Mexiko: Das kommunale Handynetz: Viel billiger und selbst gemacht

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Rund 80 000 Dörfer in Mexiko haben keinen Anschluss ans Mobilfunknetz. Das indigene Dorf Villa Talea de Castro schritt zur Tat und hat sich mit Unterstützung einer kleinen Technikorganisation einen eigenen, autonomen Zugang aufgebaut. Ein Beispiel, das Schule machen könnte.

«Chavelita» heisst es auf dem Porzellanschild über dem Herd des kleinen Dorfrestaurants von Villa Talea de Castro. Chavelita, die grauhaarige Besitzerin, steht – das Mobiltelefon am Ohr – hinter dem Tresen; jemand gibt gerade seine Bestellung durch. «In einer Viertelstunde soll das Essen für ihn auf dem Tisch stehen», sagt die kleine Wirtin, nachdem sie aufgelegt hat. «Seitdem ich ein Mobiltelefon habe, rufen die Gäste manchmal vorher an, um zu bestellen.»

Noch vor einem Jahr gab es in Villa Talea de Castro kein Mobilfunknetz. Da mussten die rund 2600 EinwohnerInnen des Dorfes in der Sierra Norte de Oaxaca – einer zerklüfteten Bergregion im Süden Mexikos – ihre Anrufe über die wenigen Festnetzanschlüsse im Ort tätigen. «Das war teuer, denn ich habe Kinder in den USA und Verwandte in Oaxaca», sagt Chavelita und hält bei der Zubereitung des Essens kurz inne; am lang gestreckten Tisch im Vorraum der Küche warten bereits Gäste. Oaxaca de Juárez heisst die fünf Stunden Fahrtzeit entfernte Hauptstadt des Bundesstaats Oaxaca. Rund fünfzehn Peso musste sie damals pro Minute ausgeben, wenn sie in die USA telefonierte. Heute sind es nur noch zwanzig Centavos, gerade mal 1,3 Prozent des früheren Betrags. Wie das geht? Mit dem ersten autonomen Mobilfunknetz in einer mexikanischen Gemeinde.

Hightech und zwei Gringos

Für den Bau des autonomen Handynetzes sind zwei Gringos verantwortlich – der US-amerikanische Peter Bloom und sein italienischer Kollege Giovanni Civardi. Die beiden waren ursprünglich nach Villa Talea de Castro gekommen, um der zapotekischen Gemeinde beim Aufbau des eigenen Radiosenders unter die Arme zu greifen. Dizha Kiero Radio heisst er und läuft nun im Hinterzimmer des einzigen Internetcafés des Dorfes. Täglich wird rund zwölf Stunden in der indigenen Sprache Zapoteco gesendet. Ein Stück indigene Identität will man so erhalten. Ein Ziel, das Bloom und Civardi unterstützten. Die beiden haben die kleine Organisation Rhizomatica mitgegründet, die Dörfern dabei hilft, neue Kommunikationssysteme einzurichten. Beim Aufbau des Radiosenders bekamen sie mit, dass das Dorf mobil telefonieren wollte, aber nicht konnte.

In einem ersten Anlauf hatte Bürgermeister Gabino Martínez alle Mobilfunkfirmen abgeklappert und diese gebeten, in dem vom Kaffeeanbau lebenden Bergdorf ein Funknetz aufzubauen. Doch die Konditionen waren eine Zumutung: «10 000 Mobilfunknutzer sollten wir dem Unternehmen garantieren, zudem eine Strasse und eine Stromleitung zum Funkmast bauen», erzählt Martínez. Das war zu teuer, aber die EinwohnerInnen wollten auch nicht mehr auf die wenigen teuren Festnetzleitungen angewiesen sein. «Wir wollten eine Alternative», sagt Martínez.

Also machten sich Bloom und Civardi schlau. Wie viel würde die entsprechende Technik kosten, wie und wo könnte man sie installieren? Im Februar 2013 präsentierten sie gemeinsam mit Gemeindepräsident Martínez und Gemeindesekretär Alejandro López ein Konzept. Mehrere Hundert DorfbewohnerInnen waren zur Versammlung gekommen.

