Buch: Zurück, um vorwärtszukommen

Nr. 38 –

Erzählen und Zuhören sind die Basis für eine echte Begegnung, die nach ihrem Ende den Wunsch nach einer baldigen neuen Begegnung hervorruft. Die Lektüre von Bettina Spoerris erstem Roman hat einen ähnlichen Effekt. Wir begleiten aus der Nähe eine junge Frau mit dem Namen Anna, die mit Scheu und Unsicherheit ihr eigenes Ich zu erkunden beginnt, erst als Schwester eines Bruders, als Tochter eines Vaters, als Reisende unterwegs zu einem Begräbnis. Allmählich bewegt sie sich mit wachsender Gelassenheit durch die verwinkelten Passagen der europäischen Geschichte, in denen sich Vertraute und Fremde aus drei oder vier Generationen kreuzen, aneinander stossen, verweilen und einander neu betrachten.

Es geschieht wenig und zugleich sehr viel auf verschiedenen Ebenen, was in der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ermöglicht, Annas eigene Geschichte, jene der eigenen Kindheit wie jene des Bruders, auch diejenige der Eltern besser zu verstehen. Durch die Geschichte der eben verstorbenen Grosstante und jene ihrer Schwester, der jüdischen Grossmutter, die schon länger nicht mehr lebt und deren Leben sich mithilfe zweier Tagebücher zu entwirren beginnt, wächst in Annas Händen zunehmend ein «Konzert der Furchtlosen», und ihre eigene Geschichte rückt ins Licht des Verstehens.

Bettina Spoerris Erstling ist ein packendes Buch, sowohl im historischen Rückblick durch das Tagebuch als auch durch die zunehmend bewusstere Veränderung im Leben der Ich-Figur des Romans. Mehrere Passagen berühren in ihrer Schlichtheit – die Versöhnung mit dem Bruder, die Versöhnung mit dem Vater, die Versöhnung Annas mit sich selbst. Aus der Verstrickung öffnet sich langsam ein Weg für jede Person im Zusammenspiel der Generationen: ein Weg aus der Angst ins wachsende Vertrauen zum eigenen Lebenswert, damit aus der Einsamkeit in die Versöhnung. Selbst die Tragik der Geschichte kann akzeptiert werden, damit die Zustimmung zur Zukunft, zum Leben überhaupt und zum Glück möglich werden kann.

Bettina Spoerri: Konzert für die Unerschrockenen. Verlag Braumüller. Wien 2013. 462 Seiten. Fr. 32.90