«Gangs of Wasseypur»: Stimmungsvolles Gangsterepos

Nr. 39 –

Shahid Khan, Paschtune und Emporkömmling, überfällt im ostindischen Wasseypur der vierziger Jahre Züge der britischen Kolonialherren. Doch Khan, gespielt von Jaideep Ahlawat, wird mit seiner schwangeren Frau Jamila und seinem Bediensteten Nasir zur Flucht ins benachbarte Dhanbad, die Kohlehauptstadt Indiens, gezwungen. Dort findet Khan in den Minen Ramadhir Singhs – von Tigmanshu Dhulila prächtig als intrigant dargestellt – Arbeit. Täglich zwölf Stunden in der Mine eingeschlossen, kann Khan seiner Frau nicht beistehen, als sie bei der Geburt ihres Sohns Sardar stirbt.

Nach Abzug der BritInnen fallen die Industrien in die Hände der skrupellosesten InderInnen. Khan erkennt: Entweder man unterdrückt oder wird unterdrückt, und er plant, die Minen zu übernehmen. Als Singh dies erfährt, lässt er Khan ermorden. Nasir gelingt mit Sardar die Flucht nach Wasseypur. Dort baut der zum Schürzenjäger herangewachsene Sardar seine eigene Dynastie auf – mit einem Ziel: Rache an Singh.

Auch wenn sich die Spannung oft in Überlänge und ästhetisierter Gewalt verliert, gelingt Regisseur Anurag Kashyap mit «Gangs of Wasseypur» ein stimmungsvolles Gangsterepos. Mit gekonntem Schnitt, starken SchauspielerInnen, Selbstironie und einem Gespür für Machtpolitik – Ramadhir Singh schwingt sich etwa zum Gewerkschaftsführer auf, um die Arbeiter zu entmachten – bricht er mit Bollywoods Realitätsferne. In diesem durchdachten Stil- und Genremix ist schon die erste Szene metaphorisch: Die Kamera zoomt wackelnd aus einer typischen Singsangszene heraus. Die eben gesehene Szene wird zum Film im Film. Denn der Familienclan der Khans hat sich nachts vor dem Fernseher eingefunden, um in die Bollywoodtraumwelt abzutauchen – doch die rivalisierende Singh-Familie deckt die vor dem Fernseher sitzenden Khans bei einem Überfall mit Kugeln ein. Träume werden in Indien nur schwer 
Realität.

Gangs of Wasseypur, Teil 1. Regie: Anurag Kashyap. Indien 2012