Zum 200. Geburtstag: Eine Schleife für Büchner

Nr. 43 –

Linksbüchnerianer Stefan Howald, Armin Büttner und Adrian Riklin (von links) am 21. Oktober 2013 beim Germaniahügel (Rigiblick) in Zürich mitsamt der Schleife um die neu gepflanzte Büchner-Linde.

Georg Büchner fürs Volk oder fürs Bürgertum? Gegenwärtig wütet ein «kultureller Klassenkampf» darüber, inwiefern er ein poetischer Revolutionär, revolutionärer Dichter oder religiöser Spätromantiker gewesen sei (siehe WOZ Nr. 42/13 ). Am 17. Oktober 2013 wäre Büchner 200 Jahre alt geworden, und Zürich, die Stadt, in der er die letzten Monate seines kurzen Lebens verbrachte, gibt sich redlich Mühe, ihrem einst als Flüchtling Aufgenommenen ein würdiges Andenken zu bescheren.

Am vergangenen Montag (21.10.13) erhielt das Büchner-Grab auf dem Germaniahügel eine neue Linde – die riesige, rund 150 Jahre alte Linde war im Sommer 2012 von einem Sturm zerstört worden. Anlässlich der vom Nord-Süd-Verlag und dem Theater Rigiblick patronierten Pflanzung versammelte sich eine züriberglerisch durchsetzte Büchner-Gesellschaft. Mit dabei, als linksbüchnerianische Vertretung, waren die WOZ-Redaktoren Armin Büttner, Stefan Howald und Adrian Riklin. Howald nahm sich die Freiheit, nach der Begrüssung durch Stadtpräsidentin Corine Mauch und Christine Grän von Grün Stadt Zürich im Namen der linksbüchnerianischen Gemeinde einige Worte zum politischen Büchner zu äussern, die im Folgenden nachzulesen sind. Derweil Büttner und Riklin eine Schleife mit einem denkwürdigen Satz aus «Dantons Tod» auf das Grab legten: «Wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zappeln, aber wir werden uns losschneiden.» Tatsächlich fühlten sich der Literaturwissenschaftler Peter von Matt und der deutsche Botschafter Otto Lampe veranlasst, in ihren Reden an der anschliessenden Feier im Theater Rigiblick auch Bezug auf den Linksbüchnerianismus zu nehmen.

Die Rede von Stefan Howald

Meine Damen und Herren,

mein Name ist Stefan Howald; erlauben Sie mir anlässlich dieser Linden-Pflanzung zu seinem 200. Geburtstag am 17. Oktober, im Namen der Freunde von Georg Büchner auch noch ein paar Worte zu ihm zu sagen.

Es gibt in Büchners Komödie «Leonce und Lena» eine Szene, wo anlässlich eines fürstlichen Fests die Bauern dazu verpflichtet werden, ein Spalier zu bilden, und dabei werden sie so aufgestellt, dass sie, wenn sie schon nichts vom Festmahl abbekommen, so doch zumindest den Geruch der fürstlichen Braten in die Nasen kriegen.

Das soll hier in Zürich nicht passieren, dass dieser Festakt ohne Volk abläuft, und deshalb möchte ich hier stellvertretend eine kurze Intervention machen.

Büchner ist ein gewaltiger Komet am Himmel der deutschen Literatur und der Geschichte. Laufbahn und Bedeutung von Kometen werden aber zuweilen unterschiedlich interpretiert, ja, sind gelegentlich auch umkämpft. In einer Rezension einer neuen Biografie ist kürzlich für Vertreterinnen, die in Büchner vor allem den sozialkritischen Schriftsteller sehen, der schöne Ausdruck Linksbüchnerianer geprägt worden, und wir, meine Kollegen Armin Büttner, Adrian Riklin und ich, haben diesen Ehrentitel gerne auf uns genommen und uns ans republikanische Revers geheftet.

Wir haben uns zuerst überlegt, wie wir unserem Georg heute unsere Reverenz erweisen sollen: mit einer lärmigen Demo, oder mit einem radikalen Transparent, aber Büchner selbst hat ja mal über die Republik Zürich geschrieben, dass hier alles so ruhig und wohl geordnet sei, und deswegen halten wir uns daran und haben uns dazu entschieden, die neu gepflanzte Linde ganz manierlich mit einer Schärpe zu verzieren.

Natürlich haben wir lange darüber diskutiert, was auf dieser Schärpe stehen solle. Schliesslich haben wir uns für ein Wort aus «Dantons Tod» entschieden:
«Wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zappeln, aber wir werden uns losschneiden.»

Nun zeigt sich gerade an diesem Wort, wie aktuell Büchner nach wie vor ist. Es geht ihm zuerst einmal um die Selbstermächtigung: Wir sollen nicht auf die anderen warten, sondern das Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Er mischt sich damit aber noch gezielter in die aktuelle Abstimmung zur 1:12-Initiative ein, da 60 bekanntlich 5 mal 12 ist, und es fürs 1:12 ja tatsächlich 5 vor 12 ist. Weiter vorausblickend fordert er damit auch die Senkung des AHV-Alters auf sechzig Jahre.

Vor allem aber symbolisiert Büchner mit seiner Person und seinem Werk eine Schweiz, die sich liberal in der Aufnahmepolitik gegenüber Ausländerinnen und Ausländern zeigte, die eine humane Asylpolitik vertrat. Wir haben vorhin gehört, dass die Linde ein Symbol für den pfleglichen Umgang mit der Natur symbolisiert. Büchner selbst aber steht auch für einen pfleglichen Umgang mit den Armen dieser Welt.

Und deshalb werden wir jetzt diese Schärpe um seine Linde drapieren.

Besten Dank.