Weltwirtschaftsforum Davos: Strengt euch an, dann gehts euch besser

Nr. 5 –

Aussergewöhnlich viele PolitikerInnen sind dieses Jahr ans Weltwirtschaftsforum nach Davos gepilgert. Von den Krisen in ihren Ländern redeten sie kaum – sie wollten InvestorInnen anlocken und das Wachstum ankurbeln, mit grossen Versprechungen und zweifelhaften Rezepten.

«Wir sind bereit für Ihre Investitionen!», rief der britische Premierminister David Cameron am Weltwirtschaftsforum. Foto: Urs Jaudas, Wef, swiss-image.ch

Er hat den weitesten Weg, doch selbst Tony Abbott kam nach Davos. Als der neue australische Premierminister letzte Woche am Weltwirtschaftsforum (Wef) seinen grossen Auftritt hatte, blieb er seinem Ruf als beinharter Ideologe nichts schuldig: «Ich kreiere Märkte», behauptete er unbescheiden. Die Finanz- und Wirtschaftskrise der letzten Jahre sei einzig Schuld der Politiker gewesen. Jetzt sei es an der Zeit, dem Unternehmertum wieder Platz für freie Entfaltung zu schaffen. Deshalb gelte es, den Staat zu verschlanken und den Freihandel zu forcieren. Firmen sollten weniger Steuern zahlen und weniger mit Regeln gegängelt werden.

Trotz der scharfen Rhetorik, Abbotts Rede im grossen Saal des Kongresszentrums Davos fiel nicht mal besonders auf. Seine Asylpolitik musste er nicht rechtfertigen. Dass Australien neuerdings Bootsflüchtlinge auf offenem Meer zur Umkehr zwingt, war kein Thema. Abbott benutzte in etwa dasselbe marktliberale Vokabular wie die meisten anderen, er machte sich einfach noch ein bisschen wichtiger. Denn schliesslich ist er erst seit kurzem im Amt. Und ausserdem darf er dieses Jahr bereits dem Gremium der zwanzig grössten Industriestaaten, der G20, vorstehen und deren Agenda bestimmen.

Das diesjährige Wef war geprägt von der grossen Zahl PolitikerInnen, die aus allen Kontinenten angereist kamen. Jetzt, wo immer öfter das Ende der Krise verkündet wird, scheint eine besonders günstige Zeit zu sein, für mehr Investitionen zu werben. Schliesslich waren am Wef mehr als 1500 hochrangige Geschäftsleute versammelt, die Firmen mit einem Börsenwert von zwölf Billionen US-Dollar vertreten.

Wachstum ist das wichtigste Dogma. Wachstum soll automatisch mehr Arbeitsplätze bringen. Und Arbeitsplätze sind sowieso zentral. Jedes Jahr strömen Millionen Menschen neu in den Arbeitsprozess. Sie sollen Jobs finden, Geld verdienen und konsumieren. Die Staaten stehen in Konkurrenz zueinander und buhlen um die neuen Jobs. Damit sie sich behaupten können und für die Konzerne und ihre Investitionen anziehend wirken, müssen Grossprojekte initiiert, Infrastrukturen gebaut, Weltmeisterschaften und Olympische Spiele ausgetragen, Unternehmenssteuern gesenkt und hindernde Regeln beseitigt werden. Die beschönigende Umschreibung von solcher Art Deregulierung nennt sich dann etwa «Flexibilisierung des Arbeitsmarkts». Dass bei einem wie Tony Abbott auch Umweltstandards dran glauben müssen, war absehbar. Im Wahlkampf hat er klargemacht, dass er nicht im Traum daran denkt, den Industriestaat mit dem höchsten Kohlendioxidausstoss pro Kopf grüner zu machen oder gar der Kohleindustrie Beschränkungen aufzuerlegen – im Gegenteil. Kaum im Amt, löste er im September 2013 die nationale Umweltkommission auf und bewilligte neue Kohleförderungen. Auch darauf wurde er am angeblich so grünen und auf «Nachhaltigkeit» so bedachten Wef öffentlich nicht angesprochen.

