Fussball und andere Randsportarten: Alles andere als koffeinfrei

Nr. 36 –

Zu viel Swissness vernebelt die Köpfe.

Der Bahnhof Olten wurde am letzten Samstagmorgen von einer schüchternen Sonne beschienen. Eine Gruppe früh alkoholisierter Sportfreunde wartete auf den Extrazug nach Burgdorf. Die Mitglieder der Reisegruppe befanden sich stimmungsmässig in einem gut erkennbaren Zwischenhoch. Zu den hellblauen, kragenlosen Sennenhemden trugen sie bunte Baseballmützen. Baseballmützen sind die Sennenkappen der Neuzeit, ging es dem stummen Beobachter durch den Kopf, während die Sportfreunde auf dem Perron ein lustiges Lied anstimmten, bei dem es um die Farbe der Dessous einer gewissen Frau Meier ging. Zwischen den Strophen nuckelten die Baseballmützenträger an Bierdosen mit der Beschriftung eines weltweit operierenden Bierkonzerns. Dann kam der erwartete Zug und nahm die fröhliche Truppe mit.

Diese zwölf Männer, die am vergangenen Samstag in Olten den Zug nach Burgdorf bestiegen, waren offensichtlich auf dem Weg zum Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest, besser bekannt unter dem Namen «Swissness pur».

So nennen nicht bloss die meisten PassantInnen bei Strassenumfragen das grösste aller Schwingfeste. Mit «Swissness pur» wird auf dem Netz ein neues Buch übers Schwingen beworben. Schwingen sei «Swissness pur», lesen wir auch in der «Bauernzeitung». Schwingen sei «Swissness pur», sagt zudem Manuel Röösli, Redaktor der Schwingerzeitung «Schlussgang», gegenüber der «Berner Zeitung». «Schwingen hat die richtige Swissness», doppelt Othmar Hodel, sportlicher Leiter des Luzerner Kantonal-Schwingerverbands, im deutschen Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» nach. Und in der «Neuen Luzerner Zeitung» können alle, die es immer noch nicht begriffen haben, nachlesen: «Im Zuge der Swissness hat das Schwingen wieder an Popularität gewonnen.»

Es grenzt an ein Wunder, dass es den traditionellen Schwingsportfans bei so viel hervorgehobener Swissness nicht cool ums Herz wird. So ein Megaswissnessevent müsste doch die wenigen Sportinteressierten, die sich in Burgdorf die Kämpfe anschauen wollten, megaheavy abgelenkt haben. Die daily anwachsenden Swiss Eventpeople, denen es so was von fuck ist, ob der aktuelle Event eine Street Parade oder ein Gurtenfestival oder eine eidgenössische Schwing- und Dingsparty ist, besetzen den Raum, je nach Anlass im Tigertanga oder in bayerisch-emmentalerisch-texanischer Lederhosensennenhemdbaseballmützentracht. Die Alpenschlagerrocker von Chuelee steuern den Soundtrack bei: «Niemer hets so schön wie mir», und an der Bar werden österreichische Energydrinks mit russischem Wodka geordert, bis die Mageninhalte überlaufen.

Im Schlussgang des Megaevents stehen sich dann unter den Augen der VIP-Grössen aus Wirtschaft, Politik und Swissness zwei durchtrainierte Sportler gegenüber, von denen der eine kurz vor dem Anlass für ein Fotoshooting im knappen Sumoringerhöschen posieren musste, während sich der andere vom weltberühmten KugelstosserInnenpräparator Jean-Pierre Egger körperlich auf Vordermann hat bringen lassen.

Wir wollen annehmen, dass die Sportfreunde, die am Samstagmorgen im gesangsfrohen Übermütchen ihrer frisch geleerten Bierdosen von Olten nach Burgdorf gefahren sind, diesen Schlussgang auch mitverfolgt haben. Falls ja, haben sie möglicherweise gesehen, dass der spätere Festsieger, dessen Familiennamen einem echten Eidgenossen alle Ehre macht, kurz vor dem siegreichen Kampf an einem ominösen Fläschchen nuckelte, was die Boulevardpresse zur flotten Titelzeile «Sempachs Bauerntrick mit dem Trinkfläschli» inspiriert hat. Aber was hat der Sportsmann tatsächlich zu sich genommen? Zaubertrank? Bätziwasser? Anabolikasaft? «Nein, in diesem Fläschchen war pures Flüssigkoffein drin», beruhigt uns der König, denn es sei darum gegangen, «im richtigen Moment wach zu sein». Hört auf den König! Wacht auf, Verdammte dieser Erde …

Pedro Lenz (48) ist Schriftsteller und lebt in Olten. Er mag den Schwingsport. Nur die Swissness kommt ihm spanisch vor.