Bahnhofsausbau in Lausanne und Genf: «Die Stadt Lausanne wird sonst regelrecht kaputtgebaut!»

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In der Romandie sind nicht alle glücklich über den Ausbau der Bahninfrastruktur. In Lausanne und Genf wächst die Opposition gegen eine Umgestaltung der Bahnhofsquartiere.

Lausanne sei die «Schweizer Riviera», sagen findige PR-Leute. Der Werbeslogan hält, was er verspricht, zumindest an diesem frühlingshaften Januarmorgen: Schon installieren die KellnerInnen Tischchen und Stühle auf den Terrassen der Cafés, und die ersten Mutigen schlürfen ihren starken Ristretto an der Morgensonne. Doch die Idylle trügt. Wir sitzen, zwei Schritte vom Bahnhof entfernt, im Auge eines Taifuns.

Der Taifun heisst Fabi. Die Vorlage zu «Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur», über die am 9. Februar abgestimmt wird, bedeutet für die Westschweiz die Hoffnung auf substanzielle Bundesgelder für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Vor Jahresende traten die Waadtländer und Genfer Regierungen gemeinsam an die Öffentlichkeit, um die Bedeutung der Abstimmung zu unterstreichen. Die Westschweiz habe «ein Vierteljahrhundert Verspätung» in diesem Bereich, sagte der Genfer Staatsrat François Longchamp. Der Ausbau des Genfer Bahnhofs steht auf dem Programm, mitfinanziert durch Bundesgelder aus dem Fabi-Paket. Der Ausbau des Lausanner Bahnhofs, der mithilfe eines schon früher geschnürten Pakets realisiert werden soll, hängt nicht direkt vom Ausgang der Abstimmung ab. Aber es ergäbe wenig Sinn, den Lausanner Bahnhof zu vergrössern, wenn andere Projekte auf der Achse Lausanne–Genf nicht realisiert werden könnten.

Aufwertung mit Museum

In Lausanne ist das Projekt weit fortgeschritten, die AnwohnerInnen im Quartier unterhalb des Bahnhofs haben bereits die Kündigung erhalten. Sie müssen gegen ihren Willen ausziehen, weil die geplante Verlängerung und Verbreiterung der Bahnsteige ihren Wohnraum zerstört. Der ganze Charakter des Quartiers mit seiner gemischten Bevölkerung, den kleinen Beizen, Altwohnungen und Läden mit Waren aus den verschiedensten Ländern würde verändert, sagt Christian Campiche, Mitglied des oppositionellen Collectif Gare.

Der Journalist und eine Gruppe von rund achtzig Leuten kritisieren die SBB. «Wir haben vor einem Jahr dreissig Fragen an die SBB gerichtet, die bis heute ohne Antwort geblieben sind», sagt Campiche. Die SBB seien die grössten Immobilienbesitzer der Schweiz und der Öffentlichkeit mehr Transparenz über ihre Vorhaben schuldig. Auch die links-grüne Mehrheit in der Stadtregierung habe sich bis heute bitten lassen, ärgert sich Campiche: «Wir fordern eine Gesamtdebatte zur Stadtentwicklung, denn die Projekte im Bahnhofsquartier sind der Ausdruck einer völlig unkoordinierten Stadtplanung. Die Stadt wird regelrecht kaputtgebaut!»

Die Gruppe engagiert sich gegen ein weiteres Projekt in der Umgebung des Bahnhofs, den «pôle muséal», der in der alten Lokomotivhalle der SBB realisiert werden soll. Stadt, Kanton und SBB planen einen Museumskomplex, der Kunstmuseum, Fotomuseum und Designmuseum unter einem Dach vereinen würde. Direkt hat der Museumskomplex nichts mit der Vergrösserung des Bahnhofs zu tun, indirekt aber schon. Während der bürgerliche Staatsrat Pascal Broulis vor seinem inneren Auge die kunstbegeisterten Massen im Zug nach Lausanne und in die neuen Museen strömen sieht, fürchtet Campiche, dass das ganze Bahnhofsquartier zu einem gigantischen Spekulationsobjekt wird. Er sieht keine kunstbegeisterten Massen, sondern gut betuchte Trendsetter, die für Wohnraum in einem «stinknoblen Quartier» in Bahnhofsnähe mit Luxusläden, Museen und Einkaufsgalerien jeden Preis bezahlen würden. «Das Bahnhofsquartier, heute noch ein lebendiges Wohnquartier, würde zur Luxusresidenz für die Lausanner Bobos», sagt er, «die Bourgeois-Bohème.»

Trotzdem für Fabi

Campiches Gruppe hofft, dass sich in letzter Minute noch erreichen lässt, was in Genf fast schon entschiedene Sache ist: ein unterirdischer Bahnhofsausbau. Auch in Genf hatten die SBB nämlich vor, den Bahnhof zu verbreitern. Dem Ausbau wäre ebenfalls ein lebendiges Quartier, die geschichtsträchtigen «Grottes» hinter dem Bahnhof, zum Opfer gefallen. Doch in Genf hat die Quartiersgruppe Collectif 500 die Stadtregierung für ihr Anliegen gewinnen können. «Wir haben es geschafft, die Weichen anders zu stellen», freut sich Morten Gisselbaek vom AnwohnerInnenkomitee.

Anders als in Lausanne wurde die Sache in Genf rasch zum Politikum. Das Kollektiv reichte eine Initiative mit 16 000 Unterschriften ein, die einen unterirdischen Ausbau fordert. Unabhängige ExpertInnen erstellten einen Bericht, der zum Schluss kommt, dass der unterirdische Ausbau die weitaus bessere Option wäre. Diese Lösung hat unterdessen die Unterstützung der Genfer Kantonsregierung und aller Parteien erhalten. «Das Projekt der SBB war extrem schlecht», so Gisselbaek. Dennoch kommen die Schweizerischen Bundesbahnen immer wieder mal darauf zurück, was er nicht versteht: «Vielleicht wollen sie Druck auf die Regierung ausüben, um die Finanzierung zu sichern. Vielleicht haben sie aber ihre spekulativen Absichten in den ‹Grottes› noch nicht ganz aufgegeben», mutmasst er. Wie auch immer: «Solange die Finanzierung nicht gesichert ist, zieht das Kollektiv die Initiative nicht zurück.»

Was die Fabi-Vorlage betrifft, hat das Genfer Kollektiv jedoch «dank der günstigen Entwicklung» mit gutem Gewissen die Ja-Parole herausgeben können. «Aber es ist ein kritisches Ja, kein Ja zu Immobilienspekulationen der SBB!»