Bürgerkriege in Afrika: Ananas, «Mad Dog» und weiterhin Hoffnung

Nr. 3 –

Die Bürgerkriege im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik lassen Afrika wieder einmal als hoffnungslos erscheinen. Ein solches Urteil verkennt die Vielfältigkeit des riesigen Kontinents.

Es ist noch kein Jahr her, da betitelte die britische Zeitschrift «The Economist», ein Sprachrohr der kapitalistischen Weltordnung, seine Frontseite mit «Ein hoffnungsvoller Kontinent». Eine strahlend lachende Marktfrau mit Ananas in den Händen machte klar, dass es sich dabei um das «aufstrebende Afrika» handelt.

Anfang dieses Jahres bleibt mir als engagiertem Beobachter das Lachen im Hals stecken: Bürgerkrieg mit ethnischen Dimensionen im jüngsten Staat der Welt, dem Südsudan. Bürgerkrieg mit religiösen Komponenten in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR). In beiden Konflikten werden scheussliche Gewalttaten verübt. Milizionäre, Soldaten und ein aufgehetzter Mob misshandeln, vergewaltigen, verstümmeln und töten gezielt Frauen und Männer anderer ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit; sie plündern und zerstören deren Wohnstätten und Geschäfte.

Auf der Website der britischen Rundfunkanstalt BBC bekennt ein sich als «Mad Dog» bezeichnender Mann, dass er in der Hauptstadt Bangui einen Muslim, der angeblich seine schwangere Frau, seine Schwägerin und deren Kind getötet hat, verfolgt und vor zahlreichen Umstehenden mit unzähligen Messerstichen umgebracht habe. Niemand habe versucht, dem Muslim zu Hilfe zu kommen. Mad Dog erzählt nüchtern weiter, er habe später das Fleisch seines Opfers gegessen. Muslime gegen Christen, Christen gegen Muslime in Bangui. Nuer gegen Dinka, und Dinka gegen Nuer in der Erdölstadt Bentiu. Hat der Irrsinn die Menge erfasst? Oder dienen die Gräuelgeschichten der dämonisierend verzerrten Berichterstattung der internationalen Medien? Afrikanische BloggerInnen sind dieser Ansicht. Auch westliche DiplomatInnen sähen es so, wie wiederum in denselben internationalen Medien zu lesen ist. Die gemeinsamen Vermittlungsbemühungen religiöser Persönlichkeiten finden wenig Medienaufmerksamkeit.

Weitere Konfliktherde auf dem Kontinent verursachen Leid und Not. In Mali herrscht nur dank französischer und westafrikanischer Truppen eine prekäre Ruhe; die fanatischen Milizen islamistischer Gruppierungen stellen weiterhin eine Bedrohung dar. Der Konflikt der Regierung in Bamako mit den Tuareg ist trotz des Friedensabkommens vom Juni 2013 nicht beigelegt. Im Norden Nigerias töten Anhänger der islamistischen Terrorsekte Boko Haram ChristInnen, während das Militär mit Waffengewalt zurückschlägt und dabei viele Unbeteiligte tötet und verletzt. In Somalia verüben islamistische Militante im Namen von al-Kaida Selbstmordattentate, in Kenia haben sie ein Shoppingcenter überfallen und kaltblütig nicht muslimische BesucherInnen ermordet. Sie drohen mit weiteren Bluttaten. In Moçambique gefährden militärische Konfrontationen zwischen der Opposition und der Armee die Errungenschaften eines zwanzigjährigen Friedens. Gleichzeitig dauert der vergessene Krieg in Darfur an, ein Friede ist nicht in Sicht. Im Ostkongo bleiben schreckliche Gewalttaten vor allem gegen Frauen an der Tagesordnung. In Libyen kommt es immer wieder zu Feindseligkeiten zwischen verschiedenen Volksgruppen, deren Milizen bis an die Zähne bewaffnet sind. In Ägypten schwelt die Krise zwischen der Armeeregierung und den Muslimbrüdern weiter. Südafrikas korrupte Führung verabschiedet sich zunehmend von demokratischen Prinzipien, auf die die «Regenbogennation» bisher so stolz war.

Ist Afrika heute wieder das, was es vor fünfzehn Jahren war? Der «hoffnungslose Kontinent», wie der «Economist» im Jahr 2000 auf der Titelseite verkündete? Nein. Die Folgerung ist ein Trugschluss, heute wie damals. Afrika ist zu gross, zu vielfältig, die Gegebenheiten an verschiedenen Orten auf dem riesigen Kontinent sind zu unterschiedlich, als dass man alle Kriege und Krisen, so real und bedrückend diese sind, zu einem Gesamtbefund verallgemeinern könnte. Der Tuaregkonflikt in den Saharaländern hat nichts mit dem Zerfall des einst so wohlgeordneten, aber diktatorisch regierten Somalia zu tun. Der Konflikt zwischen dem mehrheitlich muslimischen Norden und dem mehrheitlich christlichen Süden in der ZAR hat ganz andere Hintergründe als der Konflikt zwischen zwei politischen Erzrivalen im Südsudan, deren Zerwürfnis zum Krieg ihrer AnhängerInnen geführt hat.

Das schliesst Gemeinsamkeiten der Konfliktsituationen nicht aus. Der Südsudan ist das staatlich wohl am meisten vernachlässigte Gebiet Afrikas. Darfur wurde von den Machthabern in Khartum ebenso hängen gelassen wie der Nordosten Nigerias von den Machthabern in Abuja. Staatliche Vernachlässigung kennzeichnet auch die ZAR ausserhalb der Hauptstadt Bangui. Eine weitere Gemeinsamkeit zeigt sich bei den zahllosen Jugendlichen, denen die Kindheit gestohlen wurde, die keine familiäre Geborgenheit haben, keine Schulbildung und die ohne Zukunftsperspektiven sind. Sie lassen sich leicht von politischen und religiösen Anführern vereinnahmen und verüben dann für sie die Schandtaten. Verlorene Jugend, verlorene Generationen.

«Ach, Afrika», bin ich mit dem Buchautor Bartholomäus Grill versucht zu seufzen. Doch das wäre paternalistisch. In Afrika gibt es schwere Krisen. Sie sind aber nicht die einzige afrikanische Wirklichkeit. Bei weitem nicht.

Der Autor war zwölf Jahre lang Korrespondent von Radio DRS für Afrika südlich der Sahara.