Dort stimmte die Mehrheit für das rund 400 000 Peso (umgerechnet etwa 27 500 Franken) teure Projekt. «Uns blieb gar nichts anderes übrig, als diese Chance zu ergreifen», sagt Gabino Martínez und legt sein blaues Mobiltelefon beiseite. Langfristig kann das Dorf damit nur gewinnen, denn mit dem neuen System wird kostengünstig übers Internet telefoniert. Der Mann mit den leicht ergrauten, streng nach hinten gekämmten Haaren hat persönlich mit einem Grundstück gebürgt, damit die Gemeinde den Kredit für die Ausrüstung und den Bau der kleinen Sendestation bekam. Die steht jetzt am Ortseingang. Auf dem Dach des kleinen Häuschens auf Betonstelzen ist die Sendeantenne montiert, während im Innenraum ein moderner GSM-Empfänger steht, über dessen 35 Leitungen das Dorf telefoniert.

Modell für viele abgelegene Dörfer

Für Wartung und Steuerung der Anlage per Computer ist Gemeindesekretär Alejandro López zuständig. Er sorgt dafür, dass die derzeit 808 KundInnen der Kommunaleinrichtung Red Celular Comunitaria de Villa Talea de Castro auch immer Anschluss bekommen. Der 21-jährige Technikfan kontrolliert das Geschehen im ersten kommunalen Mobiltelefonnetz Mexikos, berät aber auch NeukundInnen über Preise und Konditionen. Lokal wird umsonst telefoniert; landesweit für 50 Centavos ins Festnetz und 83 Centavos ins Mobilfunknetz sowie für gerade 20 Centavos in die USA. So lasse sich viel Geld sparen, loben die NutzerInnen. Damit das Netz auch für alle zugänglich ist, wird nach fünf Gesprächsminuten der Anruf automatisch beendet.

López ist begeistert von der Technik und froh, dass sich Bloom auch um die Lizenz für das Funknetz gekümmert hat. Bloom studierte in Mexiko ländliche Entwicklung und hat sich danach zum Ziel gesetzt, technologische Errungenschaften jenen zur Verfügung zu stellen, die normalerweise erst spät davon etwas mitbekommen. «Mobiltelefone können immer mehr und sind weltweit verfügbar. Deshalb ist es wichtig, die Kommunikation damit auch auf lokaler Ebene zu ermöglichen», sagt der 31-Jährige. Gerade weil das für die Regierung in der Hauptstadt Mexiko Stadt keine Priorität hat, hob Bloom mit einigen MitstreiterInnen die Initiative Rhizomatica aus der Taufe.

In Villa Talea de Castro hofft man derweil, auch anderen Gemeinden als Modell zu dienen, sagt Bürgermeister Martínez. Er weiss gleich von drei Dörfern in der Nachbarschaft, die ihr Interesse angemeldet und sich bei ihm erkundigt haben. Dabei könnte den Gemeinden eine Gesetzesnovelle zugutekommen, die derzeit beraten wird. «Das neue Telekommunikationsgesetz soll die Möglichkeit von kommunalen Netzen vorsehen und so die Optionen für kleine Dörfer verbessern», sagt Peter Bloom. Er bereitet gerade den Netzaufbau in Capulalpam de Mendez vor, einem Dorf, das nicht weit von Villa Talea de Castro entfernt liegt. Das Modell macht also schon Schule.

Mit Antenne und Internet

Zwar breitet sich die Nutzung der Mobiltelefonie auch in den Ländern des Südens immer weiter aus. Doch in ländlichen Gebieten bestehen oft grosse Abdeckungslücken. Für die grossen Telefongesellschaften sind Investitionen nicht attraktiv, ihr Geschäftsmodell stösst hier an seine Grenzen.

Allerdings gibt es inzwischen eine relativ einfache und günstige Technik, die es erlaubt, auch auf dem Land kleine lokale Handynetze aufzubauen. Dazu braucht es eine Basisstation mit Antenne, an die lokale Handys ihre Signale senden. Von dort aus werden die Anrufe dann via Internet weitergeleitet. Umgekehrt können Anrufe von ausserhalb lokal mit einer entsprechenden Nummer verbunden werden. Solche Stationen erlauben es, die grossen nationalen Telefongesellschaften und ihre oft überteuerten Tarifmodelle zu umgehen.