Elfriede Jelinek: «Über Tiere»: Von der wahren und der Ware Liebe

Nr. 9 –

Die Gefragtesten werden vorbestellt. Aber sind sie nun Gabe, Pfand oder nur Objekt? Elfriede Jelinek hat «Über Tiere», ihr 2007 entstandenes Stück über das Prostitutionsgewerbe, tagesaktuell ergänzt.

Wirst du mich wegschicken oder stehen lassen? Isabelle Menke in «Über Tiere» am Schauspielhaus Zürich. Foto: Tanja Dorendorf

Ein steiler, schiefergrauer Fels inmitten einer öden Landschaft. Daraus aufwachsend eine Frau, halb Mensch, halb Tier, ohne Unterleib, obwohl der Unterleib doch das Zentrum bildet in diesem Stück, sozusagen. Im Brautkleid noch Erinnerung an die weibliche Berufung, bilden die pinkfarbenen Accessoires eine Brücke zwischen der imaginierten Prinzessin Lillifee und dem Puff, der zum Schicksal dieser namenlosen Frau wird, die sich als Tony jr. ausgibt.

«Über Tiere» heisst das am Schauspielhaus Zürich von Tina Lanik und Stefan Hageneier (Bühnenbild) inszenierte Stück von Elfriede Jelinek. Es handelt von Betthäschen und -mäuschen und von den Männerschweinen, die sie feilbieten und kaufen, gebrauchen und wegwerfen. Die Textmontage basiert auf von der Wiener Polizei angefertigten Abhörprotokollen eines Begleitservices, die durch die Recherchen der Wochenzeitung «Falter» an die Öffentlichkeit und in die Hände Jelineks gelangten. Exklusiv für die Zürcher Aufführung hat die Autorin dem ursprünglichen Text einen dritten Teil hinzugefügt, in dem das Prostitutionsgewerbe ins Spannungsfeld der SVP-Abschottungsinitiative gerückt wird.

Doch noch beklagt Isabelle Menke das Los der absturzgefährdeten Ungeliebten, die sich mühsam im Fels hält und den «sonderbaren Herrn» anruft, dem sie, weit geöffnet, ihre «Weltliebe» andient. Dieser jedoch erhört sie, zumindest in der romantischen Variante, nicht und enthält ihr seine «vorzügliche essbare Anwesenheit» vor.

Ein herzzerreissend-mitreissender Monolog ist das, virtuos zwischen Hoffnung, Resignation und gelegentlich sich aufbäumender Aggression changierend. Er lenkt die Aufmerksamkeit von der enervierenden Statik des Sprechtheaters in die psychischen Abgründe einer Frau, die liebt und weiss, dass sie nichts anderes ist als käufliches Objekt, in der Hierarchie der Huren ganz weit unten: «Die Blondinen zum Beispiel musst du vorbestellen. Mich musst du nur irgendwohin bestellen.» Dann schlägt die zarte Verschmähte das pinke Leuchtstoffherz auf den Fels, verzweifelt, ihrer Vorstellung von wahrer Liebe nachhängend – «Liebe ist nicht arbeiten müssen» –, um sie sofort mit jelinekscher Brachialgewalt auszutreiben: «Alles ist Gegenstand, nur die Liebe soll keiner sein?»

Die «reine Liebe» ist, so das Credo, schon zu sehr «mit Schadstoffen angereichert» und kontaminiert, als dass sie überhaupt noch zur Entfaltung kommen könnte. Gerät die aus dem Fels wachsende Frau in die Zirkulationssphäre des Gewerbes, hat sie keinen Anspruch mehr auf «Sein» und «Welt», sondern hat als Objekt nur noch «da zu sein» zum allfälligen männlichen Gebrauch.

Aber auch das Naturmassiv wankt, es wird unterminiert von der technischen Zivilisation: Unterm Fels – grandiose Bildidee! – duckt sich der Cadillac, von dem die aus Minsk stammende aufregende Bassistin Polly Lapkowskaja in den musikalischen Live-Einspielphasen zu singen weiss: «Heaven’s in the backseat of my Cadillac». Auf dem bröckelnden Fels robben und poppen geldgierige Anbieter und geile Freier, sich katzenhaft belauernd: Das Verkaufsgespräch als obszönes Vorspiel. In diesem zweiten Teil wird das Spiel dank der überaus verwandlungsfähigen Julia Kreusch, Lisa-Katrina Mayer und Lena Schwarz dynamischer: Ihr schmieriges, geiferndes, ekelerregendes Gehabe dreht sich nur um das eine, um die Wünsche an das «Frischfleisch» («mit oder ohne», «französisch natur», «von hinten mit Aufpreis?»). Die Frauen in Männerrollen entblössen sich vor dem Publikum als Heuchler, die öffentlich den Kindesmissbrauch geisseln und ihm frönen, nicht nur in der Nacht. Wie üblich überdreht die Autorin auch diesmal ihren Sprachwitz, sie kalauert, was das Zeug hält, und nicht in jedem Fall kommen sinnhafte Fügungen heraus. An Überbietungsfiguren ist man bei Jelinek ja sattsam gewöhnt.

Problematischer ist der dritte, angehängte, der Schweizer Tagesaktualität gehorchende Teil. Soweit die Prostituierten über die Geschäftsgrundlagen des «Kaufakts» sinnieren, ist das, was in der «Schachtel» und in den «Verrichtungsboxen» rappelt, noch aufklärerisch-witzig. Sind sie nun «Gabe» oder «Pfand» oder erzielen sie eher «Einkommen aus Miete und Verpachtung»? Sie tun es ja freiwillig, sind nicht mit Gewalt an den Fels geschmiedet wie Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte. Ihr Feuer lodert nur «drei bis fünf Minuten», ein kurzes Jetzt und eine Ware. Das aufgerufene «Stimmvolk», das fürs «Anschaffen», wohl nicht aber die «eigene Abschaffung» ist, aber dafür, dass die immer neuen Frischfleischglieder nur neunzig Tage dableiben dürfen und dann wieder ausgeschafft werden – das alles ist so billig wie die Lacher des Publikums, von dessen männlichem Teil man nicht wissen möchte, wie dutzendfach er sich dieser «Glieder» und «Löcher» bedient.

Sie habe aus dem verfügbaren Material herausgeholt, was sich gebrauchen liess, bekannte Elfriede Jelinek in einem Interview mit dem «Falter»: «Ich stosse herab wie ein Adler, äh, wie eine Krähe, die einer anderen ein Auge aushacken will, und dann bohre ich eben den Teil heraus, den ich essen will.» Das Schweizer Wahlvolk ist derzeit ein leicht verfügbares Opfer und als Hackfleisch schon ein bisschen fade.

Elfriede Jelinek: «Über Tiere» im Schauspielhaus Zürich, Schiffbau/Box. Nächste Aufführungen am Freitag, 28. Februar, Samstag, 1., und Montag, 3. März 2014, 20.15 Uhr. Mit einer Videoinstallation im Foyer: «Der Mensch als Ware. Prostituierte im Schweizer Strafrecht».