Musikjournalismus: Aber kann man davon leben?

Nr. 42 –

In der Zunft der MusikjournalistInnen ist es in den letzten Jahren eng geworden. Es fehlt an Tiefgang, Geld und Unabhängigkeit. Ein Plädoyer für eine kühne und eigenwillige Musikkritik.

Vor einigen Jahren wurde ich an einem Taxistand im irischen Cork von einem jungen Paar angesprochen: Sie müssten auch zum Flugplatz, ob ich das Taxi mit ihnen teilen würde, so käme es billiger. Sie kamen aus Tschechien, erfuhr ich, und dahin flogen sie nun zurück, weil es in Irland keine Arbeit mehr gab. Was denn mein Job sei, wollte die Frau wissen. «Journalist», sagte ich, «meistens über Musik.» Sie strahlte: «Mein Boyfriend hier …» – sie rieb ihm stolz das Knie –, «ist auch Journalist, aber ein richtiger! Er schreibt über Politik.»

Die Geschichte hätte so auch in der Schweiz geschehen können. Sobald es um laute Gitarren geht statt zart gestrichene Geigen, um Schlagzeug statt exotische Perkussionsinstrumente und Synthis statt Trompetenklänge von Miles Davis, geniesst das Schreiben über Musik die Wertschätzung eines Hobbys. Das war nur zweimal anders, zuerst in den mittleren sechziger Jahren und wieder in den achtziger Jahren, wo krachende Gitarren und die passenden Frisuren als Ausdruck eines neuen Zeitgeists nicht ignoriert werden konnten.

Die SchreiberInnen aus den «Sixties» sitzen inzwischen in ihren Datschas im Tessin und geniessen die Sonne. Von den unzähligen jungen KämpInnen, die sich mit punkiger Schreibenergie in die bewegten achtziger Jahre stürzten, sind noch viele im Journalismus tätig, aber wenige beschäftigen sich mit Musik. Und die, die es tun, haben zumeist in irgendeiner Redaktion eine feste Anstellung gefunden, wo sie für andere Bereiche zuständig sind. Die Gitarren bleiben bestenfalls noch ein Nebenschauplatz.

Mit offenen Ohren

Es entbehrt nicht der Ironie, dass es heute, wo es mehr kühne und eigenwillige Schweizer MusikerInnen gibt als je zuvor, an kühnen und eigenwilligen JournalistInnen mangelt, die Storys über MusikerInnen und Bands bei zahlenden Publikationen unterbringen und auch davon leben können. Ich kann keine Zahlen nennen, aber um sie zu zählen, braucht es nur wenige Finger. «Schuld» an der Situation sind nicht unbedingt fantasielose RedaktorInnen: Besonders bei den Tages- und Sonntagszeitungen sind offene Ohren zu finden. Dem Profil der verkauften Medien dient es nicht, wenn sie die gleichen, oft schlecht geschriebenen PR-Zettel der Plattenfirmen nachdrucken wie gewisse Gratisblätter.

Die Feuilletons und Kulturseiten sind allerdings auch meistens die Ersten, die bei Sparrunden der Verleger Federn lassen müssen. Weniger Platz heisst kürzere Storys, heisst weniger Geld für die JournalistInnen. Gleichzeitig sind Freischaffende von der Bündelung diverser Regionalzeitungen und vor allem von ihren gemeinsamen Internetseiten hart betroffen.

Noch vor fünfzehn Jahren konnte man ungefähr die gleiche Beastie-Boys-Story Zeitungen in Solothurn, Aarau, Basel, Luzern und St. Gallen verkaufen und dafür fünfmal 120 Franken kassieren. Heute steht sie sofort im Internet und gehört allen – und der Freie wird mit 120 Franken abgespeist. Von den allgemeinen, durch Sparmassnahmen bedingten Honorarreduktionen für freie Musikbeiträge ganz zu schweigen – die WOZ zahlt inzwischen besser als andere Traditionsorgane.

