Repression gegen Fussballfans: Nicht lange fackeln

Nr. 40 –

Bei einem Heimspiel des FC St. Gallen zünden mehrere Fans Pyros. Die Täter erwischt man nicht, geht dafür auf deren «Gehilfen» los – mit Handschellen, Hausdurchsuchungen und fragwürdiger Härte.

«Bald flogen die knisternden und zischenden Raketen in die Höhe, oder es platzte ein Feuerteufel. Auch ganze Glutschlangen sprangen, von der Hand des eifrigen Gehülfen dirigiert, in die dunkle Luft hinauf», heisst es im Roman «Der Gehülfe» von Robert Walser.

So viel Begeisterung fürs «Abfackeln» scheinen auch sieben junge Fans des FC St. Gallen zu hegen, zumindest in den Augen des St. Galler Staatsanwalts Thomas Hansjakob. Liess er sie doch wegen «Gehilfenschaft in der Widerhandlung gegen das Sprengstoffmittelgesetz» verhaften und ihre Wohnungen durchsuchen.

Um 6 Uhr morgens abgeführt

Vier Anhänger des FC St. Gallen halten Anfang September im Spiel gegen den FC Luzern eine Fahne hoch. Mehrere «Zünder» schlüpfen darunter, vermummen sich und entflammen Pyros. Kaum sind diese abgebrannt, demaskieren sie sich wieder im Schutz der Fahne. Während der ganzen Aktion bleiben die Täter unerkannt, nicht aber die vier «Fahnenträger». Sie geraten ins Visier der Staatsanwaltschaft. «Um 6 Uhr morgens standen vier Polizisten vor der Tür, um meine Wohnung zu durchsuchen», erzählt einer der Verhafteten. Er möchte unerkannt bleiben, darum nennen wir ihn im Folgenden Severin.

Hat man die Täter nicht, möchte man wenigstens an deren «Gehilfen» ein Exempel statuieren. In dieser Art ist der Fall einzigartig: «Ich kenne keine konkreten vergleichbaren Fälle dieser Art», hält Bettina Surber fest. Die St. Galler Anwältin verteidigte bereits mehrfach Fussballfans vor Gericht. Markus Schefer, Basler Rechtsprofessor, rückt die Angemessenheit der Mittel in den Fokus: «Wenn es sich um eine relativ geringfügige Tat handelt, ist ein solches Vorgehen der Staatsanwaltschaft fragwürdig. Zumal es sich noch um Gehilfenschaft handelt.»

«Bei der Hausdurchsuchung wurden mir das damals getragene T-Shirt, mehrere Feuerwerkskörper, darunter Pyros, und mehrere Fahnen abgenommen», sagt Severin. Bettina Surber fragt nach dem Sinn der Hausdurchsuchung: «Was wollte man denn damit erreichen? Die Beweisführung erfolgt ja sowieso aufgrund des Videomaterials», und setzt nach: «Daher war eine Hausdurchsuchung gar nicht nötig.» Rechtsprofessor Schefer stellt das Wesen einer Hausdurchsuchung klar. Sie sei eine Zwangsmassnahme und ein sehr intensiver Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen. Und fügt an: «Sie kann nicht wegen einer Bagatelle gemacht werden.»

Dieser Fall zeigt exemplarisch auf, mit welcher Härte vor allem in St. Gallen gegen Fussballfans vorgegangen wird. «Es wird sehr schnell Untersuchungshaft angeordnet, und diese dauert manchmal auch lang. Darin spürt man einen Willen, dass sich die Strafverfolgung auf den familiären, vor allem aber auf den beruflichen Alltag der Betroffenen auswirken soll», sagt Bettina Surber. Das Vorgehen lasse sich eigentlich nicht mit der Schwere der vorgeworfenen Delikte rechtfertigen. Markus Schefer weist auf einen entscheidenden Aspekt hin: «Die Schwere der Tat muss ein solches Vorgehen rechtfertigen. Im vorliegenden Fall ist die Frage, ob mit den Pyros Leute gefährdet wurden.»

Severin wird nach der Durchsuchung abgeführt und zur Befragung beim Ersten Staatsanwalt Thomas Hansjakob mit Handschellen an den Stuhl gefesselt. «Als ich erzählte, dass ich Jura studiere, hat er mich belächelt und gemeint, dass ich einen einwandfreien Leumund bräuchte, um Anwalt zu werden», erzählt Severin und fügt an: «Ich fühlte mich lächerlich gemacht.» Die Befragung ist zu Ende, und Severin wird aufgefordert zu gehen. Doch das kann er nicht: «Ich war nach wie vor mit Handschellen an den Stuhl gefesselt. Erst nach der dritten Aufforderung und dem demonstrativen Aufstehen mit der Hand am Stuhl wurden sie mir abgenommen, und ich konnte hinausbegleitet werden.»

Die Kollegen verpfeifen?

Thomas Hansjakob, der Erste Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, stellt klar: «Es ging überhaupt nicht um die Einschüchterung. Dass zugeführte Personen bei Befragungen an den Stuhl gefesselt werden, ist im Kanton St. Gallen üblich. Das mache ich mit jedem Festgenommenen.» Eine Praxis, für die die Anwältin Bettina Surber «absolut keinen Grund» sieht. Auch zum rigorosen Vorgehen gegen Gehilfen nimmt Thomas Hansjakob Stellung. Die Gehilfen würden bei jeder Straftat verfolgt, der vorliegende Fall sei da keine Ausnahme. Zur Verhältnismässigkeit der Hausdurchsuchungen erklärt er die Praxis im Kanton St. Gallen: «Wenn eine Strafe von sechzig bis neunzig Tagessätzen in Aussicht steht, sind Hausdurchsuchungen verhältnismässig. Wir machen sie auch bei weniger gravierenden Delikten, beispielsweise bei Ladendiebstählen von Gegenständen mit grösserem Wert.»

Hofft Staatsanwalt Hansjakob darauf, dass die «Gehilfen» unter Druck ihre Kollegen verpfeifen? Severin räumt einem solchen Vorgehen keine Chance ein: «Der Zusammenhalt in der Fanszene ist stark. Ich denke, dass solche Fälle diesen noch weiter stärken. Seine eigenen Leute verpfeifen, das würde eigentlich niemand machen.»

Staatsanwalt Thomas Hansjakob hingegen erinnert mit seinen Erziehungsmethoden an vergangen geglaubte Zeiten. Oder wie es im «Gehülfen» von Robert Walser heisst: «Den jungen Leuten tut wahrhaftig eine schwere Lehre not.»