Personenfreizügigkeit: Plädoyer für die Freiheit

Nr. 2 –

Es ist ein kleines Stück Freiheit, das die Wirtschaftsverbände und deren bürgerliche HandlangerInnen gegen die Masseneinwanderungsinitiative der SVP in die Höhe halten. Erstens die Freiheit des Kapitals innerhalb des europäischen Binnenmarkts, dem sich die Schweiz mit den bilateralen Abkommen angeschlossen hat: Die Firmen sollen in jene Staaten ziehen können, die ihnen am treusten dienen. Zweitens die Freiheit, über Grenzen hinweg Fachkräfte zu rekrutieren. Die Freiheit der Menschen beschränkt sich darauf, als Arbeitskraft eine Stelle anzunehmen. Wer keine findet, bleibt sitzen.

Die Schweiz liegt im europaweiten Wettbewerb um Firmen an der Spitze. Die Kantone dienen mit rekordtiefen Steuern. Rund um Zürich und den Genfersee lassen sich wöchentlich neue Unternehmen nieder. Dies bringt neue Zulieferer auf den Plan, Verkehrsinfrastruktur und Immobilien werden gebaut. Die Einwanderung europäischer Arbeitskräfte ist die logische Folge. Die Schweiz ist auf dem Weg, eine grosse Stadt im Herzen Europas zu werden. Und trotz flankierender Massnahmen zum Schutz des Arbeitsmarkts drückt die Einwanderung besonders bei Geringqualifizierten auf den Lohn, wie die Uni St. Gallen in einer Studie belegt.

Die SVP behauptet, gegen all dies anzukämpfen. Ausgerechnet die Freiheit des Kapitals stellt jedoch auch sie nicht infrage. Auch sie will mit niedrigen Steuern Firmen ins Land locken. Kein Wunder: Wie jede rechtsnationalistische Partei besteht auch ein Grossteil ihrer Elite aus Industriellen und Financiers wie Christoph Blocher. Ihr Angriff zielt auf die zweite Freiheit: nicht auf jene der Firmen, europaweit Fachkräfte zu rekrutieren; dies soll laut Initiative durch entsprechende Kontingente sichergestellt werden. Sondern auf die Freiheit, die die Arbeitskräfte durch die Personenfreizügigkeit erlangt haben: auf das Recht, ihre Familien nachzuziehen, dauerhaft im Land zu bleiben sowie Sozialleistungen zu beziehen.

Im selben Zug stellt die SVP mit ihrer Initiative die flankierenden Massnahmen infrage, die zusammen mit der Personenfreizügigkeit zum Schutz der Löhne eingeführt wurden. So schwächt sie die Arbeitskräfte, die sie dann hinter sich zu scharen versucht, indem sie sie auf ihre ausländischen ArbeitskollegInnen hetzt.

Das Unbehagen, das die SVP nutzt, hat jedoch einen realen Kern. Ist es wirklich am Kapital, zu bestimmen, wie die Schweiz von morgen aussehen soll? Soll sie zum Stadtstaat werden? Ist es richtig, mit Dumpingsteuern europäischen Krisenstaaten – und Drittweltländern – Firmen abzujagen und sie damit um Einnahmen und Arbeitsplätze zu bringen? Und sollen die hiesigen Arbeitskräfte wirklich dem europaweiten freien Wettbewerb ausgesetzt werden? Zur SVP-Initiative besteht jedoch eine Alternative: die Einschränkung der Freiheit des Kapitals. In erster Linie, indem der ruinöse europaweite Steuerwettbewerb unterbunden wird.

Dies kann nur auf europäischer Ebene gelingen: Im Gegensatz zu Europas Bürgerlichen, die den Nationalstaat durch den Binnenmarkt entmachtet haben, kämpfte die Linke einst für eine demokratische EU, um die Hoheit über den europäischen Markt zurückzuerlangen – um den BürgerInnen die Freiheit zurückzugeben, über ihren Kontinent zu bestimmen. Aus diesem Grund plädierte einst auch die Schweizer Linke für den EU-Beitritt, bevor sie sich ins Reduit zurückzog.

Die Freiheit des Kapitals ist in zweiter Linie einzuschränken, indem die Arbeitskräfte gegenüber den Firmen durch den Ausbau der flankierenden Massnahmen gestärkt werden, wie dies SP und Grüne fordern. Zwar wird dies Firmen nicht abhalten, in die Schweiz zu ziehen, da sie ihre qualifizierten Fachkräfte ohnehin hoch entlohnen. Doch die weniger qualifizierten Arbeitskräfte würden vor dem europaweiten Lohndruck geschützt.

Die Strategie von SP-Präsident Christian Levrat, den Ausbau dieser flankierenden Massnahmen zur Bedingung zu erklären, dass seine Partei die Personenfreizügigkeit weiter mitträgt, ist ein gefährlicher Flirt mit der SVP. Grundwerte sind nicht verhandelbar. Auch wenn die Personenfreizügigkeit nur ein kleines Stück Freiheit ist: Sie ist ein kleiner Schritt hin zu mehr Freiheit für die Menschen.