bei meinen Büchern immer «Roman» – da könnte ich auch den D-Day ins Jahr 1950 verlegen, wenn ich das möchte.

Sie schreiben meist über grosse Männer. Warum schreiben Sie kaum über Frauen?
Mich interessiert vor allem das Ende des 19. und der Anfang des 20. Jahrhunderts. Aus dieser Zeit gibt es viel weniger schriftliche Spuren von Frauenschicksalen und Frauenleben, da die Frauen im juristischen Sinn nicht als eigenständige Personen anerkannt wurden. Ausserdem verloren sie mit der Hochzeit ihren Namen, das macht die Recherche zum Teil sehr schwierig.

Aber der Vorwurf ist etwas unfair. Ich habe ja zwei Bände mit Porträts gemacht – «Patriarchen» und «Himmelsstürmer» – und dort sind Frauen nicht so schlecht vertreten, ungefähr 2:1.

Ihre Protagonisten sind immer sympathisch. Müssen Sie als Autor Ihre Protagonisten mögen?
Der Filmemacher Fredi M. Murer hat einmal gesagt, es sei nicht möglich, ein Porträt zu machen, ohne mit dem Porträtierten solidarisch zu sein. Ich weiss nicht, ob man das so absolut setzen kann, aber für mich stimmt das. Ich habe mal probiert, einen Roman mit einem unsympathischen Helden zu schreiben. Das ging einfach nicht. Am Schluss habe ich ihn vom Saulus zum Paulus gewandelt. Ich möchte meine Leser nicht erschrecken, sondern sie sollen sich mir vertrauensvoll hingeben. Ich will, dass sie mir alles glauben, bis das Buch fertig ist.

In meiner Wahrnehmung ist der Mensch nicht böse. Ich bin nicht naiv, ich weiss, was alles Schreckliches auf der Welt passiert und wie viel Ungerechtigkeit es gibt. Aber die Menschen, die ich kenne, versuchen alle nach ihren Kräften, ihr Leben in Würde und Anstand zu leben. Und das ist das Menschenbild, das ich habe.

Alex Capus (52) ist einer der erfolgreichsten Schweizer Autoren. 100 000 Stück seines neuen Romans «Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer» sind Ende Juli ausgeliefert worden.