«You Drive Me Crazy»: Übungen in Geduld

Nr. 3 –

Die Vorstellungen vom richtigen Autofahren sind landestypisch. Andrea Thiele und Lia Jaspers zeigen sie in ihrem amüsanten Film am Beispiel von Bombay, Tokio und München.

Der Verkehr im indischen Bombay ist chaotisch. Trotzdem genügen fünf Handzeichen und eine kräftige Hupe, um ein Auto auch im grössten Gedränge sicher voranzubringen – allerdings nicht besonders schnell. «Da kann ich auch laufen!», murrt die aus Deutschland stammende Mirela Sarnardzija ziemlich enerviert den Dolmetscher Sharndev G. Tadrnali an, der vom Rücksitz aus für den Fahrlehrer (Vinay R. Modak) übersetzt und ihn gelegentlich auch zurechtweisen muss, wenn er etwas gar lange mit seinem Handy hantiert. Mirela ist Mitte dreissig und hat Deutschland und die Modebranche hinter sich gelassen, um in Indien ihr eigenes Fashionlabel zu gründen – und das möglichst sofort. Aber sofort dauert in Indien etwas länger. Trotzdem will sie jetzt ihren Fahrausweis erwerben und muss sich dafür auf eine Geschwindigkeit von zwischen zehn und fünfzehn Kilometern pro Stunde einstellen.

Andrea Thiele (Regie) und Lia Jaspers (Buch), beide ebenfalls Mitte dreissig, haben an der Hochschule für Film und Fernsehen in München studiert. «You Drive Me Crazy» ist ihr erster gemeinsamer Film. Sie bezeichnen ihn als «cultural comedy»: «Spass haben an kulturellen Unterschieden», wie Thiele das ausdrückt. Man kann «You Drive Me Crazy» aber auch als klar konzipierten Dokumentarfilm bezeichnen, der seinen Witz aus den improvisierten Begegnungen zwischen Fahrlehrern und FahrschülerInnen aus unterschiedlichen Kontinenten im jeweiligen lokalen Umfeld bezieht.

Kurvenreich zum Fahrausweis

Der Film, der in lockerer Schnittfolge in Bombay, München und Tokio spielt, begleitet die ProtagonistInnen aus Deutschland, Südkorea und den USA bei ihren Versuchen, an einen landesüblichen Führerschein zu kommen. Zwar besitzen alle drei einen Ausweis aus ihrer Heimat, doch haben sie sich entschieden, länger im Gastland zu leben. Und sie wollen alte Gewohnheiten, besonders das Autofahren, nicht aufgeben. «Verrückt, dass in einer Riesenstadt wie Tokio der letzte Zug um Mitternacht fährt», sagt der aus Atlanta, Georgia, stammende Jacob «Jake» Cates. «Ich bin es gewohnt, täglich Auto zu fahren, frei zu sein. Ich vermisse einfach meine Karre.»

Die Wege, die zum neuen Fahrausweis führen, sind äusserst kurvenreich, ihre Logik ist nicht so einfach zu entschlüsseln – und in jedem Land wieder anders. Es sind nicht nur sprachliche und kulturelle Schwierigkeiten zu überbrücken. In Tokio und Bombay kommen auch noch die Tücken des Linksverkehrs hinzu. Zudem genügt es nicht, einfach eine Prüfung zu absolvieren; alle müssen vorgängig noch Fahrstunden nehmen.

Für Jake sind schon die Rituale und die übertriebenen Vorsichtsmassnahmen zu umständlich, die sein Fahrlehrer Ryoji Tetsuya – der ähnlich gut Englisch spricht wie Jake Japanisch – von ihm erwartet. Was da in Japan so alles beachtet werden muss, bevor man die Autotür öffnen darf! Jeder Schritt muss sorgfältig überlegt, jede Gefahr eingeschätzt werden, bevor Jake den Anlasser drücken und endlich einige Runden im Verkehrsgarten drehen darf. «Jake-san, Sie fahren zu grob. Man kann ein Auto nicht wie ein Pferd im Wilden Westen reiten», sagt sein Lehrer.

Beistand der Götter

Chung Hye Won ist ihrem Mann aus Südkorea gefolgt und lebt mit Sohn Zion und dem Kleinwohnungshund Punto in München. Christian Krieger, ihr Fahrlehrer, ist ein behäbiger Bayer, der versucht, der liebenswerten jungen Frau deutsche Werte zu vermitteln. Dabei lässt er an ihren südkoreanischen Fahrkünsten kein gutes Haar. Sie behält aber ihren Charme und meint vermittelnd: «Wenn man den Führerschein in Deutschland machen will, dann muss man wohl vor allem gut zuhören können.» Nachdem ihr Ehemann ins südkoreanische Militär eingezogen wird und zusammen mit dem Sohn zurückreist, bleibt Hye Won in München, um weiterhin Musikwissenschaft zu studieren. Irgendwann gibt sie die Fahrstunden bei Krieger auf, nicht aber die Hoffnung.

Mirela Sarnardzija hingegen hat während ihrer Fahrstunden einiges dazugelernt. Sie schaut zwar immer noch etwas ungeduldig, als der Prüfungsexperte noch einige Götter besänftigen muss, bevor er zu ihr ins Auto steigt. «Gott ist erst zufrieden, wenn alle zufrieden sind», wird sie von ihrem Fahrlehrer belehrt, und der Experte meint später: «Weil Sie mit einem Lächeln gekommen sind, bekommen Sie den Führerschein.»

Thiele und Jaspers haben mit «You Drive Me Crazy» einen äusserst unterhaltsamen Dokumentarfilm gedreht, der über weite Strecken im Alltagsverkehr spielt und der die ProtagonistInnen im Dialog aus der Rücksitzperspektive oder von vorne zeigt. Der geschickt aufgebaute Spannungsbogen – Schaffen sie in einer fremden Kultur die Führerprüfung? – und die gekonnte Montage machen ihn auch zu einem Spielfilm.

Die Regisseurinnen haben an den Drehorten ausgiebig recherchiert. Die FahrschülerInnen und ihre Lehrer suchten sie über Aushänge in Fahrschulen und an Universitäten sowie eine gross angelegte Social-Media-Kampagne. Danach verbrachten sie mit den ausgewählten LaiendarstellerInnen viel Zeit; sie versuchten, Vertrauen zu schaffen, bevor die Kamera ins Spiel kam und die oft komischen Situationen einfing. So können Thiele und Jaspers mit ihrem Film viele amüsante kleine Geschichten erzählen, bei denen man einiges über Bombay, Tokio und München erfährt – und vor allem über die Menschen, die dort unterwegs sind.

You Drive Me Crazy. Regie: Andrea Thiele und Regie: Lia Jaspers. Deutschland 2012