AKWs und Fracking

Wenn es einen Preis für die Rede mit dem höchsten zur Schau gestellten Selbstbewusstsein gegeben hätte, wäre er allerdings nicht an Abbott, sondern an den britischen Premierminister David Cameron gegangen. War es Amphetamin oder Testosteron? «Wir sind bereit für Ihre Investitionen!», dröhnte Cameron in den Saal. Britannien werde weiter Steuern senken und staatliche Regulierungen abbauen. Man baue neue Atomkraftwerke und wolle mit der umstrittenen Fracking-Methode auch Gas aus Britanniens Untergrund fördern. Künftig würden Arbeitsplätze von China zurück auf die Insel wandern, denn in Britannien sei man näher am Konsumenten und liefere den besseren Service.

Auf der Bühne hin und her tigernd beantwortete Cameron nach seiner Rede auch Fragen aus dem Publikum. Als eine Gewerkschafterin wissen wollte, ob seine schönen neuen Jobs den Beschäftigten denn auch genug hohe Löhne bieten würden, um in Würde zu leben, machte Cameron klar, dass ihm das eigentlich ziemlich egal ist. Wenn Firmen anständige Löhne zahlen können, sollen sie das auch tun, aber regulieren soll man das nicht.

Cameron versprühte seinen Optimismus vielleicht auch deshalb so penetrant, um den Meinungsumfragen etwas entgegenzusetzen. Derzeit hätte er keine Chance, wiedergewählt zu werden. Denn zwar verzeichnet sein Land tatsächlich ein gewisses Wirtschaftswachstum, doch gleichzeitig kürzt der Staat in einer Art stillen Revolution den Sozialstaat radikal zusammen, was viele BritInnen sehr konkret spüren.

Geld für die Banken

Abbott und Cameron haben am Wef wohl am lautesten die liberal-konservative Variante der Krisenbewältigung vertreten, von der Politik vieler anderer Staaten unterscheidet sich diese jedoch nur in Nuancen. So brüstete sich etwa der irische Ministerpräsident Enda Kenny mit einer rekordtiefen Unternehmenssteuer von 12,5 Prozent, während der italienische Wirtschafts- und Finanzminister Fabrizio Saccomanni weitere Privatisierungen ankündigte. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sprach derweil von einer «Erholung» auch der anderen EU-Krisenländer Griechenland, Spanien und Portugal – trotz anhaltender Rekordarbeitslosigkeit und radikalem Sozialabbau.

Japans Ministerpräsident Shinzo Abe skizzierte sein Rezept gegen die Krise – die «Abenomics». Weil das Land nicht aus einer Stagflation herausgekommen ist, wird jetzt den Banken mehr oder weniger gratis Geld geliehen. Gleichzeitig werden staatliche Konjunkturprogramme aufgelegt, und die Unternehmenssteuern sollen gesenkt werden. Wie hoch sich das Land noch verschulden kann, ist offen. Welche Auswirkungen die Geldschwemme längerfristig haben wird, weiss niemand so genau.

Einen ähnlichen Ansatz wie Japan verfolgen auch die USA. Die anwesenden US-RegierungsvertreterInnen qualifizierten das Vorgehen als «erfolgreich». Jetzt werde langsam versucht, die Geldschwemme wieder einzudämmen. Doch obwohl die US-Wirtschaft wieder wächst und die offizielle Arbeitslosenzahl sinkt, steigen die Armut und die Zahl der vom Arbeitsprozess Ausgeschlossenen (siehe WOZ Nr. 4/2014 ). So ist es den USA bislang auch nicht gelungen, die Verschuldung abzubauen, im Gegenteil: Die Schuldengrenze muss spätestens Ende Februar erneut angehoben werden, wie US-Finanzminister Jacob Lew sagte.

