«Kunst und Dorf»: Nichts tun auf dem Land ist verdächtig

Nr. 43 –

Was passiert, wenn sich Kunstschaffende in Dörfern betätigen? Damit setzt sich das neue Buch «Kunst und Dorf. Künstlerische Aktivitäten in der Provinz» auseinander. Ein Vorabdruck, der zwei Projekte in Österreich und der Schweiz vorstellt.

«Ein Dorf tut nichts» 
von Elisabeth Schimana und 
Markus Seidl (2001)


Eingeladen, am Festival der Regionen zum Thema «Das Ende der Gemütlichkeit» teilzunehmen, entwarfen die Komponistin Elisabeth Schimana und der Medienkünstler Markus Seidl im Juni 2000 folgende Anzeige: «Gesucht wird ein Dorf in Oberösterreich mit bäuerlichen Strukturen, dessen Bewohner bereit sind, mit uns folgende Fragestellungen zu diskutieren: Was bedeutet Gemütlichkeit? Ist es gemütlich, nichts zu tun? Was heisst nichts tun? Wer darf was tun, um nichts zu tun? Die Ergebnisse gestalten sieben Tage nichts tun. Für Ersatzpersonal und Verpflegung wird gesorgt!»

Inspirierend hatte dabei eine gleichzeitig stattfindende Ausstellung im Österreichischen Museum für Volkskunde in Wien gewirkt, wo unter dem Titel «Nichts tun. Vom Flanieren, Pausieren, Blaumachen und Müssiggehen» konstatiert wurde: «Das Schwierigste, was sich ein Zeitgenosse vornehmen kann, ist das Nichtstun. Es ist keineswegs einfach, sich von der Moral der Arbeitsalltage freizumachen.»

Gerade im ländlichen Bereich, wo Müssiggang kaum kulturell verankert ist, viele Arbeiten zudem notwendig zu verrichten sind, stösst Nichtstun auf wenig Akzeptanz. Schimana und Seidl tasteten sich denn auch vorsichtig an ihr Projekt heran. Von einem Besuch bei einer vier Generationen umfassenden Lebensgemeinschaft berichteten sie, dass sie herzlich bewirtet wurden, dass die ersten Reaktionen auf ihr Projekt jedoch «grosse Skepsis und die Unmöglichkeit der Vorstellung, nichts zu tun» sind.

Sieben nichtstunwillige Familien wurden schliesslich im bäuerlich geprägten Eberhardschlag in der Mühlviertler Gemeinde Vorderweissenbach gefunden. Eine Arbeitswoche lang widersetzten sich alle Familienmitglieder vom Volksschulkind bis zur 99-jährigen Urgrossmutter dem Zwang der Werktage.

Man tat nichts: kein Bügeln, kein Blumengiessen, kein Kochen, keine Stall- und Heuarbeit, kein Fahren mit motorisierten Fahrzeugen. Anfallende Arbeiten, vom Melken bis zum Junikäferklauben, erledigte derweil bezahltes Hilfspersonal, «natürlich unter fachmännischer Anleitung der BewohnerInnen selbst. Weshalb sie im Grunde wieder was tun», hiess es. Erlaubt waren lediglich vier Dinge: «Essen und was darauf folgt, trinken und was darauf folgt, lesen und schlafen.» Chauffeure holten die Beteiligten ab und führten sie fünf Tage lang in einen eigens eingerichteten Gasthof zum Mittagessen, von dort wurden sie wieder nach Hause gebracht.

Die EberhardschlagerInnen nutzten die gewonnene Freizeit nicht nur zum Urlaub mit Vollpension in den eigenen vier Wänden (für manche der erste Urlaub überhaupt!), für Tagesausflüge und gemeinsame gemütliche Abende, zugleich diskutierte man den Wert von Arbeit und Nichtstun sowie die Probleme bei der Einhaltung der Spielregeln, «wo man doch auf Schritt und Tritt ungetane Arbeit» sehe.

Kommentiert wurde das Projekt mit Äusserungen wie: «Der Herrgott hat uns die Welt gegeben, um sie anzuschauen. Um sie zu betrachten, um etwas daraus zu machen. Nicht, um sie zu ruinieren. Und der Mensch ruiniert sie. Weil er zu viel tut» (Herr Mülleder), oder: «Wenn man mal gerade nichts zu tun hat, dann gibts sicher drei Bretter am Stadl, die locker sind, und der eine nagelts dann halt an, während der andere …» (Herr Gradl). Festgestellt wurde, dass – gerade im Gegensatz zur Stadt Wien – die Leute im Dorf sehr fleissig seien und dass sogenanntes Nichtstun doch meist wieder zu irgendeiner Art von Arbeit führe.

Brita Polzer

«Offni Szene» 
von Vincent Hofmann und 
Hansueli Nägeli (2009)


Wir stiegen aus dem Postauto und setzten uns auf die Rundbank auf dem Dorfplatz. Wir waren die Einzigen, für die das ein besonderer Moment war. Eine alte Frau, auf dem Weg zum Postauto, setzte sich neben uns. Ja, es ist sehr schön hier, sagte sie. Eigentlich schade, dass sich hier nicht öfter jemand hinsetzt. Sonst bemerkte uns niemand. Am nächsten Morgen kam die Polizei. Was tun Sie hier?

