Fussball und andere Randsportarten: Der akribische Arbeiter

Nr. 11 –

Pedro Lenz über einen, der es mit Disziplin geschafft hat

In Madrid nennen sie ihn «El Cholo», was einst ein Schimpfwort war und ihn beleidigen könnte. Aber das stört ihn nicht, weil Cholo in seinem Heimatland Argentinien auch ein gern gebrauchtes Kosewort ist. Der korrekte Name des Cholo ist Diego Simeone. Er kam 1970 in Buenos Aires zur Welt und hat sein ganzes Berufsleben auf dem Fussballplatz verbracht. Mit 17 war er schon Profispieler bei Vélez Sársfield, mit 36 wechselte er vom Rasen auf die Trainerbank. Als Fussballer bestritt Simeone über hundert Länderspiele für Argentinien.

Er war immer ein Musterprofi mit grossem Arbeitsethos. Seine Kraft, sein inneres Feuer und sein unbändiger Wille waren jedoch stärker ausgeprägt als seine Feinmotorik. Zudem neigte der Cholo schon früh zu Theatralik, woran sich mindestens ein Gegenspieler ein Leben lang erinnern wird: David Beckham war an der Weltmeisterschaft 1998 in Frankreich noch nicht der Popstar, zu dem er sich später hat machen lassen. Immerhin war er schon Spieler der englischen Nationalmannschaft, die an jener WM auf den Erzfeind Argentinien traf. Psychisch zermürbt von Simeones Härte in den Zweikämpfen, liess sich Beckham damals zu einem kleinen Revanchefoul verleiten. Das Foul war nicht so schlimm, aber es brachte Beckham die Rote Karte ein, weil der Argentinier seinen Schmerzensschrei derart leidenschaftlich von sich gab, dass es dem Schiedsrichter fast das Herz brach.

Während Beckham sich vom Feld schlich, tat der Cholo, als ginge ihn alles nichts an. Ohne den vom Platz gestellten Beckham konnte England das Spiel nicht mehr an sich reissen. Argentinien gewann, und Diego Simeone liess sich feiern.

Vor knapp drei Jahren übernahm der Cholo das Traineramt beim spanischen Traditionsklub Atlético Madrid. Für diesen Verein hatte er von 1994 bis 1997 selber gespielt. Als Trainer gaben ihm die Fachleute wenig Kredit, denn einerseits fehlte ihm die Erfahrung in ganz grossen Klubs, und andererseits hatte Atlético einen Trainerverschleiss wie hierzulande der FC Sion. Doch Simeone überraschte alle. Mit den gleichen Tugenden, die ihn schon als Spieler ausgezeichnet hatten, brachte er Stabilität in den Klub. Er sei ein Arbeitstier und kümmere sich um jedes Detail, rühmten die Vorgesetzten.

Der Erfolg liess nicht auf sich warten. Atlético Madrid gewann unter ihm den Cup, die Europa League und den Uefa Super Cup. Letztes Jahr qualifizierte sich Atlético sogar für die Champions League. Dort siegte Simeones Team vor ein paar Wochen im Hinspiel des Achtelfinals gegen die AC Milan auswärts mit 1:0. Doch Simeone wäre nicht Simeone, wenn er trotz der guten Ausgangslage für das Rückspiel von seinen Spielern nicht volle Anstrengung und hundertprozentigen Kampfgeist verlangen würde.An einer Pressekonferenz vor italienischen JournalistInnen erklärte er: «Milan ist einer der ganz starken Klubs der Fussballgeschichte, der es gewohnt ist, in diesem Wettbewerb erfolgreich zu sein, und der Spieler mit viel Talent hat. Das wird für uns, unabhängig vom Ergebnis des Hinspiels, ein ganz gefährliches Spiel.»

Die Übersetzerin gab den ersten Teil der Aussage korrekt wieder. Doch zum Schluss sagte sie: «Wir hoffen, das gleiche Ergebnis wie im Hinspiel zu erreichen.» Das hatte der Cholo so nicht gesagt. Und weil er als Spieler auch sieben Jahre in Italien verbracht hatte, bemerkte er den Fehler sofort. Er schaute die Übersetzerin mit dem gleichen Schmerz an, den er sechzehn Jahre zuvor beim Fusstritt von David Beckham vorgetäuscht hatte. Hätte er dazu noch geschrien, wäre der bedauernswerten Dolmetscherin die Rote Karte sicher gewesen. Aber dann beruhigte sich der Argentinier und stellte das Missverständnis in perfektem Italienisch klar. Genau so ist Simeone, ein unermüdlicher Schaffer, der sich um alles kümmert, sogar um die Arbeit der Übersetzerin.

Atlético gewann das Rückspiel übrigens mit 4:1.

Pedro Lenz (49) ist Schriftsteller und lebt in Olten. Er liebt unter anderem Theater und Fussball. Wobei es ihm lieb ist, wenn das eine vom anderen getrennt bleibt.