Seit bald fünfzig Jahren gehörten Pop- und Rockmusik, industriell hergestellt oder «organisch», zu den wichtigsten kulturellen Erzeugnissen, die unseren Alltag prägen. Ob wir es wollen oder nicht, in jedem Schuhladen und in jeder Bäckerei werden wir heute mit Beyoncé, Lady Gaga, Bob Marley oder Kings of Leon beschallt. Warum wird die Beschäftigung damit, vor allem auch die kritische, heute wieder als ein Hobby erachtet, bei dem die Freude an der Beschäftigung damit als Entlöhnung reichen soll?

Bezahlt wird nicht

Kein Zweifel: Der Raum für «unsere» Musik in den konventionellen Medien schwindet. RedaktorInnen, die die Musik quasi nebenbei betreuen, finden kaum Zeit, sich über Entwicklungen zu informieren, über die sie nicht schon Bescheid wissen. Andererseits müssen Freie, die von der Musik leben wollen, jede Interviewmöglichkeit wahrnehmen, die von Plattenfirmen offeriert wird, ungeachtet musikalischer Vorlieben oder persönlicher Vorbehalte.

Dazu kommt die weitverbreitete und durchaus vertretbare Meinung, dass es schade sei, Platz mit Themen zu vergeuden, die nicht mit ehrlicher Begeisterung abgehandelt werden können. Aber unter dem Strich bedeutet dies: Die RedaktorInnen schreiben nur noch über Bob Dylan, Tom Waits und Anna Calvi, die Freien nur noch über Bands, die sie toll finden oder die zu ihrem Freundeskreis gehören. Eigentlich könnte das Internet den Ausweg bieten: Hier kann jedeR schreiben, was er oder sie will, so lang wie er oder sie will, zensurfrei, von keiner Plattenfirma erzwungen et cetera. Nur: Noch bezahlt kaum eine Website – ausser für ihren Gründer – ein Honorar aus. So sind die dort publizierten Texte vornehmlich Werke von hoch motivierten Fans. Sie sind häufig so detailliert und sektiererisch, dass kaum jemand die Geduld aufbringt, über die Einleitung hinaus weiterzulesen. Das Internet ist für die einen eine Befreiung und für den Musikjournalismus ein Kreuz oder gar der Ruin.

Ein Ärgernis ist in diesem Zusammenhang auch die Gewohnheit von Amazon und anderen Websites, eine Internetbestellung gleich mit einigen Empfehlungen zu quittieren: «Wenn Sie diese CD mögen, mögen Sie vielleicht auch diese.» KonsumentInnen, die sich danach richten, drehen sich im Kreis. Der Computer springt nie über den Schatten seiner Algorithmen 
(vgl. «Die wegdemokratisierte Popkritik» ).

Die vom Internet suggerierte grenzenlose Vielfalt ist trügerisch. Auf der von Universal, Sony sowie einigen Indies heiss geliebten Website Music Promotion Network (MPN) können sich JournalistInnen einklinken, um all die neuen Alben im Stream zu hören. Aber eine übersichtliche Internetplattform fehlt weiterhin, und um sich jeweils in Jargon und Fülle zurechtzufinden, ist ein grosser zeitlicher Aufwand nötig.

Fehlende Artenvielfalt

Das Absterben des bezahlten, unabhängigen Musikjournalismus hat auch inhaltliche Folgen. Wer als Fan über Musik schreibt, tut dies zumeist gratis und wird redaktionell nicht begleitet. Gute RedaktorInnen bringen einem talentierten Anfänger bei, dass fanhafte Schwärmereien und Klischees der Glaubwürdigkeit schaden. Der Verlust an Tiefgang und die fehlende Artenvielfalt im Schweizer Musikjournalismus sind besorgniserregend und schaden MusikerInnen und KonsumentInnen. Es wird für alle immer schwieriger, Musik zu entdecken, die abseits der Modeströmungen oder ausserhalb des Wirkungskreises zahlender InserentInnen liegt. Solange man immer wieder dasselbe liest, glaubt man, es gebe kaum noch Neues zu erkunden und die Sixties/Seventies/Eighties seien halt doch die besten Jahre gewesen.