Es gefällt uns hier. Wir sitzen da und schauen uns um. Möchten Sie das nicht im Nachbardorf tun? Nein, lieber nicht. Alle sagen, wie schön dieser Platz sei. Wir haben uns schon gut eingewöhnt. Sind Sie Aussteiger? Oder sind Sie irgendwo abgehauen? Nein. Wie lange soll das gehen? Solange es uns hier gefällt. Wir würden uns gern niederlassen. Kann ich mal in Ihr Portemonnaie schauen?, fragte der Polizist. Er zählte das Geld. Er hatte sich natürlich auch schon unsere Papiere angesehen und die Personaldaten per Funk kontrolliert. Aber die Banknoten waren offenbar die beste Aufenthaltsberechtigung. Bei uns schellt dauernd das Telefon, sagte der zweite Polizist. Die Leute wollen wissen, was Sie im Schilde führen. Es heisst, Sie seien zwei Pädophile. Es wäre uns lieber, wenn Sie weiterziehen würden. Aber solange die Gemeinde nicht einschreitet, können wir Sie nicht vertreiben.

Die Gemeinde äusserte sich erst nach zehn Tagen. Sie schickte den Gemeindeschreiber, der uns bisher öfter zugeschmunzelt, aber noch nie mit uns gesprochen
hatte. Auch er bekomme viele Anrufe. Die Leute schliessen mittlerweile die Türen ab wegen euch, sagte er. Besonders der Zahnputzbecher auf dem Brunnenrand errege Unwillen. Inzwischen solidarisierte sich ein Teil der Dorfbevölkerung mit uns gegen jene, die uns angeblich vom Dorfplatz vertreiben wollten.

Die Frage, was wir hier taten, wurde zunehmend unwesentlich. Wir deckten die Streiche der Jugendlichen, die nun sämtlich auf unser Konto gingen. Wir sorgten für angeregte Unterhaltung am Altersnachmittag und bekamen dafür die Essensreste. Wir waren leicht zu beeindruckende Zuhörer und erfuhren so immer mehr Dorfgeschichten.

Ihr fresst uns ja das Dorf auf!, rief einmal eine Frau. Wir begannen, damit zu spielen, dass Fremde normalerweise nicht über intimste Geschichten des Dorfs Bescheid wissen. Diese Aufschneiderei gipfelte am Stammtisch.

Wir breiteten uns auf dem Platz aus, wir installierten unseren eigenen Abfalleimer, wir schenkten Most aus und beschrifteten die Becher mit den Namen ihrer Besitzer, wir besorgten einen Besen, mit dem wir am Abend den Platz kehrten, bevor wir zum Schlafen in den Wald aufbrachen.

Vincent Hofmann und 
Hansueli Nägeli

Während zweier Wochen sassen Vincent Hofmann und Hansueli Nägeli täglich auf dem Dorfplatz von Aesch ZH. Die gesammelten Gespräche und Erlebnisse wurden mit SchauspielerInnen auf dem Dorfplatz von Uesslingen TG reinszeniert.

Brita Polzer (Hrsg.): Kunst und Dorf. Künstlerische Aktivitäten in der Provinz. Scheidegger & Spiess. Zürich 2013. 299 Seiten. 45 Franken

«Dorf und Kunst» : Fremde in der Provinz

Kaum haben sie Kinder, ziehen sie in ein Dorf. Dann sitzen sie in ihren Häuschen, versteckt hinter hohen Thujahecken, pendeln mit dem Auto in die Stadt zur Arbeit und leben anonymer als zuvor in der Stadt. «Der Landschwärmer zerstört, wofür er schwärmt, er macht aus dem Land Agglomeration, baut die Dorfagglo», schreibt Benedikt Loderer im von Brita Polzer herausgegebenen Buch «Kunst und Dorf. Künstlerische Aktivitäten in der Provinz», das dieser Tage beim Verlag Scheidegger & Spiess erscheint. Und er stellt fest: «Das Dorf ist tot.»

Doch die Kunst lebt. Auch auf dem Land – obwohl sie dort häufig kaum wahrgenommen wird. Deshalb widmen sich die verschiedenen AutorInnen im Buch «Kunst und Dorf» der Kunst, die in den letzten Jahren in der Schweizer, österreichischen und deutschen Provinz entstanden ist.

Das Buch ist in vier Kapitel unterteilt: Im ersten werden aktuelle zeitgenössische Projekte vorgestellt, das zweite Kapitel fasst verschiedene historische Projekte zusammen. Im dritten steht das Dorf an sich im Zentrum. Erhellende Beiträge befassen sich mit Fragen wie: Was ist das Dorf heute, und vor welchen Herausforderungen steht es? Was war ein Dorf um 1800? Das letzte Kapitel präsentiert in Kurzform «Zwanzig Dorfprojekte», die in der Schweiz, Deutschland, Österreich sowie Ungarn und China entstanden sind.

Die meisten KünstlerInnen leben in der Stadt – zumindest bis sie Kinder haben. Auch die Kunstschaffenden, die sich in Dörfern engagieren, leben meist selbst in der Stadt, für ihre Projekte lassen sie sich vorübergehend im Dorf nieder. Welchen Aufruhr ihre Anwesenheit verursachen kann, zeigt das zweite der beiden «Dorfprojekte», die die WOZ als Vorabdruck vorstellt. Denn nichts ist so verdächtig im Dorf wie Fremde, die nichts tun.

Buchvernissage: Kunstraum Walcheturm in Zürich, Kanonengasse 20, am Donnerstag, 28. November 2013, um 18.30 Uhr.

Silvia Süess