Die USA erhoffen sich durch den Abschluss von zwei grossen Freihandelsabkommen mit der EU und mit verschiedenen Staaten im asiatisch-pazifischen Raum, die eigene Wirtschaft weiter anzukurbeln. Dabei droht allerdings für die beteiligten Länder eine Angleichung ihrer Sozial- und Umweltstandards an das tiefe US-Niveau. Immerhin scheint sich in den USA derzeit in Sachen Sozialstaat eine vorsichtige Umorientierung abzuzeichnen. So sprach sich Lew in Davos dafür aus, die Arbeitslosenunterstützung auszuweiten, während US-Handelsministerin Penny Pritzker eine Erhöhung des Mindestlohns und eine Angleichung der Frauenlöhne an diejenigen der Männer forderte.

Auch die brasilianische Staatschefin Dilma Rousseff ging in ihrer Rede kurz aufs Thema soziale Gerechtigkeit ein. Sie erwähnte die vielen Demonstrationen des vergangenen Jahres in ihrem Land und bezeichnete diese als positive Auswirkung der Demokratie: «Wir haben zugehört, und wir haben verstanden.» Es werde mit dem Aufschwung in Brasilien weitergehen, den Leuten solle es besser gehen. Rousseffs Rezept ist simpel: Hunderte von Milliarden US-Dollar sollen in den nächsten Jahren in den Aufbau der Infrastruktur investiert werden, zumeist im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften. So sollen etwa 5000 Autobahnkilometer, sechs neue Flughäfen sowie in den Städten neue U-Bahnen und Kanalisationen gebaut werden.

Alternativen fehlen

Im Prinzip wollen die meisten der angereisten PolitikerInnen genau dort weitermachen, wo sie vor der Krise aufgehört haben. Ihre vorgestellten Modelle unterscheiden sich nur graduell. Alle suggerieren, dass es letztlich mehr Anstrengungen der Menschen selbst brauche, damit sie ein gutes, gesichertes Einkommen bekommen. Sie sollen sich aus- und weiterbilden, und zwar möglichst in Bereichen, die für die Wirtschaft auch verwertbar sind. Dabei ist klar, dass neue technische Innovationen in den nächsten Jahren eine Vielzahl von bestehenden Arbeitsplätzen überflüssig machen werden, wie etwa Google-Chef Eric Schmidt ausführte.

«Wir haben zugehört, und wir haben verstanden», behauptete die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff. Foto: Jolanda Flubacher, Wef, swiss-image.ch

Nötig wären in dieser Situation Ideen, wie sich die Produktivitätsfortschritte und die Innovationen vernünftig und gerecht einsetzen liessen und nicht einfach nur die Konkurrenz zwischen den Staaten und den einzelnen Menschen um Standorte und gute Jobs verstärken. Neue Formen der Arbeitsteilung wären erforderlich – in den einzelnen Staaten selbst wie auch im Verhältnis zwischen den Staaten. Doch wer von den mächtigen Konzernchefs dieser Welt nach Davos eingeladen wird, hat offenbar kein Interesse, darüber nachzudenken, die Macht der Konzerne sowie die ungleiche Verteilung des Vermögens und Einkommens infrage zu stellen.

Löst Afrika China ab?

China beschreitet derzeit einen etwas anderen Weg als der Rest der Staatengemeinschaft. Das Land will bewusst das Tempo beim Wirtschaftswachstum reduzieren und «nur» noch sieben Prozent zulegen, wie der chinesische Finanzpolitiker Liu Mingkang in Davos sagte. China kämpfe als Folge des starken Wachstums mit grossen Umweltproblemen. Man wolle nicht mehr als Billiglohnland fungieren, sondern den Konsum im eigenen Land ankurbeln.

Als Ersatz für China könnte Afrika einspringen, war am Wef von verschiedener Seite zu hören. Afrikas Bevölkerungszahl soll im Jahr 2050 doppelt so hoch sein wie diejenige Chinas. Sowohl der ghanaische Präsident John Dramani Mahama wie auch der nigerianische Präsident Goodluck Ebele Jonathan versprachen Steuererleichterungen für Firmen und Privatisierungen von öffentlichen Einrichtungen wie Wasser- und Elektrizitätswerken. Afrika könnte zum nächsten Eldorado der Konzerne werden, zumal es auch über die grössten globalen Landreserven verfügt.