Editorial: Berufe machen Leute

Nr. 38 –

Illustration: Marcel Bamert

Der Beruf eines Menschen ist hierzulande fast untrennbar mit seiner Identität verbunden. Man ist nicht einfach nur Peter oder Monika, Bücherwurm, Waffennarr oder Wasserratte, sondern zuallererst Krankenpfleger oder Kindergärtnerin, Maurer oder kaufmännische Angestellte. Berufe machen Leute. «Was bin ich?» lautete denn auch der Titel der langlebigsten Quizsendung Deutschlands, in der ein Rateteam mit zehn Fragen den Beruf einer Person herausfinden musste.

Ob die Sendung heute noch funktionieren würde? Immer mehr Menschen bekunden Mühe damit, sich über ihren Beruf zu definieren. Und das nicht nur, weil Berufsbezeichnungen in rascher Folge wechseln und sich ebenso auch die Arbeitsinhalte verändern. Heute bleibt kaum noch jemand ein Leben lang im selben Beruf tätig. Wir sind im Arbeitsleben einem ständigen Wandel unterworfen. Müssen uns immer wieder neu definieren.

Je stärker sich die Berufe wandeln, desto mehr muss man sich auch weiterbilden. Das Diktum vom lebenslangen Lernen kann längst nicht mehr als freundschaftlicher Rat begriffen werden – es ist eine ultimative Aufforderung. Wer seine Arbeitskraft im gewünschten Bereich einigermassen lukrativ verkaufen will, der muss Zeit, Geld und viel Energie investieren. Dabei muss jeder selbst vorausahnen, was zukunftsträchtig sein könnte, muss das Risiko selbst tragen. Unternehmen – euphemistisch Arbeitgeber genannt – kümmern sich immer weniger darum. Die Globalisierung spielt ihnen in die Hände. Sie können sich die ideal Gebildeten auf allen Kontinenten zusammensuchen.

Was geschieht mit den Menschen, wenn ihnen der Brennpunkt ihrer Identität immer wieder entgleitet? Werden sie ängstlich, verunsichert? Oder wirkt es im Gegenteil befreiend, sich immer wieder neu erfinden zu können? Verstehen sich die Menschen vielleicht mit der Zeit nicht mehr als Bäcker, Pöstlerin, Journalist oder Lehrerin, sondern primär als eine Person mit unzähligen Chancen im Leben? Beruf und Identität als Spiel: So illustriert auch unser Layouter und Grafiker Marcel Bamert die vorliegende Bildungsbeilage. Die versammelten Texte jedenfalls zeigen: Widersprüche sind da – und regen hoffentlich zu weiteren Diskussionen an.