Wirbelstürme: Schlanke Staaten, massenhaft Tote

Nr. 46 –

Auf den Philippinen gibt man Taifunen eigene Namen. Der international als «Haiyan» bekannte Wirbelsturm, der in den vergangenen Tagen mehrere Tausend Menschen getötet hat, wird dort «Yolanda» genannt. Das klingt weich, fast zärtlich. Vielleicht ist so eine Namensgebung nötig, um sich immer wieder versöhnen zu können mit der gewalttätigen Natur. Zusammen mit der Karibik gehört das Land der über 7000 Inseln zu den Weltgegenden, die von verheerenden Stürmen am meisten geplagt werden. Es wird in Zukunft nicht besser werden. Zwar streiten sich die WissenschaftlerInnen noch darüber, ob die Zahl der tropischen Wirbelstürme mit dem Klimawandel zunehmen wird; in einem aber herrscht so gut wie Einigkeit: Taifune und Hurrikane werden tendenziell heftiger. «Haiyan/Yolanda» war einer der stärksten seit Menschengedenken. Mit Windgeschwindigkeiten von über 300 Kilometern in der Stunde traf er am vergangenen Samstag auf die Insel Leyte.

An Hurrikane und Taifune erinnert man sich, wenn sie nicht nur Zerstörung brachten, sondern auch massenhaft Todesopfer. An «Katrina» zum Beispiel, die Ende August 2005 den Südosten der USA heimsuchte, New Orleans überflutete und 1800 Tote hinterliess. Oder an «Mitch», der 1998 zehn Tage lang über Zentralamerika wütete und fast 20 000 Tote zur Folge hatte. Musste das sein?

Keine andere Naturkatastrophe ist so absehbar wie ein tropischer Wirbelsturm. Ganz langsam baut er sich über dem Meer auf. Nimmt er Fahrt auf, lässt sich sein Weg ziemlich präzise vorhersagen. Regierungen und Behörden sind vorgewarnt, die Bevölkerung kann sich vorbereiten. Theoretisch.

Wie das geht, lässt sich am Beispiel von Stürmen lernen, deren Namen längst vergessen sind: Zwei Monate nach «Katrina» raste der Hurrikan «Wilma» über Kuba hinweg, mit Böen von bis zu 340 Kilometern pro Stunde. Der Sturm trieb Wellen vor sich her, so hoch wie bei einem Tsunami. Sie drangen bis zu vier Strassenzüge weit ins Zentrum von Havanna vor. Der Schaden war enorm, aber kein einziger Mensch kam zu Tode. Die Regierung hatte rechtzeitig 625 000 Personen evakuiert.

Oder der Wirbelsturm «Joan», der 1988 auf die karibische Küste Nicaraguas krachte und die Stadt Bluefields zu 99 Prozent zerstörte. Das war zu Zeiten des Contra-Kriegs, die Stadt war von rechten Rebellen umzingelt. Trotzdem schaffte es die sandinistische Regierung, Bluefields rechtzeitig zu evakuieren. Es gab nur einen einzigen Toten.

Zehn Jahre später traf nördlich von Bluefields «Mitch» auf die honduranische Karibikküste. Der damalige (neo-)liberale Präsident Carlos Roberto Flores war schon Tage zuvor vom Hurrikanzentrum in Miami vor dem Monstersturm gewarnt worden. Sein Volk aber warnte er nicht.

In New Orleans gab es immerhin einen Evakuierungsplan: Wer kein eigenes Auto zur Flucht hatte, sollte eigentlich von Schulbussen in Sicherheit gebracht werden. Doch die tagelang angekündigte «Katrina» kam und die Busse versanken in den von ihr gebrachten Fluten, bevor sie auch nur einen Menschen aus der Gefahrenzone gebracht hatten. Auf den Philippinen hat Präsident Benigno Aquino seinen Landsleuten zwar empfohlen, sich von der Küste in höher gelegene Gegenden zurückzuziehen. Konkrete Taten aber folgten nicht.

Die wenigen Beispiele zeigen: Je schlanker Staaten sind, desto höher die Zahl der Toten. Das gilt für die USA und erst recht für Länder wie Honduras oder die Philippinen, wo zudem öffentliche Institutionen traditionell der Bereicherung einer kleinen Elite dienen. Im sozialistischen Kuba und im sandinistischen Nicaragua wird Eigenverantwortung kleiner geschrieben. Freisinnige mögen das als Bevormundung empfinden, im Notfall rettet es Leben.

Die armen Philippinas und Philippinos, denen «Yolanda» Hab und Gut, aber nicht das Leben genommen hat, werden ihre Toten begraben und ihre Hütten wieder aufbauen. Gemeinsam, nach einer Methode, die sie «tagbo» nennen. Das Wort der Volkssprache Tagalog bedeutet so viel wie «Nachbarn helfen sich gegenseitig, einer ist für den anderen da». Sie machen das schon immer so, nach jedem verheerenden Sturm. Würde bei ihrer Staatsführung mehr «tagbo» gepflegt, müssten sie wenigstens niemanden beerdigen.